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Schnell vergängliche Augenblicke des Glücks zu zweitvon Stefan Schmöe / Fotos © Anne Van Aerschot
Mit den natürlichen Lichtverhältnissen hat die belgische Choreographin Anne Teresa de Keersmaeker schon häufiger gespielt, so bei En Attendent und Cesena (u.a. Ruhrtriennale 2012), zu spielen in der Abend- und Morgendämmerung. Auch ihr neuestes, jetzt in Bochum uraufgeführtes 40-Minuten-Stück Verklärte Nacht (ziemlich kurz für einen Ballettabend) baut auf den Moment des Übergangs vom Tag zur Nacht und die ganz eigentümliche Atmosphäre der unbeleuchteten Jahrhunderthalle mit ihrer verglasten Stirnwand und gestaffelten Fenster in der Decke, die das letzte Restlicht des Tages einfangen – und es ist dieser geheimnisvolle Moment vor der eigentlichen Aufführung, der den Abstand herstellt und der Aufführung den geheimnisvoll rätselhaften Rahmen gibt. Im Stück selbst sorgt ein Scheinwerfer von schräg vorne rechts für leicht unterkühltes Kunstlicht, das den spätromantischen Gestus der Vorlage nicht aufgreift. Nichtsdestotrotz bleibt dieser Saal ganz große Kulisse, nicht nur zum Vorteil der Choreographie, weil er natürlich auch ablenkt.
Schönbergs 1899 (und damit vor seiner Abwendung von der Tonalität) komponiertes Streichsextett Verklärte Nacht bezieht sich auf ein gleichnamiges Gedicht von Richard Dehmel, 1896 verfasst. Darin geht ein Paar durch einen nächtlichen „kalten Hain“. Die Frau gesteht, von einem anderen (ungeliebten) Mann schwanger zu sein; ihr Partner erklärt darauf hin, das Kind wie sein eigenes annehmen zu wollen: „Du wirst es mir, von mir gebären.“ Schönberg hat dazu eine hoch expressive, spätromantische Musik komponiert, die er später für Streichorchester umgearbeitet hat – de Keersmaeker verwendet diese opulentere Fassung in einer Aufnahme der New York Philharmonic unter Pierre Boulez (wobei ihrem reduzierten Zwei-Personen-Stück wohl auch die Originalfassung gut, vielleicht sogar besser, angestanden hätte). Ein romantisches Nachtstück hat sie nicht choreographiert; die eigentliche Bühne besteht aus einem schlichten rechteckigen Tanzboden, allerdings von imposanten Ausmaßen – und es ist wie schon in früheren Stücken beeindruckend, wie die Choreographin auch mit nur zwei Tänzern die gesamte Fläche bespielt und diesen Raum virtuos ausnutzen, ja füllen kann.
Ein Mann, unauffällig grauer Anzug, offenes weißes Hemd; eine Frau, schlichtes rosafarbenes, dezent gemustertes, knielanges Kleid, beide barfuß; keinerlei Requisiten; – die Grundkonstellation ist auf das Notwendigste reduziert. Wald, Nacht, Natur sind vollständig ausgespart. Allerdings stellt de Keersmaeker dem eigentlichen Pas de Deux ein kurzes Vorspiel voran, der auf die Dreieckskonstellation des Gedichts anspielt: Eine kurze Begegnung der Frau mit einem Mann, dann der gleiche Ablauf mit einem anderen Mann. Das bleibt ziemlich unbestimmt, nicht mehr als die Ahnung davon, dass so eine Zweierbeziehung keineswegs stabil sein muss. Mit dem Einsetzen der Musik ist es ein reines Zweipersonen-Stück, wenn auch ein asymmetrisches, weil die Choreographie viel stärker auf die Frau fokussiert. Der Mann steht lange Zeit mit dem Rücken zum Publikum im hinteren Teil der Bühne, während die Frau ein großes Solo tanzt, das aber Pathos und alle großen Gesten vermeidet. Es ist ein vorsichtiges Annähern, sehr bewegungsreich und gleichzeitig unangestrengt leicht. Samantha van Wissen tanzt das mit nonchalanter Selbstverständlichkeit, sehr unaufgeregt.
Anne Teresa de Keersmaeker zeigt kein Handlungsballet; Schwangerschaft wie Geständnis werden nicht erzählend dargestellt. Schon Schönberg wehrte sich dagegen, seine Komposition als „Programm-Musik“, als instrumentale Nacherzählung, zu interpretieren, wollte sein Werk lieber als „reine“ Musik sehen. Ähnlich verhält es sich mit der Choreographie, die eine Zweierbeziehung zeigt und deren Verletzbarkeit, aber nicht das Dehmel-Gedicht auf die Bühne transponiert. Irgendwann gibt der Mann seine abweisende Haltung auf, fängt und trägt seine Partnerin, bleibt aber trotz kurzer Soli viel passiver. Nordine Benchorf erreicht nicht ganz die Leichtigkeit seiner Partnerin. Trotz aller Momente der Zweisamkeit wird es kein „echter“ Pas de Deux, keine dauerhafte Vereinigung oder gar Apotheose, sondern kurze Augenblicke des Glücks. Und jeder möglichen Verklärung zeigt die Choreographin die eiskalte Schulter, denn nach dem letzten Ton wenden die beiden sich bereits wieder voneinander ab. „Zwei Menschen gehn durch hohe, helle Nacht.“ lautet die letzte Zeile von Dehmels Gedicht. Keersmaekers Ballett endet dagegen in der Dunkelheit.
Ein schönes, berührendes Stück.
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Produktionsteam
Choreographie
Kostüm
TänzerBostian AntoncicNordine Benchorf Samantha van Wissen weitere Berichte von der Ruhrtriennale 2012 - 2014 Homepage der Ruhrtriennale Berichte von der Ruhrtriennale 2009 - 2011 Intendant: Willy Decker) Ruhrtriennale 2008 Ruhrtriennale 2005 - 2007 (Intendant: Jürgen Flimm) Ruhrtriennale 2002 - 2004 (Intendant: Gerald Mortier) |
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