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Von der Seele des Klaviersvon Stefan Schmöe
Das teuerste Klavier der Welt lässt sich nicht mehr spielen. Unter Plexiglas verschlossen fristet es ein lebloses Dasein in einem Museum in Phoenix, Arizona. John Lennon hat einst Imagine darauf komponiert, was einem Beatles-Fan auf einer Auktion rund 1,67 Millionen Pfund wert war. Nur ein paar Töne klingen noch, die meisten Tasten erzeugen nur noch Geräusche. Wie jedes Klavier trägt es seine Geschichte mit sich, den Hall der Räume, in denen es gespielt wurde, wartet auf den "richtigen", den genialen Pianisten. Jedenfalls in der Vorstellung von Matthew Herbert, Künstler und Musikproduzent, der für diese Performance verantwortlich ist.
Herbert hat 20 Klaviere Ton für Ton elektronisch aufgezeichnet, sodass sie sich per Computer nachspielen lassen - in der Mitte der Bühne steht ein ziemlich wackeliges Tischchen mit zwei Tastaturen, über die sich die gespeicherten Töne abrufen lassen, fast so, als spiele man auf den originalen Klavieren. Wobei außer dem eigentlichen Ton oft auch Nebengeräusche aufgezeichnet wurden, als extremster Fall bei einem Klavier aus einem Londoner Gefängnis eine Sirene. Die Geschichte jedes dieser Instrumente ist in Kurzform im Programmheft abgedruckt, da gibt es neben "prominenten" Klavieren von Rachmaninow, Elgar, Mahler, Johann Christian Bach auch solche aus "normalen" Familien oder dem englischen Königshaus, "Gebrauchsklaviere" aus Schule, Gefängnis oder einem Schiff, ein Klavier völlig unbekannter Herkunft und einen noch nicht verkauften, brandneuen Steinway - es sind 20 sehr unterschiedliche Geschichten, die hier erzählt werden.
Nach einer kurzen, launigen Einführung (in englischer Sprache) durch Matthew Herbert improvisiert Sam Beste, wobei zum aufgerufenen Klang auf eine Leinwand das passende Bild eingeblendet wird. Viele der Instrumente sind grauslich verstimmt, was natürlich zur anekdotischen Konzeption der Performance passt. Danach spielt Sarah Nicolls mit den Klängen eines historischen Pianos der Bochumer Firma Ferd. Thürmer, des neuen Steinways und Rachmaninows Reiseklavier, und parallel dazu werden Textpassagen über die Geschichte des jeweiligen Instruments eingespielt. Abschließend spielen Beste und Nicolls gemeinsam Piano Phase von Steve Reich, eine fast 20-minütige Komposition der minimal musicfür zwei Pianisten, deren mehr oder weniger identische schlichte Patterns sich regelmäßig gegeneinander verschieben , von Sarah Nicolls für das vorgegebene Instrumentarium bearbeitet. Dem Komponisten hätten für dieses wie mechanisch ablaufende Werk wohl zwei brandneue Steinways mit ihrem unverbraucht "harten", klaren Klang besser gefallen, aber mit wechselnden, historischen Klanggestalten hat das auch seinen ganz eigenen ironischen Charme.
Ein wenig zerfällt der mit 75 Minuten ziemlich kurze Abend in Einzelteile. Die Überblendung von gesprochenem Text, Bild und Improvisation mit quasi-authentischem Klang, so wie zuvor die Geschichte des Thürmer-Klaviers angerissen wurde, das allein wäre ein tragfähiges Format gewesen, wo doch die 20 Klaviere noch weitaus mehr zu erzählen gehabt hätten. Immerhin: Auch so wird Matthew Herbert viele Zuhörer dazu gebracht haben, demnächst genauer auf ein Klavier, und sei es noch so unbedeutend, zu hören.
Ein interessanter, zu kurz geratener Abend, dessen Konzeption sich sicher noch verbessern ließe, der aber auch so nicht ohne Nachklang bleibt.
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ProduktionsteamMatthew Herbert, EinführungSarah Nicolls, Midi Piano Sam Beste, Midi Piano Alex Horky, Sounddesign weitere Berichte von der Ruhrtriennale 2012 - 2014 Homepage der Ruhrtriennale Berichte von der Ruhrtriennale 2009 - 2011 Intendant: Willy Decker) Ruhrtriennale 2008 Ruhrtriennale 2005 - 2007 (Intendant: Jürgen Flimm) Ruhrtriennale 2002 - 2004 (Intendant: Gerald Mortier) |
- Fine -