Regensburg: wechselhaft, aber meist heiter
Von Ingo Negwer
Pfingsten 2011. Für viele Freunde der Alten
Musik ist sie ein alljährlich wiederkehrendes Ritual: die Reise nach
Regensburg. Zum 27. Mal fanden vom 10. bis 13. Juni in der reizvollen
Stadt an der Donau die Tage Alter Musik statt. Vierzehn
Konzerte an historischen Stätten, ergänzt durch eine
Verkaufsausstellung mit Instrumenten und Musikalien im Salzstadel,
erwarteten auch in diesem Jahr die Besucher.
Nach dem außergewöhnlich trockenen und warmen Frühling hatte
man sich schon auf ein sonniges langes Wochenende, und damit ideale
Rahmenbedingungen für die "Tage Alter Musik" gefreut. Doch der viel zu
früh begonnene Sommer legte zu Pfingsten eine Pause ein. Das Wetter
zeigte sich kühler und wechselhaft, wenngleich nicht allzu ungemütlich.
Ganz ähnlich lässt sich auch das diesjährige Festival umschreiben -
insbesondere im Hinblick auf Johann Sebastian Bach.
In gleich zwei Konzerten stand der Thomaskantor im
Mittelpunkt. Zum Auftakt sangen die Regensburger Domspatzen unter
der
Leitung von Roland Büchner und begleitet von Concerto Köln das
Himmelfahrtsoratorium "Lobet Gott in seinen Reichen", die Motette "Der
Geist hilft unser Schwachheit auf" und das Magnificat D-Dur. Zum
Auftakt erklang das Konzert A-Dur für Oboe d'amore, Streicher und Basso
continuo, eine Rekonstruktion nach dem Cembalokonzert BWV 1055, mit
Benoît Laurent als souverän gestaltendem Solisten. Concerto Köln war
ihm,
wie auch den Domspatzen, ein exzellenter Partner mit
gewohnt ausgewogenem, schlankem Orchesterklang. Die Stars des
Eröffnungskonzertes war jedoch wieder einmal die Regensburger
Domspatzen, deren stimmliche Hochkultur keinen internationalen
Vergleich zu scheuen braucht. Die ausdifferenzierte Klangpracht im
Himmelfahrtsoratorium und im Magnificat (die hier von geringfügigen
Abstimmungsproblemen kaum zu trüben war), die Transparenz und
Textverständlichkeit in der doppelchörigen Motette waren beeindruckend.
Das Solistenquartett Johannette Zomer (Sopran), Franz Vitzthum (Altus),
Georg Poplutz (Tenor) und Wilhelm Schwinghammer (Bass) fügten sich
nahtlos in das hohe Niveau der Interpreten ein.
Ganz anders sah es im zweiten Bach-Konzert der Tage Alter
Musik aus. Eine experimentelle Interpretation von Johann Sebastian
Bachs früher Kantate "Christ lag in Todesbanden" BWV 4 und ihrer
musikalischen Vorläufer hatte das irische Ensemble eX unter
der Leitung von Caitríona O'Leary und Ariadne Daskalakis angekündigt.
Was allerdings im Theater Velodrom szenisch und musikalisch geboten
wurde, erweckte bestenfalls verständnisloses Kopfschütteln. Auf der
spärlich beleuchteten Bühne waren links ein großes Kreuz, rechts die
Instrumentalisten angeordnet. Unter das Kreuz drapierte man eingangs
einen Schädel, ein Abbild der sieben Schmerzen Mariae, ein Tablett mit
in Goldpapier verpackten Osterhasen eines bekannten Süßwarenherstellers
und einen großen roten Geschenkkarton. Gesungen wurde auch: "Christus
resurgens ex mortuis", die Ostersequenz "Victimae paschalis laudes",
Johann Hermann Scheins "Christ lag in Todesbanden", Heinrich Schützens
"Feget den alten Sauerteig" und "Christ ist erstanden" von Michael
Praetorius. Mit Heinrich Ignaz Franz Bibers Passacaglia g-Moll für
Solovioline (Ariadne Daskalakis) fand der erste Teil der Vorstellung –
wenig experimentell, noch musikalisch erhellend – nach etwas mehr als
einer halben Stunde ein Ende.
