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Das Ende der kommunistischen UtopienVon Stefan Schmöe, Fotos: © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
Na, da hat es Frank Castorf doch noch geschafft: Es wird protestiert. Und das nach jedem Aufzug, ziemlich lautstark. Die Regie hat Bilder gefunden, die unmittelbar berühren und auch provozieren - im Gegensatz zur, trotz allerlei Gedankenballast, hölzern konventionell inszenierten Walküre ist dieser Siegfried sehr viel direkter aus dem Text heraus entwickelt. So unangenehm, ja: widerlich erlebt man den vermeintlichen Helden selten. Der schaut dem sterbenden Mime genüsslich beim Todeskampf zu, derweil er sich mit der Mordwaffe die Fingernägel säubert (solche Manieren haben sich offenbar vererbt von Großvater Wotan, der zu Alberichs Fluch dasselbe Verhalten an den Tag legte). Und Fafner wurde zuvor mit einer Salve aus der Maschinenpistole dahingerafft – die Festspielleitung weist eigens per Aushang darauf hin, dass die hierfür erforderlichen Lautstärken nicht gesundheitsschädlich fürs Publikum seien. Wenn der Waldvogel, vielleicht das allerschönste Exemplar der Rezeptionsgeschichte überhaupt und wohl einem Berliner Varieté entflogen, den jungen Siegfried dann flugs an den nächtlichen Alexanderplatz Mitte der 1980er-Jahre entführt und statt romantischen Waldwebens die Selbstbesinnung des Heranwachsenden nicht unter Linden, sondern an Straßenlaterne und Mülltonne erfolgt, dann mutet das Regieteam dem Publikum in der Tat einiges zu.
Wissenswette im Campingmilieu: Wotan und Mime
Brünnhilde wurde in der Walküre auf sowjetischen Ölfeldern zu einer Zeit in Tiefschlaf versetzt, als es noch so etwas wie kommunistische Aufbruchsstimmung gab. Seitdem hat Mime, ein belesener Arbeiter mit kleinbürgerlicher Campingausrüstung, einen sowjetischen Mount Rushmore geschaffen und überlebensgroß die Köpfe der kommunistischen Säulenheiligen Marx, Lenin, Stalin und Mao in Stein gehauen. Wie schon in den Abenden zuvor nutzt Bühnenbildner Aleksandar Denic die volle Breite und auch Höhe der Drehbühne für seine imposanten Aufbauten, und die Schäbbigkeit des genial verknappten Berliner Alexanderplatzes ist ganz bildlich die Kehrseite der hehren Kommunistenvordenkerköpfe: Theorie und Praxis, wenn man so will. Und so erwacht Brünnhilde aus ihrem Dornröschenschlaf (der, man erinnere sich, ja als Strafe gedacht war) in der tristen Spätphase der DDR, und der erwartete Held göttlicher Abstammung ist ein schmieriger Killer. Da müssen Walküre wie Zuschauer erst einmal schlucken. Aber ist das so falsch? Und deuten die gefräßigen Krokoldile auf dem Alexanderplatz vielleicht an, dass auch dieser wenig attraktive Sozialismus in sehr baldiger Zukunft gefressen werden wird?
Ein weiterer Stein des Anstoßes ist eine stumme Figur, die Castorf hinzu erfunden hat. Statt des Bären führt Jungsiegfried einen Mann herein, den wir schon aus dem Rheingold als Pächter der Tankstelle kennen, der in diesem ersten Siegfried-Akt angeleint und slapstickhaft, wie eine Mischung aus Mensch und Hund, bei Wotans Auftritt Bücher versteckt und die Fernsehantenne verdreht (Mime wird doch wohl kein Westfernsehen schauen?) und zu den Schmiedeliedern das Anblasen des Feuers andeutet. Später wird er im Bistro auf dem Alexanderplatz als Kellner servieren, vielleicht arbeitet er auch für die Stasi (jedenfalls notiert er alles, was er auf den Kontrollbildschirmen sieht). Der ewige underdog, der in jedem System Getretene? Jedenfalls ging es ihm im kapitalistischen Rheingold, wo er von allen getreten wurde, auch nicht besser.
Berlin Alexanderplatz: Siegfried unter Laterne statt Linde
Von den Utopien, die Wagner in seinen jungen Siegfried (auch musikalisch) gesteckt hat, lässt Castorf nichts übrig, und der Humor ist in dieser Inszenierung abgrundtief zynisch. Die Bilderflut mit ihrem Assoziationsreichtum rückt die Musik zwangsläufig in den Hintergrund. Selbst das auf unverändert höchtem Niveau spielende Festspielorchester unter der Letung des famosen Kirill Petrenko hat es schwer, sich dagegen zu behaupten – wobei Castorf immerhin bei der Erweckung Brünnhildes kurz innehält und diese Szene weitgehend ungebrochen inszeniert. Catherine Foster singt das auch sehr schön mit nicht riesiger, aber doch hochdramatisch intensiver Stimme, auch wenn die Spitzentöne nach wie vor recht ungenau geraten. Lance Ryan ist ein Siegfried, der auch vokal zur Bracchialgewalt tendiert – das Piano ist wacklig, die Stimme im Forte hell (aber nicht zu offen) und metallisch und sehr durchsetzungsfähig. Vom schönen Ton, den Johan Botha als Siegmund demonstriert hatte, bleibt da nicht viel, aber das Durchhaltevermögen und die Höhensicherheit nötigen Respekt ab.
Der Mime von Burkhard Ulrich bleibt, obwohl mit großem Engagement gestaltet (wenn auch mitunter mit Petrenkos zügigem Tempo kämpfend) ziemlich farblos, viel Sprechgesang bei ziemlich wenig klanglicher Substanz. Wolfgang Koch meistert auch die tückischen Höhen der Wanderer-Wotan-Partie kontrolliert; den ganz großen Ton, den man sich wünscht, hat er nicht – ein solider Wotan ohne besonderen Glanz. Umjubelt wurde Nadine Weißmann für ihre Erda, aber warum? Die Stimme ist in der Mittellage nicht uninteressant, aber sehr unausgeglichen und fast permanent unschön forciert. Oleg Bryjak ist ein dezibelstarker, polternder Alberich, Sorin Coliban ein akzeptabler Fafner, Mirella Hagen ein auch stimmlich attraktiver, volltönender Waldvogel mit Problemen bei den Spitzentönen.
Eine durchdacht provokative Inszenierung, über die das Streiten lohnt – sängerisch aber nur bedingt festspielreif.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Kostüme
Licht
Video SolistenSiegfriedLance Ryan
Mime
Wanderer
Alberich
Fafner
Erda
Brünnhilde
Waldvogel
Weitere Rezensionen von den Bayreuther Festspielen 2014 Rezension der Siegfried-Premiere 2013 |
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