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Irritierende Botschaftenvon Ursula Decker-Bönniger und Stefan Schmöe / Fotos © Ruhrtriennale, Fotograf: Jörg Baumann, 2014
Im Nachhinein könnte man meinen, der Himmel über Bochum habe es mit der Wolkenfärbung und dem romantischen Licht- und Schattenspiel an diesem Abend besonders gut gemeint. Zunächst erfüllt ein bewegendes Dämmerlicht den Raum und erzeugt, zusammen mit der an eine gotische Kathedrale erinnernden Industriearchitektur der Jahrhunderthalle, eine geradezu spirituelle, das Licht in den Vordergrund rückende Atmosphäre. Auf diese wohltuenden Momente der Stille folgt ein ca. zwei Stunden dauerndes, nachdenklich stimmendes Theaterdokument unserer heutigen Welt, ein in seiner Fremdartigkeit faszinierender Blick, ein scheinbar wirres Konglomerat aus Schrei, Gebetsgesängen, ritualisierten Bewegungen und einer ohrenbetäubenden, futuristisch anmutenden Geräuschkulisse, die Kriegsbilder wie Blitzgewitter, Feuer, fallende Bomben ebenso in Erinnerung rufen wie Klänge einer Großstadt.
Lemi Ponifasios neue Produktion I AM, die nach den Festivals in Avignon und Edinburgh nun auch auf der Ruhrtriennale zu sehen ist, polarisiert. Der Titel nimmt Bezug auf das Buchstaben-Gemälde des neuseeländischen Malers Colin McCahon. Victory over Death 2 aus dem Jahre 1970. Wie eine Graffitti-Botschaft auf der Straße prankt dort "I AM" in riesigen Lettern. "Zu sagen wer man ist - I AM... ist derzeit die revolutionärste Aussage überhaupt", fasst Ponifasio in einem Gespräch die Intention seiner Inszenierung zusammen. Gewidmet ist das handlungslose Stück den Opfern des Ersten Weltkriegs (zu denen auch Neuseeländer und Australier zählten, die auf britischer Seite in Schlachten unendlich weit ihrer Heimat ums Leben kamen), ohne dass ein direkter Zusammenhang erkennbar wäre. Aber man kann I AM als verstörendes Trauerritual für alle Opfer von Gewalt auffassen.
Der Kosmopolit Lemi Ponifasio, im südpazifischen Inselstaat Samoa geboren und eng mit der neuseeländischen Kultur verbunden, durch seine künstlerische Tätigkeit aber zunehmend in aller (westlichen) Welt zuhause, zeigt in einer ritualisierten Ästhetik bewegende Bilder von Aufschrei, Hass und Gewalt, von Spiritualität und (vage angedeuteten) religiösen Botschaften. Sieht man einmal von dem zu Beginn einströmenden Dämmerlicht ab, ist der Bühnenraum überwiegend in Dunkel gehüllt, aufgehellt von Licht- und Schattenwirkungen durch hartes Streiflicht und die gelegentlichen monochromen Projektionen. In schwarze Einheitskleidung gehüllt, bewegt sich eine Gruppe von Menschen gleichförmig und in Zeitlupe wie Marionetten einer Prozession. Zugleich schreit jemand laut und durchdringend Beschwörungen oder Gebete ins Publikum. Die Texte (in diversen Sprachen aus dem südpazifischen Raum) verschließen sich dem unmittelbaren Verständnis, selbst wenn im Programmheft Übersetzungen abgedruckt sind. Als weitere Realitätsebene kommt das ohrenbetäubende Klangband aus nicht näher spezifizierbaren Geräuschen, an Großstadt oder im dumpf basslastigen Donnergrollen auch Krieg erinnernd, hinzu.
Immer wieder schlagen sich Darsteller lautstark und sehr kraftvoll auf den eigenen Körper. Auch kulturelle Tempel werden zerstört: In einer Szene tritt eine android wirkende, mit einer Schusswaffe ausgestattete Ophelia auf. Ihr Rachebild erstarrt. Ihr zuvor sprechender Mund wird mit einer Rose gestopft. Sie wird mit Blut bespuckt. In der Schlussszene kehrt Ponifasio schließlich zur anfänglichen Atmosphäre der Ruhe und Besinnlichkeit zurück. Die riesige, schwarze Bühnenwand hat sich zu einer schiefen Ebene abgesenkt und wird zur Projektionsfläche eines den gesamten Raum einschließlich der Rückwand der Jahrhunderthalle erfüllenden, schillernden, minutenlang sintflutartig sich ergießenden Wasserfalls.
Ponifasio versammelt in seiner 1985 gegründeten Gruppe MAU Menschen verschiedener Nationalitäten und Kulturen, die sich der Veränderung der Gesellschaft verschrieben haben. Und ihre künstlerische Darbietung überzeugt und fasziniert.
Ob starr, synchron als Gruppe ausgeführt oder im Sumo-Ringer-Duett, ihre Bewegungen sind von unglaublicher Körperbeherrschung getragen. Ebenso erfordern die minutenlang geschrieenen Beschwörungen ein geschultes Stimmorgan.
Der Bruch mit westeuropäischen Theater- und Sehgewohnheiten, auch die (teilweise recht laute) Klangcollage aus Geräuschen und sehr fremder Volksmusik, macht weiten Teilen des eigentlich doch experiementerprobten Triennale-Publikums gehörig zu schaffen, den großen Bildern zum Trotz. Fast fluchtartig leert sich der Saal nach Ende der zweistündigen Aufführung, die natürlich auch vom Zuschauer einen langen Atem verlangt. Keine Proteste, aber von vielen kaum oder gar keinen Applaus - den Lemi Ponifasio und die MAU Company sich mit ihrer konzentrierten, überaus engagierten Arbeit mehr als verdient haben. Für Intendant Heiner Goebbels und die Ruhrtriennale ist I AM im Spannungsverhältnis zu den vielfältigen europäischen Kunst- und Theaterformen nichtsdestotrotz ein absoluter Gewinn.
Diese Theaterperformance macht es dem Publikum nicht leicht. Sie ist trotzdem sehenswert, fasziniert mit ihrem fremdartigen Blick und überzeugt in Ästhetik und körperbeherrschter Darbietung.
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Produktionsteam
Konzept, Design, Choreographie, Regie
Licht, technische Leitung
Künstlerische Produktionsleitung
Technische Produktionsleitung
Komposition Sound
Klangregie
Kostüme
Solisten
Moteatea (traditioneller Gesang)
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- Fine -