Bühnenbild
zu
Johann Sebastian Bachs Kantate "Christ lag in Todesbanden"
mit dem irischen Ensemble eX
(Foto: Ingo Negwer)
Nach der Pause - das Kreuz
schien inzwischen von Kinderhand bunt und fantasievoll bemalt worden zu
sein - folgte "Christ lag in Todesbanden". Auf einer fruchtgummibunten
Bühne spielte eine dekadente Gesellschaft zu den Klängen der Bachschen
Kantate die Passion Christi in grellen Farben und Gesten nach. In
solistischer Aufführungspraxis, nichtsdestotrotz sicherlich in jeder
Hinsicht meilenweit von den Intentionen des Komponisten entfernt,
nahmen sich Cassandra Hoffmann (Sopran, als Jungfrau Maria), Caitríona
O'Leary (Mezzosopran, als Maria Magdalena), Julian Podger (Tenor, als
Joseph) und Jörg Gottschlick (Bass, als Martin Luther) des Werks an,
wobei die Rollenverteilung lediglich aus den Angaben des
Festivalprogrammhefts zu erschließen war.
Vor dem Hintergrund der Rezeptionsgeschichte der Passion
Christi in Theater und Film der vergangenen 30 bis 40 Jahre handelte es
sich bei der Inszenierung des Ensemble eX keineswegs um eine
gelungene Provokation – hier kann der Rezensent die lautstarke Empörung
zahlreicher Zuschauer nur bedingt nachvollziehen. Selbst als die
Akteure auf der Bühne Jesu Leichnam vom Kreuz nahmen, auf einem großen
Tisch niederlegten und Martin Luther, sich den Talar vom Leib reißend
und nunmehr als Koch gekleidet, das Lamm Gottes zubereitete, wirkte die
Darbietung wie eine an Albernheit kaum zu überbietende spätpubertäre
Schülerinszenierung. Das war mehr peinlich als provokant. Seit Monty
Pythons legendärem "Life of Brian" braucht solche Parodien, wie
vom Ensemble eX geboten, niemand mehr!
Die Tage Alter Musik Regensburg 2011 boten jedoch nicht nur
Stoff zu (durchaus kontroversen) Diskussionen, sondern auch
musikalische Höhepunkte, wie die Matinee mit dem belgischen Ensemble Mezzaluna,
das
im Reichssaal englische Blockflötenmusik des 16. Jahrhunderts
kompetent und stilsicher präsentierte. Auch Artemandolino aus
Luxemburg hinterließ am selben Ort mit Barockmusik für Mandolinen und
Basso continuo einen vorzüglichen Eindruck. Facettenreich, mit
differenzierten dynamischen Abstufungen, nahm sich das Ensemble der
Werke von Antonio Vivaldi, Nicola Matteis, Evaristo Felice dall'Abaco
u.a. an.
Les
Musiciens de Saint-Julien in der St.Oswald-Kirche
(Foto: Ingo Negwer)
"Ländliche"
Unterhaltungsmusik des französischen Rokoko boten Les Musiciens de
Saint-Julien unter der Leitung von François Lazarevitch. Neben
Violine und Flöten erklangen außergewöhnliche Instrumente, wie Musette
(ein damals sehr populärer Dudelsack) oder Drehleier, und beschwörten
die idyllisch arkadische Welt der Schäferinnen und Schäfer herauf. Das
Repertoire besteht aus eher "leichter Kost" und wurde von den Musiciens
mit tänzerischem Schwung dargeboten. Olga Pitarch bereicherte
das Programm mit einigen Airs de Cour, die sie mit angenehm schlichtem
Sopran vortrug.
Einen bleibenden Eindruck hinterließ am Samstagabend das Harmony
of
Nations Baroque Orchestra . Unter der Leitung von Alfredo
Bernardini, der in Tomaso Albinonis Oboenkonzert d-Moll op. 9/2 selbst
den Solopart blies, trumpfte das mit durchweg jungen Musikern besetzte
Ensemble mit sicht- und hörbarer Spielfreude auf. Fein und filigran
gestaltete man Arcangelo Corellis Concerto grosso c-Moll op.6/3, in
einem virtuosen Feuerwerk endete Jean-Fery Rebels "Les Caractères de la
Danse". Plastisch und (wo es geboten war) zupackend setzte sich das Harmony
of
Nations Baroque Orchestra mit Georg Philipp Telemanns
bildhafter Tonsprache der Ouvertüre C-Dur TWV 55/6 auseinander.
