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Spiel ohne Grenzenvon Stefan Schmöe / Fotos von Michael Kneffel - Ruhrtriennale 2010
Ein Abend mit - das hört sich irgendwie mehr nach einem bunten Unterhaltungsprogramm als nach programmatischem Tiefgang an. Das muss ja kein Nachteil sein; die Ruhrtriennale hat manche gelungene Produktion mehr der Qualität der Interpreten als der Einbindung in ein Gesamtkonzept zu verdanken. Zurück gehen solche Abende mit auf den in Künstlerkreisen bestens vernetzten Kulturtausendsassa Jürgen Flimm, der in seiner Ruhrtriennaleintendanz von 2005 2007 manchen großen Namen anlockte, ohne dass damit immer auch ein Programm verbunden war. Da machte Cecilia Bartoli staunen (mit einem Barockprogramm zum Triennaleschwerpunkt Ronatik) oder Neil Shicoff stirnrunzeln (mit einem Romantikprogramm zum Triennaleschwerpunkt Barock), und Vesselina Kasarova hatte im schwerpunktfreien Triennalejahr 2008 sowieso freie Gestaltungshand. Unter der Intendanz von Willy Decker behauptete Anna Nebtrebko im vorigen Jahr energisch Vivo!, was vielleicht besser Amo! geheißen hätte, wenn die Diva glaubwürdig mit Franz Lehár bekannte: Meine Lippen, die küssen so heiß. Ging aber nicht, denn Amo! war offenbar reserviert für Countertenor Philipe Jaroussky, der natürlich genau so gut Vivo! hätte sagen können, wenn er gedurft hätte. (Man darf gespannt sein, welcher Ausruf im kommenden Jahr folgt.)
Der Vergleich von Jaroussky und Nebtrebko ist unfair, schon weil die Rahmenbedingungen gänzlich andere sind. Gab die russische Diva einen nahezu klassisches Arienkonzert, bei dem sie ganz klar im Zentrum stand, so muss man heuer genauer hinschauen: Ein Abend nicht nur mit dem gerade ausgesprochen populären Countertenor, sondern auch mit Christina Pluhar, L'Arpeggiata und Gästen wurde da annonciert, und nur weil Jaroussky als erster genannt ist, spielt er noch lange nicht die erste Geige. Wohl eher darf man hinter Christina Pluhar, Leiterin des Ensembles L'Arpeggiata, die treibende künstlerische Kraft vermuten. Pluhar und Jaroussky haben bereits in der Vergangenheit zusammengearbeitet und eine gemeinsame CD mit dem Titel Teatro d'amore produziert, der eine vergleichbare Konzeption wie diesem Abend zugrunde liegt. L'Arpeggiata ist prinzipiell ein Spezialensemble für alte Musik mit exzellenten Musikern, die aber Monteverdi und Zeitgenossen nicht im Originalgewand, sondern kräftig verjazzt spielen. Das Irritierende daran ist in erster Linie, dass hier historische Instrumente im fremden Genre brillieren (und mit so viel Stilgefühl, wie Doron Sherwin den Zink spielt, möchte man sofort glauben, dass keine Big Band ohne Zink auskommt). Näher liegt die stilistische Bandbreite zwischen Barock und Jazz natürlich bei der Gitarre; die (doch sehr stark weichzeichnende) Harfe bleibt Geschmackssache. Ein Barockorchester kann, das lernt man ganz schnell, ordentlichen Jazz spielen. Und Monteverdi & Co. vertragen es ganz gut, wenn die Schlagzeuger diese Musik mit jazzigen Rhythmen unterlegen und der Bass das Harmonieschema entsprechend anpasst.
