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Das auskomponierte Verstummen Mozartsvon Stefan Schmöe / Fotos © Pedro Malinowski
Hier handelt es sich um den wohl populärsten Torso der Musikgeschichte. Als Mozart während der Arbeit an seinem Requiem starb, hatte er lediglich das einleitende Introitus vollständig niedergeschrieben. Für eine Reihe weiterer Sätze war die Vokalstimmen und den Generalbass notiert, dazu an einzelnen Stellen wichtige Instrumente; der Schluss fehlt komplett. Nach seinem Tod am 5. Dezember 1791 bemühte sich seine Witwe Constanze um die Vervollständigung der Auftragskomposition, schon aus finanziellen Gründen. Zunächst versuchte sich Mozarts Freund Joseph Eybler an der Instrumentierung der vorhandenen Sätze, letztendlich aber war es der Mozart-Schüler Franz-Xaver Süßmayr, der die fehlenden Sätze ergänzte, wobei er für den letzten Satz bekanntlich auf die Musik des Kyrie zurück griff, und das Requiem in eine aufführbare Form brachte. Ob er sich dabei auf Anweisungen des sterbenskranken Komponisten stützen konnte, sei dahin gestellt; die Süßmayr-Fassung hat sich, aller Kritik zum Trotz, als praktikable Lösung erwiesen - und da das Werk auch von ambitionierten Laienchören zu bewältigen ist, muss man ihr bei aller Kritik im Detail zugestehen: Sie hat sich bewährt.
2005 hat der österreichische Komponist Georg Friedrich Haas, Jahrgang 1953, eine radikal andere Lösung vorgelegt. Er hat die Partitur konsequent auf das reduziert, was tatsächlich von Mozart niedergeschrieben wurde (auch da, wo ziemlich offensichtlich ist, was zu ergänzen wäre). Dafür hat er als Ergänzung sieben Klangräume komponiert, die in Mozarts Komposition eingeschoben werden. Als Text verwendet er einen Bescheid des Magistrats der Stadt Wien vom Sommer 1791: Mozart hatte sich auf die (unbezahlte) Stelle eines Gehilfen des Domkapellmeisters am Wiener Stephansdom beworben, wohl in der Hoffnung, eines Tages die recht gut besoldete Kapellmeisterstelle übernehmen zu können. Der Magistrat nahm das Gesuch in umständlichem Amtsdeutsch an. So bezieht sich Haas direkt auf Mozarts Lebenssituation im Todesjahr 1791, die geprägt war von der Suche nach einem (festen) Einkommen. Haas komponiert Klangflächen, bei denen der Text bestenfalls bruchstückhaft verständlich ist, verwendet dabei das von Mozart für das Requiem vorgesehene Instrumentarium sowie den Chor. Das Verfahren betont das Fragmentarische der überlieferten Partitur und setzt ihr etwas ganz eigenes entgegen.
Diese Version passt ganz ausgezeichnet zur Ruhrtriennale, die sich ja als das etwas andere Festival versteht, und die imposante Maschinenhalle der ehemaligen Zeche Zweckel in Gladbeck, erbaut 1909, bietet das geeignete Ambiente, weil sie ein ganz anderes Umfeld bietet als etwa ein Kirchenbau: Ein Ort, um das allzu bekannte Requiem ganz anders zu beleuchten. Das ChorWerk Ruhr - nicht nur ausführender Chor, sondern auch Produzent der Veranstaltung - setzt das Lux aeterna von György Ligeti, in seiner kompositorischen Struktur wesensverwand mit der Musik von Haas, als liturgischen Zielpunkt an den Schluss. Damit korrespondierend beginnt der Abend mit einem anderen Werk Ligetis, den Ramifications für 12 Solo-Streicher, die in zwei Gruppen mit um einen Viertelton unterschiedlicher Stimmung geteilt sind, worauf wiederum Johann Sebastian Bachs doppelchörige Begräbnismotette Komm, Jesu, komm antwortet.
