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Spaziergang durch ein gruselig banales Zwischenreichvon Stefan Schmöe / Fotos © JU/Ruhrtriennale, 2015
Dies ist keine Theateraufführung. Eine Sterbeübung nennt sich ziemlich vermessen diese Installation (der Begriff beschreibt die Angelegenheit schon besser) von Susanne Kennedy, Suzan Boogaerdt und Bianca van der Schoot, zu der man in die gewaltige Mischanlage der Kokerei Zollverein hinabsteigt wie in die Unterwelt. Dabei ist man ja eigentlich noch ziemlich weit oberirdisch, wird zunächst mit der kreischenden Standseilbahn die steile Rampe hinauf bis zur obersten Ebene befördert. Von dort geht es, immer in der Kleingruppe zu höchstens acht Personen, die Treppen hinab ins Innere, wo mit Hilfe mächtiger Betontrichter bis 1993 Kohlesorten unterschiedlicher Qualität gemischt wurden.
Kennedy, Boogaerdt und van der Schoot haben in die geheimnisvoll düstere Innenwelt dieser Industrieanlage eine Folge von bewusst banalen Räumen gesetzt: Eine klinisch saubere Wohnung der amerikanischen Mittelklasse, wenn auch nur durch ein paar Accessoires angedeutet. Als "Plastikversion" der realen Welt bezeichnen die Künstlerinnen treffend ihre Inszenierung, und man kann darin die ein Bild für die Banalität unserer Lebenswirklichkeit, die sich einnistet in einen nicht mehr greifbaren Raum, sehen. Viel Symbolik deutet sich an, oft in kleinen Zeichen. Die Urelemente Erde, Wasser, Feuer und Licht haben leitmotivische Funktion (so kehren Feuer und Wasser als Kamin und Dusche in domestizierter Form wieder). Es ist ein irreales und mitunter irritierendes Vexierspiel.
Man durchwandert diese Zimmerflucht nach Aufforderung: Grünes Licht über der Tür gibt den nächsten Raum frei, rotes Licht bedeutet Warten. Etwa 10 Minuten verbringt man so an jeder Station. In diesen Zimmern begegnet man immer wieder (und in manchen Räumen gleich mehrfach) derselben Frau: Blond, schlichte Freizeitkleidung, durch eine Gummimaske immer mit demselben abwesenden Gesichtsausdruck. In der relativen Enge hat das etwas Bedrückendes, wenn man zwar die Augen sieht, sehr direkt angeschaut wird, wegen der Maske aber keinerlei Mimik erkennen kann.
Von Ferne klingt die Musik Monteverdis herüber, L'Orfeo, gerne als erste (erhaltene) Oper der Musikgeschichte bezeichnet und nach wie vor ein Wunderwerk. Für diese Installation liefert die Musik allerdings nur den Hintergrund, verweist akustisch auf den Orpheus-Mythos, und die allgegenwärtige Dame, das ist natürlich Eurydike oder vielleicht auch nur ein Schatten oder eine Erinnerung. Auch die Musiker des kleinen Orchesters, das man gelegentlich durch eine Fensteröffnung sieht, erscheinen in dieser Gestalt. Eurydike überall: Das ist auch eine Aufhebung der Zeitdimension, des Nacheinander. Musikalisch spiegelt sich darin, dass auch die Orfeo-Partitur nur bruchstückhaft und nicht in der richtigen Reihenfolge gespielt wird, dass teilweise elektronisch andere Passagen erklingen und sich mit der "realen" Musik überlagern. Die Zeit als Parameter der Musik ist, wenn auch nicht getilgt, so doch durchbrochen: Aus den Fragmenten muss sich die Oper im Kopf zusammensetzen. (Soweit man es verfolgen kann, spielt das Ensemble Kaleidoskop sehr ordentlich.)
Das Künstlerinnentrio versetzt die Besucher in einen zeitlosen Zwischenzustand, wobei die 80 Minuten Dauer bei allem Assoziationsreichtum mitunter arg lang werden, denn relativ bald hat man das Grundprinzip durchschaut und ein Gewöhnungseffekt setzt ein. Am Ende des Parcours wartet dann immerhin noch ein Überraschungsmoment, und da wird auch die bis dahin vorherrschende Struktur (10 Minuten pro Raum) aufgebrochen. Aber ist das alles nun sterbeübungstaugliche Kunst oder doch nur höherer Blödsinn am Rande des Deutungskitsches? Irgendetwas dazwischen. Oder von beidem etwas.
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Ausführende
Regie
Musikalische Konzeption und Leitung
Musikalische Mitarbeit
Bühne
Kostüme
Licht
Video
Sounddesign
Dramaturgie
Klanginstallation
Solisten
Orfeo
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- Fine -