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Historisch
musiziert: passt hier genau! Von Christoph Wurzel / Fotos: Toni Suter, T+T Fotografie / Hans Jörg Michel Cecilia Bartoli ist nicht nur eine begnadete Sängerin, sondern auch eine geschickte Vermarkterin ihrer musikalischen Projekte. Immer erst eine CD, dann die Tournee. Aber wer wollte etwas dagegen haben, wenn man den Musikgenuss gleich doppelt haben kann? So ist das Musikgeschäft halt heutzutage. Bei ihrem Malibran-Projekt vor einigen Jahren wurde die Tournee auch noch von einem Ausstellungs-LKW begleitet mit Fotos, Dokumentationen und Devotionalien von und über das historische Vorbild der Bartoli, der auch damals in Baden-Baden Halt machte. Im Falle von Bellinis Norma, der María Malibran übrigens nach der verpatzten Uraufführung 1831 drei Jahre später erst richtig zum Erfolg verhalf, ist es nun gleich die szenische Inszenierung der ganzen Oper, mit der die Bartoli auf Reisen geht. Premiere war 2013 gleich doppelt in Salzburg, zuerst bei den Pfingstfestspielen (siehe auch unsere Rezension), deren künstlerische Leiterin die Sängerin ja ist, dann nochmals bei den dortigen Sommerfestspielen. Danach wurde die Produktion auf einigen prominenten Bühnen nachgespielt. Die Kritiken der Salzburger Aufführungen waren recht zwiespältig, das bestätigte sich nun in Baden-Baden bei den Herbstfestspielen nur zum Teil. Cecilia Bartoli (hier in der Aufführung in Zürich 2015; Foto: Toni Suter, T+T Fotografie) Allerdings gab es an drei entscheidenden Stellen im Festspielhaus abweichende Besetzungen - bei dem Orchester samt Dirigenten und in den beiden männlichen Hauptrollen. Hier war Norman Reinhardt als Pollione zu erleben, der diesen römischen Offizier im besetzen Gallien überzeugend als einen antiken Vorfahr Don Juans zeigte, nach seiner stimmlich noch etwas angespannten Auftritts-Kavatine („Meco all'altar di Venere“) aber dann im Duett mit Adalgisa (6. Szene 1. Akt) wunderbaren Schmelz ausgießend und einen (berechnenden) Charme zielsicher ausspielend. Norma, seine heimliche Geliebte und Mutter der gemeinsamen Kinder, ist ihm erklärtermaßen langweilig geworden, stattdessen möchte er die viel jüngere Adalgisa mit nach Rom nehmen. Dass er sich ganz am Schluss doch wieder auf seine Schuld besinnt und Norma um Vergebung bittet, ist, so plötzlich es kommt, natürlich ein Manco des Librettos. Aber Norman Reinhardt sang das nicht minder hinreißend. Umbesetzt war auch die Rolle von Normas Vater Oroveso, der nun von dem ungarischen Sänger Péter Kálmán verkörpert wurde. Die Rolle ist nicht besonders profiliert, aber Kálmán verfügt stimmlich wenigstens über das Material, um dem Druiden-Anführer genügend Statur zu geben. In der Baden-Badener Aufführung spielte das Ensemble I Barocchisti, das bereits mehrfach mit Bartoli Projekte verwirklicht hat, und diese Musikerinnen und Musiker erwiesen sich mit ihren historischen Instrumenten als der größte Gewinn. Gianluca Capuano achtete enorm sensibel auf größtmögliche Klangtransparenz, wodurch nicht allein der Bellinis Musik eigene Klangteppich wohlig ausgebreitet wurde, sondern auch viele instrumentale Farben strahlen konnten, die Bläser seien hier an erster Stelle genannt. Auch spannte Capuano die Klangdynamik weit aus, das Orchester lieferte feinst dosiertes Pianissimo (vielleicht angesichts der Größe des Festspielhauses für weiter entfernte Plätze nicht ganz unproblematisch), blieb in den häufigen Bandamusiken unaufdringlich, fuhr aber vor allem im Finale den dramatischen Pegel weit aus. Sängerfreundlich war dies allemal. Cecilia Bartoli (hier in der Aufführung in Zürich 2015; Foto: Toni Suter, T+T Fotografie) Cecilia Bartoli in der Rolle der Norma - das muss man mögen, wenn man an die zahllosen legendären