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Ein verinnerlichtes Hochamt für die längst vergangene Industriekulturvon Stefan Schmöe / Fotos © Wonge Bergmann
Als eine "Tragödie des Hörens" hat Luigi Nono sein spätes Werk Prometeo bezeichnet. Das ist in erster Linie wohl als eine Negation des Sehens und damit des visuellen Musiktheaters zu verstehen. Eine Handlung gibt es ohnehin nicht, und die von Massimo Cacciari zusammen gestellten Textfragmente (unter anderem aus dem Prometheus des Aischylos, aus Hölderlins Schicksalslied und geschichtsphilosophischen Texten von Walter Benjamin) nennen sich zwar Libretto, sind aber in der Aufführung nur in Ansätzen zu verstehen. Allein der mehrfache Aufruf "Ascolta!" ("Höre") hat einen gewissen (Wieder-)Erkennungswert. Nicht der semantische Inhalt, sondern der Klang ist die Botschaft. Dieser Rückzug ins Ästhetische hat dem in jüngeren Jahren eminent politischen Komponisten auch manche Kritik eingebracht. Ungeachtet davon wird dem Publikum der fassbare Boden, den ein Text als Anknüpfungspunkt bieten kann, unter den Füßen weggezogen: Prometeo erscheint als ein Stück absoluter Musik, ein Konzertstück mit menschlichen Stimmen als zusätzliche Instrumente. Und das in gigantischen Ausmaßen: Zweieinhalb Stunden (ohne Pause!) dauert diese Aufführung.
Inspiriert von der venezianischen Tradition der Mehrchörigkeit verteilt Nono die Musiker auf verschiedene "Inseln" im Raum, arbeitet zudem mit Elektronik, wodurch eine Stimme per Lautsprecher an einem völlig anderen Ort hörbar wird als der eigentlichen Position. Das Raumklang-Erlebnis wird somit zu einem entscheidenden Element. In der hinteren Hälfte der riesigen Kraftzentrale, in der im Duisburger Stahlzeitalter Luft für die benachbarten Hochöfen vorgeheizt wurde, hat Eva Maria Born ein an drei Seiten umlaufendes Gerüst aus Stangen einziehen lassen, in das insgesamt neun Podien aus Kiefernholz für Musikergruppen eingezogen sind wie Nester. Chor und eine Orchestergruppe befinden sich vor der vierten Wand, die mit durchscheinender Folie eine Abgrenzung zur anderen Hälfte der Halle schafft. Das Publikum sitzt auf einfachen, nicht eben ergonomisch optimal gestalteten Holzbänken, die eine labyrinthische Struktur andeuten.
Der Raum hat in mehrfacher Hinsicht Bedeutung. Ganz pragmatisch müssen die Musiker (einschließlich der zugehörigen Elektronik) im Wechselspiel der Instrumentalgruppen ein Gespür und ein Klangkonzept für die spezifische Akustik in diesen räumlichen Dimensionen entwickeln - das gelingt unter der Klangregie von André Richard, einem Weggefährten Nonos, ganz ausgezeichnet. Die Halle mit ihrer Industrie-Historie lässt sich in diesem Kontext aber auch als Reflex auf den Prometheus-Mythos deuten, nach dem Prometheus den Menschen gegen den Willen der Götter das Feuer brachte, dadurch aber auch die Trennung von Gottheit und Menschheit verantwortete. Die Stahlindustrie wird da zum Inbegriff des fortdauernden "eisernen Zeitalters", nicht nur in der fleckigen Decke der Halle noch präsent. Durch sehr allmähliche Lichtwechsel wird die Architektur der Halle betont. In manchen der sehr sparsam eingesetzten Lichteffekte mag man das prometheische Feuer erahnen. Insgesamt aber wirkt die Lichtregie zwar ästhetisch ansprechend, aber doch ziemlich willkürlich. Und dieser "sprechende" Raum will erst einmal erobert werden: In der offenen Hälfte der Halle, die eine Art Foyer bildet, wird dichter Nebel erzeugt, den man nur in Kleingruppen durchschreiten darf. Was wohl eine Distanz zwischen Alltag und der Sphäre des Aufführungsraums schaffen soll, wirkt allerdings ein bisschen wie eine (doch eher überflüssige) Geisterbahn.
Und dann ist da natürlich Nonos Musik, die sich alle Zeit der Welt nimmt, Klänge erzeugt und diesen nachhört, oft sehr leise, die nur unterschwellig rhythmische Struktur hat und fast nie so etwas wie Melodie, die sich aus einzelnen fragmentarischen Klangereignissen im Raum zusammen setzt - und die von einer überwältigenden Schönheit ist. Durch die Unverständlichkeit des Textes erhält sie eine sakrale Aura wie eine aus einer überirdischen Sphäre, fügt sich zu einem nicht konkret fasslichen Ritual. Die beiden Dirigenten, Ingo Metzmacher und Matilda Hofman, schlagen mit aller Seelenruhe den Takt, als ob diese Musik nicht weiter schwierig sei, und das Ensemble Modern Orchestra spielt mit allergrößter Selbstverständlichkeit. Fabelhaft sind die Sängerinnen und Sänger der SCHOLA Heidelberg sowie die Gesangssolisten Susanna Andersson, Christina Daletska, Els Janssens-Vanmunster, Noa Frenkel und Markus Francke, die mit berückender Tonreinheit auch in extremen Lagen imponieren. Natürlich ist die Länge des Abends eine Zumutung (der sich so einige Zuhörer frühzeitig entziehen), aber eine in durchaus positivem Sinn. Man muss diese Musik erlebt, durchlebt haben. Eine musikalische Großtat.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Klangkonzept und Supervision
Raum
Licht
Mitarbeit Regie
Musikdramaturgie
Choreinstudierung
Solisten
Sopran
Alt
Tenor
Sprecher
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- Fine -