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Davon geht die Welt nicht unterVon Stefan schmöe, Fotos: © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
Die Götterdämmerung findet nicht statt. Jedenfalls nicht so, dass die Welt ernstlich ins Wanken geriete - zwei Kanister Benzin werden nicht viel ausrichten, und so bleibt Brünnhilde eine einsame Aktivistin im politischen Kampf gegen die Wall Street und deren Finanzgötter. Regisseur Frank Castorf konstruiert seinen Ring konsequent weiter bis zum relativ offenen Ende in einem zeitlich nicht genau fixierbaren Berlin um die Wendejahre herum, wo Kapitalismus und Sozialismus aufeinander prallen. Die Gibichungen sind so etwas wie eine Straßengang, dort, wo die Mauer quer durch die Häuser mit nach Westen zugemauerten Häusern verlief, mit Schnellimbiss in Hinterhoflandschaft. Ein verpacktes Gebäude, das auf Christos fröhliche Reichstagsverhüllung 1995 anspielt, erweist sich nicht als Parlamentsgebäude, sondern als New Yorker Börse - sicher auch ein böser Hinweis darauf, wo nach Castorfs Ansicht tatsächlich die Politik entschieden wird. Die bühnenbildnerische wie gedankliche Kehrseite davon ist eine verlassene Fabrik, und die Leuchtreklame für "Plaste und Elaste aus Schkopau" ist ein Abgesang auf die DDR.
Kurzer Traum vom Familienglück? Brünnhilde und Siegfried
Natürlich hat das Provokationspotential und will vieles gegen die Sehgewohnheiten inszenieren, auch gegen spätromatische Utopien und Erlösungshoffnungen. Aber Castorf bleibt eng am Stück, nicht nur in der Trostlosigkeit von Siegfrieds Tod, und er nimmt die Tetralogie ungleich ernster als seine Vorgänger in Bayreuth. Ob Alfred Kirchner (1994), Jürgen Flimm (2000) oder Tankred Dorst (2006) - sie alle entzogen sich letztendlich einer Deutung, die über werkimmanente Bezüge hinaus ging. Man muss über Harry Kupfers in Ansätzen zaghaft politischer Deutung 1988 bis zu Patrice Cheraus "Jahrhundertring" 1976 zurückgehen, um in Bayreuth auf eine vergleichbar konsequent durchdachte, den Ring zwischen Entstehungszeit und Gegenwart aufspannende Regie zu stoßen.
Keine Frage, Castorf ist nicht alles gelungen. Oft fehlt die Balance zwischen Idee, Textbuch und Musik. Oft überdeckt die Kleinteiligkeit eine zentrale Idee, und viele Details sind so kleinformatig geraten, dass sie aus dem Zuschauerraum kaum noch zu erkennen sind. Castorf verlangt viel, manchmal allzu viel Vorwissen, um die etlichen Anspielungen zu verstehen. Überhaupt scheint ihm wenig an Klarheit und Verständlichkeit zu liegen. Aber man kann keinesfalls von Regiewillkür sprechen, denn hier handelt es sich um eine außerordentlich intellektuelle, ernsthafte Auseinandersetzung. In die Jahre gekommen ist das insofern, als die Welle solchen Regietheaters an den Stadttheatern weitgehend abgeebbt ist. Ob der Ring eine derartige Dekonstruktion noch braucht, oder ob es da bereits ideologiekritische Deutungen zu Genüge gegeben hat, darüber ließe sich allerdings streiten. Und Castorf inszeniert natürlich oft auch mehr gegen als mit der Musik - die natürlich einiges aushält. Die Publikumsreaktionen am Ende der hier besprochenen zweiten Aufführungsserie 2014 waren insgesamt positiv; nicht dass es nach der Götterdämmerung nicht ohne vereinzelte (heftige) Unmutsbekundungen abgegangen wäre, aber eben auch nur vereinzelte, mit zahlenmäßig eher größerer Zustimmung kommentiert.
