Böhmische Komponisten in Paris
Von Thomas Molke
/ Pressefoto vom Staatstheater Nürnberg
Bei den Internationalen
Gluck-Opern-Festspielen in Nürnberg widmet man sich nicht nur
Kompositionen Christoph Willibald Glucks, sondern berücksichtigt auch andere
Komponisten, die mit der von Gluck vorangetriebenen musikalischen Entwicklung in
Verbindung stehen. Im zweiten Konzert der diesjährigen Festspiele hat man dabei
das Augenmerk auf im weitesten Sinne böhmische Komponisten gerichtet, deren Weg
unter anderem nach Paris geführt hat. Während Gluck im zarten Alter von drei
Jahren nach Böhmen übersiedelte und er zumindest einige Jahre in Prag studierte,
Jan Ladislav Dusík aus
Časlav in
Böhmen stammte und er von Prag aus seinen Weg in die großen europäischen
Metropolen einschlug, ist Antonín Reicha in Prag geboren und ließ sich ab 1809
in Paris nieder. Das Konzert verbindet nun recht bekannte Werke Glucks mit eher
seltenen beziehungsweise seit der Uraufführung wahrscheinlich nie wieder
präsentierten Stücken.
Der Abend beginnt mit drei Auszügen aus Glucks 1774 in Paris uraufgeführten Oper
Orphée et Eurydice, der französischen Fassung seiner ersten Reformoper
Orfeo ed Euridice, in der Gluck Elemente der französischen und
italienischen Oper zusammenführt. Neu in der französischen Fassung sind vor
allem die Erweiterung der Balletteinlagen, die in der damaligen französischen
Oper ein fester Bestandteil waren. Während die Ouvertüre aus der italienischen
Fassung übernommen wurde, erweiterte Gluck den berühmten "Reigen der seligen
Geister", unter denen sich Eurydice befindet um eine Flötenstimme und gab dem
lautmalerischen Stück damit eine neue Farbe. Neu in der französischen Fassung
ist das "Furien-Ballett", mit dem Gluck Orphées Eintritt in die Unterwelt
beschreibt und das er seinem eigenen Ballett Don Juan entnommen hat.
Dabei beschreibt das erregte Agitato der Streicher genauso gut das Höllenfeuer
für Don Juan wie die Schrecken des Hades in der heidnisch-antiken Vorstellung,
bevor man zu den Gefilden der Seligen gelangt. Marcus Bosch führt die
Staatsphilharmonie Nürnberg sehr eindringlich durch diese drei musikalisch recht
unterschiedlichen Stücke und vermag es vor allem, mit dem furiosen "Air de
Furies" beim Publikum eine Gänsehaut zu erzeugen.
Jitka Čechová
Jan Ladislav Dusík war zu seiner Zeit ein regelrechter Klavier-Star, der später
als Bindeglied zwischen Mozart und Beethoven galt und dessen Virtuosität am
Klavier bereits auf Chopin hinweist. Dusík war nicht nur der erste Pianist, der
bei seinen Konzerten den Flügel parallel zur Bühnenkante aufstellen ließ,
sondern er hat auch mit englischen Klavierbauern wesentlich zur Erweiterung des
Tonumfangs und des Klangvolumens der damaligen Hammerklaviere beigetragen. Sein
Konzert für Klavier und Orchester g-Moll ist sein einziges Klavierkonzert
in einer Moll-Tonart. Wahrscheinlich versuchte er, mit dem düsteren Klang die
schweren Ereignisse seines Lebens zu verarbeiten, da er um 1800 vor der Justiz
in London fliehen musste und seine Familie dort zurückließ. Das Werk erschien
1801 in Paris und besteht aus drei Sätzen. Der erste Satz beginnt in einer
tiefsinnigen Melancholie des Orchesters, bis das Klavier mit einem
wild-virtuosen Solo einsetzt und sich anschließend erneut mit dem Orchester der
Melancholie des Anfangs hingibt. Den zweiten Satz dominiert das Klavier in
leicht sentimentalem Spiel, wobei es vom Orchester lediglich leise untermalt
wird. Den dritten Satz durchzieht ein volksliedhafter Ton, wobei mehrmals der
Versuch gestartet wird, in die Dur-Tonart zu wechseln, das Stück dann aber doch
eher untypisch in Moll endet. Jitka
Čechová gelingt es, mit eindringlichem Spiel am Klavier diese unterschiedlichen
Stimmungen einzufangen, wobei sie in der Staatsphilharmonie Nürnberg unter der
Leitung von Marcus Bosch einen verlässlichen Partner hat.
