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Im falschen (?) Film gelandetVon Stefan Schmöe / Fotos © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
Da habt Ihr Euer Festspiel! scheint Frank Castorf dem Publikum, breit grinsend, zuzurufen. Doch Götter und Riesen sucht man vergebens, allenthalben Zwerge findet man, weniger in Hinblick auf die Körpergröße, als im übertragenen Sinne: Lauter Gestrandete an einer heruntergekommenen Tankstelle mit angeschlossenem Motel an der legendären Route 66 – einst Straße der Träume von Chicago nach Los Angeles, seit dem Bau der geradlinigen Interstate Highways zur Bedeutungslosigkeit verkommen. Hier, offenbar im nördlichen Zipfel von Texas, lungern drei spärlich bekleidete und vermutlich käufliche Damen mit einem Südstaaten-Proletarier im Unterhemd am winzigen Pool herum (die Rheintöchter und Alberich), während sich oben ein schmieriger, offenbar nicht ganz mittelloser Typ mit zwei Frauen im Bett vergnügt (Wotan mit Fricka und Freya). Zwei Schlägertypen mit Stemmeisen und Baseballschläger sorgen für Unruhe und wollen Schulden eintreiben (Fasolt und Fafner). Auf der Drehbühne ist das alles ziemlich detailgetreu gezeigt, zumal mit Live-Kameras alles gefilmt und direkt großformatig gezeigt wird – so nah ist man dem Rheingold-Personal in Bayreuth bisher noch nicht gekommen, und die Kameras zeigen gleich auch noch, was in den Nebenräumen passiert.
Verhängnisvolle Begegnung am Pool: Die Rheintöchter und Alberich
Man wähnt sich also im Film, wenn auch im möglicherweise falschen: Über Wagners Musik hat die Regie als zusätzliche Schicht ein B-Movie gelegt. Es ist gar nicht mal so, dass Castorf sagt: Eure Wagner-Riesen, das sind heute doch nur noch brutale Kleinganoven, die gerade einmal den Aufstieg vom verschwitzten Blaumann zum Nadelstreifen-Anzug (billigstes Modell) schaffen. Das sagt er zwar auch (und eine ganze Reihe von Details finden ihre zeitgemäße Entsprechung), aber in erster Linie setzt er, im Vertrauen auf Wagner-Sicherheit des Festspielpublikums, seinen eigenen „billigen“ Bilder gegen die „echte“ Musik. Die Erinnerungen, die man von anderen Inszenierungen im Kopf hat, oder auch die Modellvorstellungen von einer Götter-Riesen-Märchenwelt, sind als zusätzliche Ebene sicher mit einkalkuliert. Und bei aller filmischen Genauigkeit ist die Verfremdung, da bleibt Castorf seinem Brecht treu, ein nicht unwichtiges Stilmittel, etwa wenn die Kameras mehr und mehr ins Bild geraten. Riefe jemand, wie das ja mit Blick auf das deutsche Regietheater im Ausland gelegentlich der Fall sein soll, laut: „Trash!“ , Castorf würde wohl, schon wieder grinsend, ein „Bingo!“ entgegnen.
Beim Publikum der hier besprochenen Aufführung überwog, zumindest dezibelmäßig, die Zustimmung. Das ohnehin vom Stück her bereits temporeiche Rheingold bietet genug Anknüpfungspunkte, die Castorf aufgreift, und es ist schon, ja: cool, wie lässig er mit manchen Konventionen umgeht. Alberichs „Festnahme“ ist fast aufreizend konventionell erzählt, wobei die Verwandlung in Wurm (hier eine Schlange) und Kröte dank der Videotechnik einfach ins Innere eines Wohnwagens verlegt ist - da wird die klassische Theatermaschinerie von der schönen neuen Fernsehwelt schnöde ausgetrickst. Alberichs Fluch nach voran gegangenen Kampf um den Ring aber spult Castorf provokativ gelangweilt ab: Da sitzen Alberich, Loge und Wotan ganz unaufgeregt nebeneinander im Liegestuhl. Der Machtkampf ist ohnehin entschieden und der underdog Alberich chancenlos. Wozu dann den Liegestuhl verlassen?
Oleg Bryjak als kraftstrotzender Alberich ist die einzige wesentliche Neubesetzung gegenüber dem Premierenjahr – weder besonders tonschön noch intonationssicher, aber was bedeutet das schon angesichts einer Rollenauslegung, die viel mehr wuchtige Präsenz einfordert, die Bryjak auch jederzeit liefert. An der miserablen Textverständlichkeit dagegen müsste er unbedingt arbeiten. An Stelle von Günther Groissböck singt Wilhelm Schwinghammer einen schlanken, zupackenden und durch und durch zuverlässigen Fasolt. Neu ist auch Markus Eiche als solider, nicht allzu auffälliger Donner. Ansonsten ist das Rheingold-Personal gleich geblieben, ein Ensemble ohne Ausfälle, auch ohne ganz große Glanzlichter – wobei immerhin Wolfram Koch einen sehr sicheren Wotan gibt, der auch die heiklen Höhen beim Anblick Walhalls in der zweiten wie in der vierten Szene sicher und kraftvoll, nicht kraftmeiernd, und „rund“ im Klang stemmt.
Konflikt beim Tanken? Loge und Mine; Wotan (rechts) betrachtet das aus sicherer Distanz.
Norbert Ernst ist ein sicherer, in seinen Ariosi nicht allzu gesanglicher und insgesamt eher zurückhaltender Loge, Burkhard Ulrich ein prägnanter, hell charaktertenoral timbrierter Mime, Sorin Coliban ein solider Fafner. Claudia Mahnke (Fricka) und Elisabeth Strid (Freia) akzeptable, stimmlich nicht allzu charakteristische Gespielinnen Wotans. Mirella Hagen, Julia Rutigliano und Okka von der Damerau liefern ein quirliges Rheintöchterterzett, Nadine Weißmann mit nicht uninteressant eingedunkelter, aber leicht flackernder Stimme eine etwas unausgeglichene Erda im weißen Pelzmantel, Lothar Odinius einen lyrischen, leichtgewichtigen Froh.
Für die musikalischen Höhepunkte sorgen das ausgezeichnete Festspielorchester und Dirigent Kirill Petrenko mit einer klar strukturierten, flüssigen, immer sängerfreundlichen Interpretation, sehr genau im Detail gearbeitet und mit faszinierenden Klangfarben. Petrenko dirigiert kleinteilig, ohne die großen Bögen zu unterschlagen, reagiert sehr flexibel auf die vielen Wendungen, unterstreicht den vorherrschenden Parlando-Grundton, und entwickelt trotzdem Kraft in den symphonischen Entwicklungen wie dem sehr transparenten, glasklar musizierten Vorspiel, dem Abstieg nach Nibelheim oder dem Einzug nach Walhall im Finale. Das wirkt ungeheuer konzentriert und auf den Punkt gebracht, und es passt zur Inszenierung, ohne an Eigenständigkeit zu verlieren.
Ein boshafter, durchaus vielversprechender und orchestral glanzvoller Auftakt zum Ring mit ordentlichen Sängerleistungen.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Kostüme
Licht
Video Solisten
Wotan
Donner
Froh
Loge
Alberich
Mime
Fasolt
Fafner
Fricka
Freia
Erda
Woglinde
Wellgunde
Flosshilde
Rezension der Rheingold-Premiere 2013 Weitere Rezensionen von den Bayreuther Festspielen 2014 |
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