Tristes Ende in abgewrackter Industrielandschaft: Gutrune, Gunbter (auf der Treppe) und Brünnhilde mit dem ermordeten Siegfried
Festspielgeschichte schreibt mit Sicherheit das Dirigat Kirill Petrenkos. Dabei geht es nicht um Unterschiede im Detail, in der Wahl des "richtigen" Tempos, sondern um eine grundlegende Herangehensweise. Petrenko hat so genau mit der Partitur gearbeitet, eine solche Binnendifferenzieruzng innerhalb einzelner Takte herausgearbeitet, dass vieles anders klingt als sonst - und die glänzend genutzten akustischen Möglichkeiten des Festspielhauses tragen natürlich auch dazu bei. Nebenstimmen treten unerwartet hervor und verändern das Klangbild. Bezeichnend die ungemein sorgfältig gearbeiteten Phrasierungen des exzellenten Rheintöchter-Terzetts (Mirella Hagen, Julia Rutigliano, Okka von der Damerau). Auch die Abstimmung zwischen Sängern und Orchester ist hervorragend, der Klang wird "weitergegeben" und reißt nicht ab, aber das Orchester ist sofort zurückgenommen, wenn eine Singstimme einsetzt. Petrenko verliert sich aber nicht in solcher Kleinarbeit, sondern bindet alle Elemente in den großen Zusammenhang ein, drängt mit der Musik (bei zügigen Tempi) nach vorne und kostet auch die symphonischen Momente aus . Orchestral bietet dieser Ring ganz großes Festspieltheater, getragen natürlich von einer durchweg exzellenten Orchesterleistung.
Sängerisch ist das Niveau in dieser Götterdämmerung durchwachsen. Catherine Forster als Brünnhilde hat mit ihrem jugendlich strahlenden, nicht riesigen, aber doch ausreichend großen Sopran ganz starke Momente, gerade in den leiseren Passagen, aber auch die Kraft - nur ist die Stimme da wie an den Abenden zuvor immer wieder ungenau in Intonation und Tonbildung. Lance Ryan mogelt sich als Siegfried um die gefährlichen extremen Spitzentöne herum (und wird vielleicht deshalb vom Publikum unverhältnismäßig hart abgestraft?), das hat Wagner schon anders komponiert, und das recht helle Timbre gibt der Stimme nicht allzu viel Ausdrucksmöglichkeiten, zumal die Stimme im Piano wenig Substanz besitzt. Auf der anderen Seite hat er Kraft und Durchhaltevermögen und, bis auf die schon angesprochenen extremen Töne, auch eine sichere, strahlende Höhe.
Attila Jun ist ein abgrundtief böser, schwarzer, sehr kraftvoller (nicht unbedingt tonschöner) Hagen, Allison Oakes als Gutrune und Alejandro Marco-Buhrmester als Gunther ein zupackendes, stimmlich schlankes, nicht zu klein dimensioniertes Gibichungen-Geschwisterpaar. Oleg Bryjak poltert sich wie in den Abenden zuvor mit unverständlicher Diktion lautstark durch die Partie des Alberich, das sehr gleichtönige, den musikalischen Ausdruck nivellierende Vibrato von Claudia Mahnke fiel schon bei ihrer Fricka ins Gewicht - die Partie der Waltraute mit den langen, ruhigen Abschnitten liegt ihr recht gut, und das ist sicher eine passable Besetzung. Mit Okka von der Damerau und Christiane Kohl liefert sie, vielbeschäftigt, zudem ein sehr ordentliches (in schwarz, rot und gold gekleidetes) Nornentrio ab.
Die Götterdämmerung beschließt schlüssig einen Ring, über den sich viel diskutieren lässt. Castorf provoziert intelligent, aber er ist nicht als Stück-Zertrümmerer nach Bayreuth gekommen. Musikalisch ist es ganz klar Kirill Petrenkos Ring.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Kostüme
Licht
Video
Chor SolistenSiegfriedLance Ryan
Gunther
Alberich
Hagen
Brünnhilde
Gutrune
Waltraute
1. Norn
2. Norn
3.Norn
Woglinde
Wellgunde
Floßhilde
Rezension der Premiere 2013 der Götterdämmerung Weitere Rezensionen von den Bayreuther Festspielen 2014 |
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