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Rückkehr zum Beginn der Menschheitvon Thomas Molke / Fotos © Wonge Bergmann für die Ruhrtriennale 2015
Joseph Haydns Oratorium Die Schöpfung zählt sicherlich zu den bedeutendsten deutschen Werken dieser Gattung und führte dazu, dass Haydn sich auch im Bereich der Vokalmusik ein Denkmal setzen konnte, das die Jahrhunderte überdauert hat und sich auch heute in den Konzertsälen noch großer Beliebtheit erfreut. Inspiriert hatten ihn vor allem die Oratorien Händels, mit denen er sich vor allem während seiner Aufenthalte in England beschäftigte und deren große Chorbesetzungen ihn beeindruckten. So dürfte es für den Präfekten der kaiserlichen Hofbibliothek und einflussreichen Musikmäzen, Baron Gottfried van Swieten, ein Leichtes gewesen sein, Haydn zu überzeugen, ein Oratorium "im Geiste und in der Manier Händels" zu schreiben. Als Haydn dann mit einer Adaption von John Miltons 1667 veröffentlichten epischen Dichtung Paradise Lost zurückkehrte, behielt van Swieten nur einige Sprachbilder Miltons bei und konzentrierte sich vielmehr auf die in der Genesis überlieferte Schöpfungsgeschichte. Der Sündenfall wurde völlig aus dem Libretto gestrichen, so dass das Oratorium mit einem Loblied auf den Herrn endet, der mit der Erschaffung des glücklichen Paars Adam und Eva seine Schöpfung perfektioniert hat. Erster Teil: Die Entstehung der Welt: vorne von links: Uriel (Maximilian Schmitt), Gabriel (Sophie Karthäuser), René Jacobs (am Pult) und Raphael (Johannes Weisser), dahinter B'Rock Orchestra und Collegium Vocale Gent Für die Präsentation im Rahmen der Ruhrtriennale hat man nicht nur mit der Kraftzentrale im mittlerweile stillgelegten Industriegebiet in Duisburg-Nord, welches nun zu einem Landschaftspark umfunktioniert worden ist, eine eindrucksvolle Spielstätte gefunden, sondern das Oratorium auch mit einem Film untermalt, den Julian Rosefeldt in Marokko und im Ruhrgebiet gedreht hat. Für die ersten beiden Teile des Oratoriums, die die Erschaffung der Welt in sechs Tagen beschreiben, hat sich Rosefeldt von seinen Eindrücken in Marokko inspirieren lassen, während er im letzten Teil, der dem Paar Adam und Eva gehört, in die Industrielandschaft des Ruhrgebiets zurückkehrt. Interessant ist die Perspektive beim Film, die die Bilder in einer Kameradrohnentechnik gewissermaßen aus "göttlicher" Höhe einfängt, und dem Zuschauer einen Blick ermöglicht, den er sonst hauptsächlich von Google Earth kennt. In diesen Bildern wird allerdings keineswegs die Entstehung der Welt gezeigt, sondern der Film wirkt vielmehr wie die Landung eines Forschungs-Teams auf einem wüsten Planeten. Aus der Drohnenperspektive sieht man zahlreiche in weißen Schutzanzügen gekleidete Menschen, die einen verwitterten Palast erkunden, der sich mitten in einer Wüstenlandschaft befindet. Hierbei handelt es sich um verlassene Studiobauten von in Marokko gedrehten Historienschinken, die nach dem Dreh einfach in der öden Landschaft zurückgelassen worden sind und nun langsam zerfallen. Dritter Teil: Der Mensch als Milbe: vorne von links: Adam (Johannes Weisser), Eva (Sophie Karthäuser), René Jacobs (am Pult), Uriel (Maximilian Schmitt), dahinter B'Rock Orchestra und Collegium Vocale Gent Wenn dann aus dem wabernden Chaos der Ouvertüre durch den fulminanten Chor der Engel das Licht entsteht, wird die Leinwand zunächst für einen kleinen Moment schwarz, bevor im folgenden Teil beeindruckende Bilder einer kargen Wüstenlandschaft gezeigt werden, in der die Vegetation sehr spärlich ist und man das besungene Wasser auch nur in ausgetrockneten Flussläufen erkennen kann. Dies wirkt wie ein Blick zurück in eine längst vergangene Zeit. Immer wieder sieht man in diesen monumentalen Naturaufnahmen das Forschungsteam wie kleine weiße Fremdkörper durch die