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Ca5(OH)(PO4)3von Ursula Decker-Bönniger / Fotos © Wonge Bergmann für die Ruhrtriennale, 2014
„Musik ist ihrem Wesen nach unfähig, irgendetwas ‚auszudrücken’“, schreibt Strawinsky in seinen Erinnerungen und doch hat kaum ein Werk die Gemüter mehr bewegt als der Sacre du Printemps bei seiner Uraufführung im Jahre 1913. Schrille Instrumentierung, motorisch wiederholte Rhythmen und Melodieformeln, dissonante Klanghäufungen und die mythologischen Szenen aus dem heidnischen Russland, in denen ein auserwähltes junges Mädchen in rituellen Handlungen und Tänzen dem Frühlingsgott geopfert wird, diese rauschhafte Wildheit und Vitalität entfesselten damals auch die Reaktionen des Publikums.
Romeo Castelluccis Provokation besteht darin, die Strawinsky-Musik „der mächtigen Banalität unserer Zeit“ gegenüberzustellen und die Tänzer durch Staub - genauer: Knochenstaub, also zermahlene Tierknochen - versprühende Maschinen zu ersetzen. Als Highlight der Ruhrtriennale 2013 im Sacre-Jahr angekündigt musste die Produktion auf 2014 verschoben werden. Mittlerweile sind die technischen Probleme gelöst. 37 Maschinen befinden sich unter der Decke der leeren, rechteckigen, eher an eine Industriehalle, denn einen Theaterraum erinnernden Bühne der Gebläsehalle des Landschaftsparks Duisburg-Nord. Mal rieseln Staubfahnen von rechts nach links und links nach rechts. Mal werden zu den rhythmischen Akzenten Staubmassen ausgeworfen, sodass sie mit dumpfem Aufprall den Boden berühren. Mal schwingen kübelartige Behälter hin und her, sodass der Staub kurvenartig herunterrieselt. Mal spucken sie auf die durchsichtige Wand, die Publikum und „Bühnengeschehen“ voneinander trennen. Alles ist sauber, steril, berechnet und gesteuert. Die Atemwege bleiben verschont. Die Maschinen arbeiten quasi geräuschlos und auch der typische Geruch von Düngemitteln bleibt aus. Die Musikeinspielung unter der Leitung Teodor Currentzis kommt vom Band. Computer koordinieren das Zusammenspiel. Allerdings stimmen rhythmischer Akzent und Staubabsonderung nicht überein. Auswurf, Fallgeschwindigkeit und Aufprall folgen ihren eigenen Tempi. Die Sacre-Choreographie ist zum Symbol der Entfremdung geworden.
Der Verlauf folgt grob der formalen Anlage des Werkes. Eine innere, dramaturgische Entwicklung sucht man jedoch vergebens. Lediglich im zweiten Teil, wenn in der dem Sacre zugrundeliegenden Handlung die mythische Feier vorbereitet wird, die Ahnen herabsteigen, um das Opfer zu empfangen und mit sich zu nehmen, senkt sich die Maschinenanlage gen Boden, wandert langsam durch den Bühnenraum. Dann tun sich mithilfe von Licht und Projektion plastische Sandlandschaften auf und formen Bilder, die an einen fernen Weltraumblick auf die Erde erinnern.
Dass der italienische Bühnenbildner und Regisseur Romeo Castellucci in teilweise provozierender, immer diskussionsanregender Weise gesellschaftliche Tabus bricht, Bühnenwirklichkeit und reales Leben miteinander zu verbinden weiß, zeigen die Produktionen mit seiner 1981 gegründeten Theatercompagnie Raffaello Sanzio. Letztes Beispiel ist die Inszenierung von Glucks Orpheus und Eurydike in Wien im Mai diesen Jahres. Orpheus, der seine verstorbene Gattin Eurydike aus dem Totenreich zurückholen will, begegnet in anrührender Weise einer im Wach-Koma liegenden, jungen Frau. Diese durch Musik vermittelte Verbindung von Szene und wirklichem Leben hat verstört, berührt und eine ausgesprochen heutige, emotional anrührende Vorstellung von der griechischen Schattenwelt des Hades vor Augen geführt.
Die Sacre-Produktion verweigert sich einer solchen Verbindung. Wenn sich im Danse sacrale, im Rondo-Gipfel der Musik die gesteigerten Emotionen Bahn brechen, sich im ursprünglichen Bild die Auserwählte zu Tode tanzt, um ihre Kraft, ihr Leben als Gabe für den wiedererwachten Frühling zu opfern, ist der Blick auf die Bühne von einem weißen Vorhang verstellt. Diesen Höhepunkt des Werkes konterkariert Castellucci mit minutenlangen, trockenen Informationen zu Beschaffenheit, industrieller Herstellung und Verwendung tierischer Knochenasche. Man erfährt zum Beispiel die chemische Formel, dass Knochenasche bei Raumtemperatur geruchlos ist, dass die Tierknochen auf 1000 Grad erhitzt werden, um organische Reste zu entfernen, dass das Material dann bei 1200 Grad entwässert, entfärbt und zerkleinert wird, um sodann den Boden zu düngen, dass für die Sacre-Produktion 6 Tonnen Asche von 75 Rindern benötigt wurden etc.
Das Publikum begegnete der überwiegend nüchternen, kühl-distanzierten und wenig detaillierten, fantasielosen Auseinandersetzung entsprechend zurückhaltend. Als nach dem abrupt endenden Schlussakkord Menschen in Ganzkörperschutzanzügen umständlich die Asche in Kisten schaufeln und vereinzelt umher liegende Tierknochen einsammeln, verlässt man die Halle kommentarlos. Keine Buhs. Keine Bravi. Kein Applaus.
Diese auf den ersten Blick interessante, in Konzeption und Ausführung aber enttäuschende Auseinandersetzung mit Strawinskys Meisterwerk muss man nicht gesehen haben.
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Produktionsteam
Konzept, Regie
Sound
Programmierung
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- Fine -