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Offenbarung
des Schubertgesangs Von Christoph Wurzel / Foto: Michael Gregonowits Zu einem der zahlreichen Treffen mit seinen Musiker- und Dichterfreunden hatte Franz Schubert ihnen einen Zyklus „schauerlicher Lieder“ angekündigt - schauerlich im Sinne von ergreifend bis zum Erschaudern. Tatsächlich gehören die 24 Lieder der Winterreise zum Erschütterndsten, was Franz Schubert komponiert hat, wenn nicht gar, was überhaupt je musikalisch geschaffen wurde. Nach tiefer Enttäuschung durch eine zerbrochene Liebesbeziehung führt diese Reise ein zutiefst einsames, trauriges Ich äußerlich durch erstarrte, vereiste, kahle und abweisende winterliche Landschaften und innerlich in eine tiefe Leere und schwere Depression. Mit allen Mitteln der romantischer Lyrik hat Wilhelm Müller seine Gedichte zu einem ergreifenden Seelenportrait gestaltet, überwältigend aber wird dieses erst durch Schuberts Musik. Da braucht es nur eine miniaturhaft kurze Phrase, eine einzige Modulation oder eine geringe dynamische Rückung, um das innere Empfinden dieses lyrischen Ichs auszudrücken und die innerseelischen Dramen nachzuvollziehen. „Im Dunkel wird mir wohler sein“ heißt es im vorletzten Lied, wenn der seelische Tiefpunkt erreicht ist. Schubert aber unterlegt diese Textstelle mit hellem A-Dur - Akzeptanz dieser Resignation oder Ausdruck von Hoffnung oder Einspruch gegen Verzweiflung? Offene Fragen, deren Antworten allein in der Musik zu finden sind. Gerold Huber und Christian Gerhaher bei ihrem Liederabend im Festspielhaus Baden-Baden Es ist die Aufgabe des Sängers, den Text auszudeuten und mit seiner Stimme in Färbung und Ausdruck der Musik Sprache zu geben. Christian Gerhaher und sein Klavierpartner Gerold Huber waren hierfür die berufensten Vermittler. Im achten Lied Rückblick erinnert sich das Ich an die verlorene, untreue Liebste, flüchtet sich in Gedanken geradezu in einem Taumel zurück zu ihrem Haus, dem Ort früheren Glücks. Ein kleines Drama, musikalisch gestaltet durch ein anfangs fast unerträglich gehetztes Tempo bis zum unvermittelten Schluss-Ritardando auf die Worte „Vor ihrem Hause stille stehn“. So jedenfalls gestaltete es Christian Gerhaher bei seiner Präsentation der Winterreise - durchaus als Drama, aber alles andere als plakativ, sondern subtil und empathisch. Und der von nimmermüden Gesangvereinen zum sentimentalen Schlager verhunzte Lindenbaum kam als ein Moment tröstlicher Rückerinnerung und zugleich Vision einer besseren Welt zu seinem Recht. Aber durch plötzlich fahle Stimmfärbung in der dritten Strophe („Ich musst auch heute wandern/ Vorbei in tiefer Nacht“) ließ Gerhaher an der Gefährdung dieser Idylle keinen Zweifel, und wie fast schon wie die Botschaft aus einer anderen Welt klang der Schluss, der die Gedanken in den ersehnten inneren Frieden schweifen lässt: „Und immer hör' ich's rauschen/ Du fändest Ruhe dort!“ An solchen Stellen trat in besonderer Weise das Spiel des Pianisten Gerold Huber hervor, indem er hier dem Nachspiel aus nur fünf Takten eine Ruhe verlieh, die eigentlich nie enden soll. So atmeten alle Liedern den Gleichklang der Empfindung beider Künstler, des Sängers und seines Begleiters. Wobei der Pianist als Konterpart eigenen Ranges erschien, die klangfarblich und rhythmisch besonderen Akzente seines Parts immer wieder deutlich hervorhob, wie auch am Schluss im Lied Der Leiermann die ostinate Bassfigur der Dudelsackquinten, Ausdruck von Trostlosigkeit und Bitternis, worin das traurige Ich dieser Lieder nun weiterzuleben verurteilt ist. FAZIT Selbst die peinliche Husterei weiter Teile des Publikums konnte den Eindruck meisterlicher Kunst bei Sänger und Pianist nicht schmälern. Dieser Abend wurde gleichsam zu einer Offenbarung des Lied-Gesangs.
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Rezension zu den Herbstfestspielen: Norma Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Programm: Franz Schubert Winterreise D 911 Ein Zyklus von Liedern von Wilhelm Müller Christian Gerhaher, Bariton Gerold Huber, Klavier
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