Landschaft streifen. Die drei Solisten Sophie Karthäuser, Maximilian Schmitt und Johannes Weisser schlüpfen in diesem Teil in die Rollen der Erzengel Gabriel, Uriel und Raphael, die die Schaffung der Welt kommentieren. Unterstützt werden sie dabei von den himmlischen Heerscharen, die von dem Collegium Vocale Gent stimmgewaltig präsentiert werden, auch wenn sie natürlich weit hinter dem Umfang des Chors zurückbleiben, mit dem Haydn bei der Uraufführung im Wiener Burgtheater aufwarten konnte. Das B'Rock Orchestra unter der Leitung von René Jacobs macht diese Entstehung der Welt musikalisch zu einem Erlebnis, indem die lautmalerischen Elemente der Schöpfung detailliert herausgearbeitet werden. Schlussapplaus: von links: Sophie Karthäuser, Maximilian Schmitt, Johannes Weisser, René Jacobs und Julian Rosefeldt, dahinter B'Rock Orchestra und Collegium Vocale Gent Wenn im zweiten Teil das Leben in die Schöpfung kommt, schwenkt die Kamera zurück auf einen verfallenen Palast. In einem seltsam angeordneten Kreis liegen dort Hunde, die sich plötzlich erheben und das Territorium gewissermaßen zurückerobern. Für Amüsement sorgt, dass die Aufforderung zur Vermehrung von den Hunden scheinbar aufgegriffen wird, da einige Tiere in dem Film anfangen zu kopulieren. Die zahlreichen Statuen, die die Bauten im Film umgeben, deuten eigentlich schon eine Abkehr vom Schöpfer dieses Universums an und mögen als Grund für den zukünftigen Verfall fungieren. Musikalisch trumpft hier vor allem Karthäuser mit beweglichen Koloraturen auf, die mit ihrer Arie "Auf starkem Fittiche schwinget sich" die Entstehung der Vögel im harmonischen Zusammenspiel mit der Flöte lautmalerisch spürbar macht. Schmitt begeistert als Uriel bei seiner Arie "Mit Würd' und Hoheit angetan" über die Entstehung des Menschen am sechsten Tag mit tenoralem Glanz und sauberen Höhen. Weisser verfügt als Raphael über einen recht hellen Bass, der an einigen Stellen in der Diktion etwas klarer sein könnte. Im dritten Teil verlässt Rosefeldt in seinem Film Marokko und landet mit dem Forschungsteam in einem stillgelegten Industriegebiet im Ruhrgebiet. Soll damit angedeutet werden, dass mit den Menschen auch die Industrialisierung auf der Welt Einzug gehalten hat? Zu Adam und Eva passt das eigentlich noch nicht so ganz. Karthäuser und Weisser finden als Adam und Eva hingegen stimmlich zu einer wunderbaren Innigkeit, die die Sinnhaftigkeit dieser Bilder nicht weiter hinterfragen lässt. Zum Abschluss des dritten Teils gelingen Rosefeldt dann hingegen sehr eindrucksvolle Bilder. Das Forschungsteam begibt sich in eine Art Amphitheater, das über weiße Treppen in einen kahlen Kreis hinabführt. Da sammeln sich die Forscher in ihren weißen Anzügen wie weiße Milben unter einem Reagenzglas. Mal füllen sie die ganze Fläche aus und erinnern in wogenden Linien an ein Gehirn. Dann laufen sie wieder auseinander und lassen den Kreis schrumpfen. Im Anschluss wird auch das Publikum zu einem Teil des Konzertes. Wenn der Chor zum jubelnden Schluss ansetzt, erheben sich plötzlich überall im Zuschauerraum Männer und Frauen, die in den Schlusschor mit einstimmen, und somit die ganze Halle mit Musik ausfüllen. So gibt es am Ende große Begeisterung für eine musikalisch überzeugende Darbietung mit eindrucksvoller filmischer Untermalung.
Rosefeldt findet für das musikalisch gut umgesetzte Oratorium beeindruckende Bilder aus Marokko und dem Ruhrgebiet als Untermalung, die den Abend zu einem Erlebnis für Ohren und Augen machen. Weitere Rezensionen zur Ruhrtriennale 2015 Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
ProduktionsteamMusikalische Leitung Film (Konzept und Regie) Film (Kamera) Film (Herstellungsleitung) Dramaturgie Musikdramaturgie Einstudierung Chor
Collegium Vocale Gent
Solisten
Sopran Tenor
Bass
Weitere |
- Fine -