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Wie Musik des 20. Jahrhunderts zum Klanggenuss wird
Krönender Abschluss der Ruhrtriennale 2012-14 ist das Konzert des Royal Concertgebouw Orchestra Amsterdam mit dem Netherlands und dem Flemish Radio Chor, den beiden Solistinnen Allyson McHardy und Jane Archibald und dem fantastischen Jonathan Nott. Unter seiner Leitung verlieren sich die ca. 120 Orchestermusiker und 80 Chorsänger wie in Trance in Ligetis kammermusikalisch transparentes, vielstimmiges, bis ins feinste Pianissimo gestaltetes, beseeltes Geräuschgewebe. Es drohen dynamisch anwachsende, dissonante Klangballungen oder abruptes, ekstatisches Chaos, aber nie wird die akustische Schmerzgrenze überschritten. Nott pflegt die Kultur des Leisen, Mittellauten, einen impressionistischen Orchesterklang, in dem sich Klangfarben und Spielweisen wie solistische Farbtupfer in wunderbarer Harmonie ergänzen. Und er führt damit geradezu vor Augen, wie sehr auch die klassische Musik des 20. Jahrhunderts – sozusagen autonom, ohne weitere Mittel der Inszenierung - uns unbekannte, „sublime“ Klangwelten eröffnen kann, transzendierende Erfahrungen ermöglicht, die ansonsten der Religion oder dem Drogenkonsum vorbehalten sind. Es beginnt mit nacheinander einsetzenden, tonlosen Windgeräuschen der Bläser in Trance Dance, einem variantenreichen, symphonischen Werk des bei uns weitgehend unbekannten, 1964 geborenen, niederländischen Komponisten Robert Zuidam. Anschließend folgt Arcana von Egar Varèse. Erstarrt bei Zuidam die „Melodie“ noch zu lang ausgehaltenem Blechbläser-Unisono, nimmt sie in dem 1925-27 in den USA komponierten Varèse-Werk Gestalt an, drückt sozusagen eine aus den tiefsten Tiefen kommende Furcht und Bedrohung aus. Das Werk lebt von einer rhythmisch-melodisch markanten „Idee Fixe“, die zunächst aus den Klangtiefen von Pauke, Heckelphon, Tuba und Celli über das Orchester hereinbricht und im weiteren Verlauf ständigen rhythmischen und klangfarblichen Entwicklungen und Transformationen unterworfen ist. Konterkariert von schrillen, hohen Dissonanzen, Generalpausen und vereinzelten, karnevalesk anmutenden Marschzitaten, entsteht ein groteskes, bis an die Zerreißprobe gespanntes Klanggemälde, aus dem die dissonanten Signale wie Hilferufe hervortreten. Nach der Pause wird es feierlich. Strawinskys Zvesdolikiy, der „Sternenkönig“, eine kurze, 1911/12 unmittelbar vor dem Sacre du Printemps entstandene, harmonisch neue Wege beschreitende Komposition für Männerchor und Orchester ist Debussy gewidmet. Es beginnt mit einem erhabenen, sechsstimmigen, homophonen A Capella-Chorsatz, der von den Männerstimmen des Netherlands und des Flemish Radio Chors zum Teil auswendig, wunderbar homogen und transparent vorgetragen wird. Textdeklamation, Klang und Rhythmus der russischen Sprache stehen auch in der folgenden Vertonung des symbolistischen Gedichtes von Konstantin D. Balmont im Vordergrund. Das begleitende Orchester ist weniger eine harmonische Stütze des Gesangs, sondern dient eher dazu, atmosphärische Stimmungen zu illustrieren. Mit dem Kyrie aus Ockeghems Missa Prolationum folgt ein kurzer historischer Ausflug in die experimentelle Polyphonie des 15. Jahrhunderts. Highlight des Abends ist das unmittelbar folgende, von Nott faszinierend interpretierte Requiem für Sopran- und Mezzosopran-Solo, zwei gemischte Chöre und Orchester von György Ligeti aus den 1960er Jahren. Langsam und kammermusikalisch transparent entfaltet sich aus der Stille und den tiefen Bässen ein auf- und abwärts gleitendes, mikrotonal schwebendes Chor-Stimmgewebe, in das das Orchester hin und wieder einzelne Farben wirft. Nicht die Textverständlichkeit, sondern die dynamische Entwicklung, die Farbigkeit der Silben, Solo- und Chorstimmen und des Orchesters stellt der Dirigent ins Licht. Kurz vor dem Lacrimosa ertönen von außen zum Gottesdienst läutende Glocken. Nott greift in seinem Metrum die Glockenschwingungen auf, lässt in der beseelten Inszenierung noch eine weitere Farbe anklingen. Das Publikum bedankt sich und würdigt die außergewöhnliche Darbietung von Solosängern, Chören und Orchester und Leistung des Dirigenten mit Bravi und lang anhaltendem, stürmischen Beifall.
Ein stimmiges Konzertprogramm, eine meisterliche Darbietung von Solisten, Chören
und Orchester und ein wunderbarer Dirigent, der das Faszinierende und Besondere
der jeweiligen Kompositionen herauszukitzeln weiß Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
ProduktionsteamRoyal Concertgebouw Orchestra Amsterdam Netherlands Radio Choir Flemish Radio Choir
Dirigent
Sopran
Mezzosopran
Robert Zuidam |
- Fine -