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Ruhrtriennale 2015 - 2017 (Intendant: Johan Simons)

Spielzeit 2015 (14.08.2015 - 26.09.2015)

 

Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke

von Anne Theresa de Keersmaker
Text von Rainer Maria Rilke


in deutscher Sprache mit Texteinblendung in deutscher und englischer Sprache

Aufführungsdauer: ca. 1h 10' (keine Pause)

Uraufführung am 24. September 2015 in der Gebläsehalle im Landschaftspark Duisburg-Nord

Logo: Ruhrtriennale 2015

Lasst uns mal wieder gemeinsam Rilke lesen

von Stefan Schmöe / Fotos von Anne Van Aerschot und Herman Sorgeloos

Das Büchlein ist historisch verdächtig: So mancher deutsche Soldat im ersten (und sogar noch im zweiten) Weltkrieg hatte Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke im Marschgepäck. Die kurze, kunstvoll verschrobene Geschichte eines 18-jährigen Mannes, der 1664 in den Krieg gegen die Türken zieht, das raue Leben der Soldaten erfährt, mit einer geheimnisvollen Gräfin seine erste Liebesnacht erlebt und waffenlos, aber mit fliegender Fahne (der "Cornet" ist der Fahnenträger) in die Schlacht zieht und unter 16 Säbelhieben stirbt - das schien die Glorifizierung des Heldentodes an der Front zu sein. Rilke, der mit der Darstellung eines vermeintlichen Vorfahren nebenbei an einer Familienlegende strickte, mag wohl eher das Bild vom Leben als Feldzug vorgeschwebt haben in seiner verspäteten Sturm-und-Drang-Erzählung, die, obwohl oberflächlich Prosa, im kunstvollen Rhythmus und mehr oder weniger offenen Reimen oder Reimanklängen durch und durch den Lyriker verrät.

Vergrößerung in neuem Fenster Michaël Pomero und Anne Theresa De Keersmaeker, hinten links Chryssi Dimitriou (Foto: Anne Van Aerschot)

Weniger der Inhalt als mehr die ungeheure Musikalität von Rilkes Sprache ist wohl das, was die belgische Choreographin Anne Theresa De Keersmaeker am Cornet fasziniert. Gleichwohl ist der Weg vom Text zum Tanz nicht eben leicht, wie schon die seltsame, nicht ganz glückliche Bezeichnung "Literaturtanz" zeigt, die Dramaturg Vasco Boenisch für diese Produktion gefunden hat. De Keersmaeker hat die Bühne der Gebläsehalle im Landschaftspark Duisburg-Nord mit einem grauen Boden auslegen lassen, auf den eine dünne, abblätternde Farbschicht aufgetragen ist. Wenn Tänzer Michaël Pomero in grauer Hose und Hemd und militärisch anmutenden Halbstiefeln seine Kreise zieht, wirbelt der Abrieb Staub auf und hinterlässt Spuren auf der Tanzfläche. Darin mag man Anklänge an die im Text beschriebene staubige ungarische Landschaft erahnen, in den geduckten Bewegungen weitab von der Grazie des klassischen Ballett-Tanzes die Mühen des (Soldaten-)Lebens erahnen. Später kommt Anne Theresa De Keersmaeker hinzu, ganz ähnlich gekleidet (wenn auch in Blautönen), und sie verdoppelt die Bewegungen Pomeros. Immer wieder scheinen die beiden mit Arm und Hand eine Richtung anzuzeigen. Die Bodenhaftung, das bedrückend Gebeugte verlieren die beiden kaum einmal. Konkreter wird die Körpersprache nicht. Eine Geschichte, gar eine Geschichte von Liebe und Tod, erzählt dieser Tanz nicht.

Vergrößerung in neuem Fenster Chryssi Dimitriou (Foto: Anne Van Aerschot)

Dann ist da noch die grandiose Flötistin Chryssi Dimitriou, die, typisch für Arbeiten von De Keersmaeker, in die Choreographie einbezogen wird und (auswendig) Musik von Salvatore Sciarrino spielt: Kaum ein Ton, der "konventionell" erzeugt wird, dafür eine Hervorhebung des Luftstroms und der percussiven Geräusche, die durch die Flötenmechanik entstehen. Ein hektischer, gleichmäßiger Puls geht durch die Komposition, treibt die beiden Tänzer an. Nicht, dass De Keersmaeker die Musik tänzerisch umsetzt, etwa den Rhythmus aufgreift; vielmehr stehen Tanz, Musik und Raum nebeneinander, drei autonome Schichten, die sich befruchten, aber ihre Eigenständigkeit behalten.

Vergrößerung in neuem Fenster Anne Theresa De Keersmaeker vor Rilke-Lektüre (Foto: Herman Sorgeloos)

Und Rilkes Erzählung? Die wird irgendwann, wenn niemand mehr auf der Bühne ist, auf die Rückwand projiziert, Seite für Seite im Original und in englischer Übersetzung. Da kommt ein Hauch von Volkshochschule auf: Lasst uns mal zusammen Rilke lesen. Etwa nach der Hälfte betritt De Keersmaker wieder die Bühne (da bricht die Projektion erst einmal ab) und beginnt, den kompletten Text zu sprechen, auswendig, immer in tänzerischer Bewegung. Sie macht das großartig, sehr musikalisch und mit leichtem Akzent, und tatsächlich gibt der Rhythmus der Sprache die Impulse für den Tanz. In der zweiten Hälfte kann man simultan mitlesen. Von Kriegsverherrlichung bleibt da kaum eine Spur. Wohl aber eine ganz eigentümliche Sprach-Tanz-Kunst.


FAZIT

Wer einen Tanzabend erwartet, wird enttäuscht, denn davon gibt es nur ein paar Minuten. Anne Theresa de Keersmaekers eigenwillig choreographierte Rilke-Rezitation hat freilich eine ganz eigene Faszination.






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Produktionsteam

Choreographie und Konzept
Anne Theresa De Keersmaeker

Licht
Luc Schaltin

Kostüm
Anne-Catherine Kunz

Grafikdesign
Casier / Fieuwe

Dramaturgie
Vasco Boenisch


Solisten



Tänzerin / Rezitation
Anne Theresa De Keersmaeker

Tänzer
Michaël Pomero

Querflöte
Chryssi Dimitriou





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