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Klangvokal Musikfestival Dortmund 13.05.2016 - 12.06.2016
Edgar in italienischer Sprache Aufführungsdauer: ca. 2 h 45' (eine Pause) Aufführung im Konzerthaus Dortmund am 28. Mai 2016 |
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Ein Hoch auf das Zwischenspiel Von Thomas Molke / Fotos: © Bülent Kirschbaum Obwohl Puccini in kein anderes Werk so viel Zeit investiert hat wie in seine zweite Oper Edgar, konnte sich dieses Stück nie durchsetzen und einen Platz im Repertoire finden. Wahrscheinlich waren die Ansprüche des 27-jährigen Komponisten aber auch einfach zu hoch, als er nach dem großen Erfolg von Le Vili erneut von der Mailänder Scala mit einer Opernkomposition beauftragt wurde. Im Bestreben, etwas noch Größeres zu Papier zu bringen, nahm er von zahlreichen äußeren Faktoren beeinflusst die Arbeit an Edgar immer wieder auf und veränderte bereits fertige Stellen. Zunächst waren es Verdis 1887 an der Mailänder Scala uraufgeführte Oper Otello und Puccinis Besuch des Parsifal und der Meistersinger von Nürnberg bei den Bayreuther Festspielen, die in Puccini Zweifel an der Perfektion seiner Arbeit weckten. Dann war es der Misserfolg von Le Vili bei einer Wiederaufnahme 1888 in Neapel, der dazu führte, dass Puccini zutiefst verunsichert erneut Edgar überarbeitete. Am 21. April 1889 kam die Oper dann doch noch an der Mailänder Scala unter der musikalischen Leitung von Franco Faccio heraus. Die Rolle der Tigrana musste dabei kurzfristig umgearbeitet werden, da die Sopranistin Romilda Pantaleoni für die erkrankte Mezzosopranistin Giulia Novelli eingesprungen war. Die Aufnahme bei Presse und Publikum war relativ kühl, weil man in dieser Oper - wen wundert es - zu viel Verdi höre, so dass Puccini weitere Änderungen vornahm. Der komplette vierte Akt wurde gestrichen und die ersten drei Akte vor allem in den Chorszenen um gut ein Fünftel gekürzt, was dem Werk allerdings auch keinen Erfolg bescheren konnte, zumal durch die Striche vor allem der Erzählfluss verloren ging. Erst 2007 konnte die vieraktige Originalpartitur minutiös rekonstruiert werden und erklang erstmalig 2008 in Turin. Beim diesjährigen Klangvokal Musikfestival ist diese Fassung nun erstmals in Deutschland in konzertanter Form zu erleben. Latonia Moore als Fidelia mit Gustavo Porta (Edgar, rechts) und Bogdan Talo ş (Gualtiero, links) und Mitgliedern des WDR Funkhausorchesters KölnDie musikalische Einleitung kommt mit leicht bukolischen Anklängen ruhig und harmonisch daher. Der WDR Rundfunkchor Köln, der aufgrund der Größe des Orchesters auf der Chorempore positioniert ist, besingt als Bauern und Bäuerinnen den morgendlichen Weg zur Arbeit. In diese Begrüßung des Tages stimmt Latonia Moore als Fidelia ein. Mit glockenklaren Höhen unterstreicht sie den Liebreiz der Figur und ihre aufrichtigen Gefühle für Edgar, der wie eine Art Tannhäuser zwischen der reinen Fidelia / Elisabeth und der verführerischen Tigrana / Venus hin- und hergerissen wird. Doch musikalisch ist Tigrana bei Puccini weder eine Venus noch eine verführerische Carmen. Puccini untermalt zwar ihren Auftritt mit einer gewissen Unruhe und leichten Disharmonien in der Musik. Der verführerische Charakter bleibt allerdings aus. Rachele Stanisci verfügt als Tigrana über einen dunkel eingefärbten Sopran. Von "voluttà di fuoco" ("feuriger Wollust") und "ardenti baci" ("brennenden Küssen") hört man in der Musik allerdings nichts. Wesentlich aggressiver klingt Tigrana allerdings, wenn sie das Lamm besingt, dass dem Geier im Todeskampf vorwirft, ihm das Herz aus dem Leibe gerissen zu haben. Wenn dann Evez Abudulla als Fidelias Bruder Frank auftritt und Tigrana Avancen macht, ist man zunächst vom Einsatz der Orgel irritiert, die der doch eher