Aufgepeppte Barockmusik macht aber nur einen Teil des Abends aus. Christina Pluhar und ihre Musiker bedienen sich auch bei italienischer und südamerikanischer Volksmusik oder komponieren (oder improvisieren) solche kurzerhand selbst. Das gibt die Möglichkeit zu allerhand Soli auf durchweg exzellentem Niveau das sichert den Erfolg des Abends. Was gespielt wird, scheint relativ egal, wenn es so gut gespielt wird. Dem Triennale-Publikum muss man große Offenheit konstatieren, mit der es die überraschenden Klänge nicht nur akzeptierte, sondern mit stehenden Ovationen feierte.
So fühlte der Verfasser dieser Zeilen sich zunehmend allein in seinem wachsenden Unbehagen dem Abend mit so vielen guten Musikern gegenüber. Das bunte Programm kann, so der subjektive Eindruck, einem auch allzu bunt werden. Doch der Reihe nach: Philippe Jaroussky ist eine Wucht, die scheinbar mühelos geführte Stimme von berückender Schönheit und Natürlichkeit, die Linienführung makellos, allein das Einschwingen der Töne dauert manchmal eine Nuance zu lang. Jaroussky kann vermutlich alles singen, der Klang ist entwaffnend und betörend. Schade, dass er nur gefühlte 20 Prozent des Abends mitmachen durfte. Aber da ist ja auch noch der phänomenale Klarinettist Gianluigi Trovesi, der ebenfalls den Abend hätte allein bestreiten können. Sängerin Lucilla Galeazzi ist Frau in den besten Jahren, deren Auftritte kleine schauspielerische Kabinettstückchen sind: Die respektheischende anständige Frau wehrt sich (letztendlich natürlich vergeblich) gegen die musikalischen Annäherungsversuche des Klarinettisten und weist Tänzerin Anna Dego zurecht, die barfuß und mit langem lockigen Haar einen energiegeladenen Tanz der Marke Bockiges Kind widersetzt sich der Mutter aufführt. Hier tendiert die volksliedhaft inspirierte Musik allerdings stark in Richtung des (sehr melodischen) italienischen Schlagers.
Später gesellt sich mit Deborah Henson-Conant eine zweite Sängerin, Typ Rock-Lady, hinzu, es gibt ein (des extremen Sprechtempos wegen sehr virtuoses) Duett über Tierstimmen, dass der (in der zweiten Hälfte des pausenlosen Programms weitgehend beschäftigungslose) Jaroussky zum Terzett erweitert. Den Schlusspunkt setzt Frau Henson-Conant mit einer Blues-Solo-Nummer mit viel Text: Darin erzählt sie die (nicht irrsinnig originelle) Geschichte von dem Mädchen, dass Blues spielen möchte und Klassik spielen soll. Aus der ersehnten Blues harp (der Mundharmonika) machen die irritierten Elter eine blue harp, eine blaue (aber eben klassische) Harfe, die allerdings hier gar keine klassische Harfe ist, sondern eine elektronische und so kann die Harfenisten dann zum Glück doch noch musikalisch mitteilen, wie blöd Klassik und wie toll Blues ist.
Erlaubt ist alles, was musikalisch Spaß macht: Das Publikum johlt bei jedem kleinen (natürlich amateurhaft schlicht eingebauten) Mozart-Motiv, bei jeder plötzlich hervorgezauberten coolen Sonnenbrille und bei jedem Takt, den Jaroussky mit seiner natürlichen Bariton-Sprechstimme anstatt in der hohen Countertenor-Lage singt. (Beklommene Selbstinspektion: Ist man humorlos, wenn man das alles nicht ganz so lustig findet?) Von den angekündigten Liebeswahn, Delirium und Raserei keine Spur (was zu verschmerzen ist), dafür ziemlich viel - überflüssiger - Musikzirkus. Echter Monteverdi ist schließlich auch ganz schön, und echter Jazz auch.
Grandiose Musiker hin oder her - es wird ein Kessel allzu Buntes: Hier aber ist das Spiel ohne Genre-Grenzen ein bisschen viel Spiel ohne Grenzen.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Countertenor
Gesang
Klarinette
Gesang und elektronische Harfe
Gitarre
Paraguayische Harfe
Tanz
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- Fine -