Ein in sich sehr schlüssiges Programm, wobei die Ramifications ein wenig unter der räumlichen Anordnung litten - ein Teil des Publikums sitzt U-förmig um die Bühne herum, und zumindest von meinem Platz nahe am Podium aus war die Doppelchörigkeit der Streicher kaum auszumachen (vielleicht ist das weiter oben auf der großen Tribüne besser). Dadurch geht, bei aller Feinheit der in sich diffizil bewegten, in der Gesamtwirkung aber ruhigen Klangflächen, ein wichtiger Aspekt dieser Komposition verloren. Grandios dagegen Bachs Motette mit beinahe schwerelosem Chorklang, im Detail ungeheuer genau durchgearbeitet. Und auch Ligetis Lux aeterna mit seinen schwebenden, komplexen Klangflächen wird bewundernswert sauber gesungen.
Das Experiment gelingt: In diesem Kontext und in dieser Fassung klingt das allzu vertraute Mozartsche Requiem aufregend anders. Wenn Haas auf das abbrechende Lacrimosa mit einer Fläche aus Atem- und Klopfgeräuschen (Klangraum V) reagiert, dann ist das auskomponiertes Verstummen, das zum genauen Hinhören zwingt - ein Moment von immenser Eindringlichkeit. In gewisser Hinsicht ist bezeichnend, dass ausgerechnet die vollständig oder zumindest weitgehend erstellten Teile, also der konventionelle Teil, am wenigsten gelangen. Mit seinem ausgezeichneten Chor, jeweils acht Sängerinnen und Sänger pro Stimme, hat Dirigent Florian Helgath ganz ausgezeichnet gearbeitet. Den Bochumer Symphonikern fällt es dagegen ein wenig schwer, das richtige Tempo zu übernehmen - es dauert immer wieder einen Moment, bis sich das eingependelt hat. Dazu sind die Instrumentalstimmen recht pauschal behandelt. Die Posaune des Tuba mirum etwa könnte markanter, ja: wichtiger klingen. Und überhaupt: Ein Spezialensemble für "alte" Musik hätte mit einem pointierterem Klangbild noch mehr Wirkung erzielen können, zumal der Chor fast ohne Vibrato singt und seine Stärke im Piano und Pianissimo, weniger im nicht allzu zupackenden Forte besitzt. Je mehr aber das Fragmentarische, Unvollendete die Oberhand gewinnt, desto schärfer wird die Interpretation. Ein Schock, wenn das wunderbare Lacrimosa nach nur acht Takten unvermittelt abbricht. Nicht von dieser Welt die entrückten Frauenstimmen mit dem "Voca me" im Confutatis - und da klingen die Bochumer Symphoniker auch plötzlich sehr viel genauer und aufmerksamer - wie auch in den Haas'schen Klangräumen.
Als Zugabe gibt es das kurze Ave verum corpus vom Sommer 1791, in zeitlicher Nähe zum Requiem komponiert und bei weniger guten Chören schnell mit einem Hang zur Sentimentalität. Hier zaubern Helgath und das ChorWerk Ruhr noch einmal mit ihrem überirdisch schönen Pianissimo, und die Streicher der Bochumer Symphoniker begleiten delikat: Großer Abschluss eines außergewöhnlich spannenden Konzerts.
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Ausführende
Musikalische Leitung
Solisten
Sopran
Alt
Tenor
Bass
Violone
Orgel
ProgrammGyörgy Ligeti (1923 - 2006)Ramifications für 12 Solo-Streicher (1968/69) Wolfgang A. Mozart (1756 - 1791) Requiem d-Moll KV 626 (Fragment) Georg Friedrich Haas (*1953) Sieben Klangräume zu den unvollendeten Fragmenten des Requiems von Mozart (2005) György Ligeti (1923 - 2006) Lux aeterna für 16 Stimmen a cappella (1966) Weitere Informationen erhalten Sie von der Ruhrtriennale 2015 - 2017 (Homepage) |
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