Nach der Pause geht es mit Antonín Reicha weiter, der
heute vor allem durch seine virtuosen Bläserquintette und die theoretischen
Schriften zur Kompositionslehre ein Begriff ist. Zu seinen Schülern gehörten
unter anderem Hector Berlioz, Franz Liszt und Charles Gounod. Seine 14
Bühnenwerke blieben jedoch ohne jegliche Resonanz und sind bis heute nicht
wiederentdeckt worden. Die Staatsphilharmonie Nürnberg unter der Leitung von
Marcus Bosch präsentiert zunächst die Ouvertüre aus seiner 1816 uraufgeführten
Oper Nathalie ou La famille russe, einem Gelegenheitsstück in der
Tradition der Opéra comique. Diesem Werk war schon bei der Uraufführung kein
Erfolg beschieden. Ob der desaströse Russland-Feldzug der Grund dafür war, kann
nur gemutmaßt werden. Die Musik der Ouvertüre klingt schön, lässt aber das
Besondere vermissen und bleibt somit nicht in Erinnerung.
In seiner Tragédie-lyrique Sapho greift Benda eine
Geschichte um die gleichnamige griechische Dichterin auf und versucht, mit der
Verwendung zweier Harfen und einer Celesta in der Ouvertüre die musikalischen
Eigenheiten des Handlungsortes, der Insel Lesbos, und der Handlungszeit, der
griechischen Antike, einen sphärischen Klang zu geben. Sapho ist eine
Dreiecksgeschichte, bei der sich der junge Phaon aus Liebe zu Néris aus den
Fängen Saphos befreit. Die weiteren präsentierten Auszüge aus der Oper zeigen
nun Phaons schlechtes Gewissen, weil er Sapho verlassen hat und Néris' Versuche,
den Geliebten zu beruhigen, bis beide in einem anmutigen Duett ihre gemeinsame
Liebe besingen und in ihrer Verbundenheit dem Ende ihrer glücklichen Tage
gefasst ins Auge sehen. Tilman Lichdi verfügt über einen weichen lyrischen
Tenor, der die bangen Gefühle Phaons glaubhaft zum Ausdruck bringt und auch in
den hohen Passagen mit einer klaren Stimme zu überzeugen weiß. Michaela Maria
Meyer präsentiert Néris mit einem weichen, recht dunkel timbrierten Sopran und
stellt so einen geeignete Gegenpart zu Phaons Ängsten dar. Auch dieser Teil des
Konzertes wird vom Publikum mit großem Applaus bedacht.
FAZIT
Das Konzert verbindet geschickt Bekanntes mit Unbekanntem. Dass so viele Plätze
frei blieben, lag sicherlich nicht an der Qualität des Abends. Vielleicht war es
für einen Montagabend dann doch zu viel, parallel zu diesem Konzert noch zwei
Aufführungen der Oper Ezio zu präsentieren.
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Ausführende
Jitka
Čechová, Klavier
Michaela Maria Mayer, Sopran
Tilman Lichdi, Tenor
Marcus Bosch, Musikalische Leitung
Staatsphilharmonie Nürnberg
Werke
Christoph Willibald Gluck
Suite aus der Oper Orphée et Eurydice
1. Ouvertüre
2. Menuet des Ombres heureuses
3. Air de Furies
Jan Ladislav Dusík
Konzert für Klavier und Orchester g-Moll, op. 49
1. Allegro ma espressivo
2. Adagio
3. Rondo: Allegro non troppo
Antonín Benda
Ouvertüre zur Oper Nathalie ou La famille russe
Auszüge aus Sapho
1. Ouvertüre
2. Szene, Cavatine und Duett Phaon - Néris
"L'āpreté de ces lieux convient à ma douleur"
"Ç'est trop longtemps vouloir vous en défendre"
"Ah! Si j'étais trahi par celle qui m'est chère"
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