Matthias
Maute
(3. von rechts) und das
Ensemble Caprice
(Foto: Ingo Negwer)
Einhellige Begeisterung löste
auch das Konzert des kanadischen Ensembles Caprice um den
Flötisten Matthias Maute aus. Das Programm mit Musik aus der Sammlung
Uhrovska von 1730 und von Georg Philipp Telemann lotete die Bedeutung
der osteuropäischen Folklore für diesen Komponisten aus, der von 1705
bis 1706 Hofkapellmeister in Sorau (im heutigen Polen) war und dort die
Musik der Sinti und Roma kennen und schätzen lernte. Dank der auf
höchstem Niveau auftrumpfenden Musiker, allen voran Matthias Maute und
der temperamentvolle Geiger Olivier Brault, wurde dieser experimentelle
musikalische Grenzgang zu einem mitreißenden Erlebnis.
Auf ganz ähnliches Terrain wagte sich REBaroque unter
der Leitung von Maria Lindal (Violine). Unter dem Motto "Variations"
spürte das schwedische Ensemble den Einflüssen der Volksmusik auf die
höfische Musik des Barock nach. Trotz der informativen Moderation von
Maria Lindal waren aber weder die inhaltlichen Zusammenhänge noch das
durchaus vitale Zusammenspiel der Akteure so überzeugend, wie am Abend
zuvor beim Ensemble Caprice.
Außergewöhnliche Wege ging auch das französische
Mittelalterensemble Dialogos. Zusammen mit dem Vokalensemble Kantaduri
aus Kroatien widmeten sich die drei Sängerinnen Clara Coutouly, Els
Janssens und Aurore Tillac (Katarina Livljanic - vierte im Bunde und
Leiterin von Dialogos - war leider erkrankt) der lateinischen
und glagolitischen geistlichen Musik Dalmatiens. Dabei ging die beinahe
schwerelose frühe Mehrstimmigkeit der Frauenstimmen in der halligen
Akustik der großen Dominikanerkirche eine bezaubernde Synthese mit dem
gleichsam geerdeten altslawischen Gesang der Männerstimmen von Kantaduri
(Leitung: Josko Caleta) ein.
Das
Ensemble
Lucidarium in der Minoritenkirche
(Foto: Ingo Negwer)
Bei den diesjährigen Tagen
Alter
Musik in Regensburg spielte das italienische Musiktheater
eine hervorgehobene Rolle. Zunächst bot das Ensemble Lucidarium
am Pfingstsonntag eine Kombination von italienischer Renaissancemusik
und Commedia dell'Arte. Leider hatten die engagiert agierenden
Schauspieler Enrico Fink und Martine Marincola Zbylut in der
Minoritenkirche einen überaus schweren Stand. Die Darbietung -
musikalisch auf hohem Niveau - hätte zweifelsfrei sehr unterhaltsam
werden können, wenn nur die Dialoge nicht der als problematisch
bekannten Raumakustik zum Opfer gefallen wären. So blieb dem Großteil
des Publikums nur, sich in Geduld zu üben, bis das Ensemble Lucidarium
wieder die Musik zu ihrem Recht kommen ließ. - Wie man ausgerechnet für
dieses Programm die Minoritenkirche auswählen konnte, ist absolut
unverständlich!
Großer
Schlussapplaus
für La Venexiana im Veledrom
(Foto: Ingo Negwer)
Mit Claudio Monteverdis "Il
ritorno d'Ulisse in patria" gingen die Tage Alter Musik am
Pfingstmontagabend zu Ende. Zugleich beschloss das italienische
Ensemble La Venexiana seinen Regensburger Zyklus aller
Monteverdi-Opern, der 2007 mit "Orfeo" begonnen hatte und 2009 mit
"L'Incoronazione di Poppea" fortgesetzt wurde. Im Unterschied zu den
vorangegangenen Aufführungen, entschied man sich beim "Ulisse" für eine
Teilinszenierung (Bühnenbild und Regie: Chiara H. Savoia), die dem
Publikum die Möglichkeit freier Assoziation, vor allem aber die
ungetrübte Konzentration auf das musikalische Geschehen erlaubte. Unter
der Leitung von Claudio Cavina (Cembalo) bot La Venexiana eine
souveräne und gewohnt hervorragende Leistung - allen voran Mirko
Guadagnini in der Titelpartie und Roberta Mameli als Minerva. Oksana
Lazareva, eingangs in der Tiefe mit einigen Problemen, fügte sich als
Penelope schließlich ebenso reibungslos in die Riege der
Hauptdarsteller ein, wie Makato Sakurada als Telemaco. Das Orchester
mit je zwei Violinen und Viole da bracchio, mit Violoncello, Lirone,
Violone und einer großen Continuo-Gruppe (drei Theorben, zwei Cembali,
Harfe) begleitete die Sänger aufmerksam. Lang anhaltender begeisterter
Applaus war der abschließende Dank des Publikums für eine durchweg
gelungene Aufführung.
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