Vorgängerinnen denkt. Aber sie überzeugte vollständig. Die dunklere Stimmfärbung, die deutlich gezeigte reifere Frau, als welche sie Norma anlegte, passten exakt. Die Rolle der würdevollen Priesterin, wie die zutiefst enttäuschte Liebende, die verzweifelte Rächerin wie schlussendlich die ihre Verfehlung Bekennende und aufrecht den Tod Annehmende - nicht allein darstellerisch, besonders auch vokal erfüllte die Bartoli alle Facetten dieser Figur. Ihre immer noch atemberaubende Koloraturgeläufigkeit, ihre enorme stimmliche Agilität stellte sie zudem ganz in den Dienst des musikalischen Ausdrucks, sieht man von ihrer mitunter etwas manieriert wirkenden Vokalfärbung ab. In samtig weichem Legato formte sie das Gebet "Casta diva", aggressiv scharf ging sie Pollione im Finale des 1. Akts an. Erhobenen Hauptes ließ sie Norma vor allem gallischen Volk ihre Schuld bekennen. Ein eindrucksvolles, berührendes Rollenportrait. Der vielleicht auch durch ihr lange verheimlichtes Doppelleben als gallische Priesterin und Römer-Geliebte gereiften Norma stand in dieser Inszenierung eine wesentlich jüngere Adalgisa gegenüber, die Rebeca Olvera, stimmlich auch deutlich heller, als klare Kontrastfigur anlegen konnte, womit sie der historischen Korrektur dieser Produktion, die Rolle mit einer Sopranistin zu besetzen, zu vollem Recht verhalf. Olvera füllte ihre Rolle äußerst präsent aus und zeigte sich vokal in den Duetten bzw. Terzetten den Partnern voll ebenbürtig. Psychologisch beglaubigte sie in Gesang und Gestus den seelischen Konflikt dieser Figur zwischen der Liebe zu dem römischen Besatzer, der Treue zu ihrem Keuschheitsgelübde als Priesterin und zudem noch der Solidarität gegenüber Norma. Finaler Feuertod (Cecilia Bartoli und John Osborne als Pollione, hier in einer Züricher Aufführung derselben Produktion; Foto: HansJörg Michel) Die Inszenierung allerdings ging nicht in allen Teilen auf. Bei allem Respekt vor dem Bemühen, der Handlung eine heutige Wahrscheinlichkeit zu verleihen, war die Verlegung der Geschichte in das besetzte Frankreich der vierziger Jahre erstens nicht ganz neu (in Stuttgart z.B. war man schon vor 15 Jahren darauf gekommen), zweitens auch mindestens fragwürdig. Denn was soll man davon halten, dass die Kämpfer der Résistance (als welche die Druiden hier erscheinen) eine aus Liebe abtrünnige Frau gemeinsam mit dem verhassten Besatzer in ein Haus einschließen und elendiglich verbrennen, wie es schreckliche Filmdokumente von der SS gegenüber jüdischer Bevölkerung im besetzten Polen belegen? Auch stieß das Regiekonzept dort an seine Grenzen, wo die vor allem zumeist doch recht langen Chor-Nummern nicht immer mit schlüssigen Aktionen gefüllt werden konnten. In den intimen Szenen, den Duetten und dem Terzett aber überzeugte eine präzise Personenführung gleichsam kammerspielartiger Qualität, die sich vor einer schwarzen Trennwand vollzogen. Keine Kulisse lenkte hier vom subtilen Spiel der Protagonisten ab, etwa wenn Norma in ihrem verzweifelten inneren Kampf buchstäblich am Boden ist und zur Flasche greift. Die öffentlichen Szenen waren in einer Schule angesiedelt, die den Raum für die konspirativen Versammlungen der Druiden abgab. Nicht geringen Einfluss auf die szenische Wirkung hatte die gelungene Lichtregie von Christophe Forey. FAZIT Bellinis Norma nach den Quellen revidiert und historisch informiert: dieser Anspruch wurde völlig erfüllt. Die Inszenierung griff allerdings stellenweise zu kurz.
Weitere
Rezension zu den Herbstfestspielen:
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühnenbild
Kostüme
Lichtdesign
Adalgisa
Pollione
Oroveso
Clotilde
Flavio |
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E-Mail: oper@omm.de
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