säkularen Szene einen sakralen Klang gibt. Aus seiner anschließenden Klage über Tigranas Untreue hört man schon ein wenig den Maler Marcello aus La Bohème heraus, der sich über Musettas Lebenswandel beklagt. Abdulla überzeugt dabei mit kräftigem Bariton. Rachele Stanisci als Tigrana mit Evez Abdulla (Frank) und Alexander Joel am Dirigentenpult, dahinter Mitglieder des WDR Funkhausorchesters Köln Im weiteren Verlauf des ersten Aktes lässt sich dann die inhaltliche Sinnhaftigkeit des Librettos hinterfragen. Tigrana verspottet das Volk und soll wegen ihrer lasterhaften Gesänge aus dem Dorf gejagt werden. Doch Edgar stellt sich nicht nur schützend vor sie, sondern zündet auch noch sein Haus an, um mit ihr das Dorf zu verlassen. Dabei verwundet er auch noch eben Frank im Zweikampf mit dem Dolch. Dazu komponiert Puccini eine Musik, die vor Kitsch nur so trieft und mit dem Einsatz des kompletten Orchesters das Trommelfell der Zuhörer im Konzerthaus beinahe zum Platzen bringt. Alexander Joel sorgt mit dem WDR Funkhausorchester Köln für einen fulminanten Klang, der den auftrumpfenden WDR Rundfunkchor Köln und die Solisten dabei aber keineswegs überdeckt. Der zweite Akt beginnt dann etwas ruhiger, und hier zeigt sich Puccini bereits als Meister des musikalischen Intermezzos. Mit den Puccini ganz eigentümlichen Klangfarben beschreibt er die Nacht auf dem Schloss, in dem Edgar mit Tigrana fernab des Dorfes ein rauschendes Fest feiert. Es folgt Edgars große Arie "Orgia, chimera dall' occhio vitreo", in der er sich seines ausschweifenden Lebens überdrüssig zurück nach dem Dorf und Fidelia sehnt. Gustavo Porta gelingt es, mit sauberen Bögen die innere Zerrissenheit der Titelfigur herauszuarbeiten, und punktet mit kräftigen Höhen. Auch in der folgenden Szene wirkt Tigrana keineswegs wie eine Femme fatale, sondern scheint ernsthaft an Edgar interessiert zu sein. Mit dem Auftritt von Frank und den Soldaten schwillt die Musik wieder an, und es kommt zu einem musikalisch fulminanten Finale, in dem Frank Edgar überredet, für die Freiheit von Flandern zu kämpfen. Da werden auch schnell frühere Ressentiments beiseite gefegt. Schlussapplaus: von links: Gualtiero (Bogdan Talo ş), Fidelia (Latonia Moore), Edgar (Gustavo Porta), Alexander Joel, Tigrana (Rachele Stanisci) und Frank (Evez Abdulla), dahinter WDR Funkhausorchester KölnIm dritten Akt sind es wieder die leiseren Töne, die die Qualität des Werkes ausmachen. Nun tritt der Kinderchor der Chorakademie Dortmund auf. Edgar ist im Kampf gefallen und soll im Dorf beerdigt werden. Jetzt hat Latonia Moore als Fidelia die musikalisch ganz großen Momente in der Oper. Zunächst nimmt sie in der bewegenden Arie "Addio, mio dolce amor" Abschied von ihrem Geliebten. Moore punktet hierbei erneut mit strahlenden Höhen und großem Volumen in der Mittellage und bringt damit die Trauer der jungen Frau stimmlich sehr gut zum Ausdruck, auch wenn es dramaturgisch etwas übertrieben wirkt, dass sie im Hochzeitskleid mit dem Mann, der sie für eine andere verlassen hat, begraben werden möchte. Porta tritt nun als geheimnisvoller Bruder auf, der dem Toten aufgrund seines Lebenswandels ein ehrenvolles Begräbnis verweigern will. Doch Fidelia kämpft weiter für den Geliebten, was Moore mit wunderbarer Stimmführung in der großen Arie "Nel villaggio d' Edgar son nata anch' io" umsetzt. Es folgt ein Auftritt Tigranas am Sarg. In der Arie "Ah, se scuoter della morte" nimmt Stanisci als Tigrana bewegend von dem Geliebten Abschied, und es liegt wieder musikalisch nahe, dass ihre Gefühle für Edgar echt sind. Da kann auch der fragwürdige Versuch des Bruders, sie mit Juwelen dazu zu bringen, auszusagen, dass Edgar die Heimat verraten habe, nicht allzu viel ändern. Erst jetzt ergibt sich Edgar zu erkennen. Er ist keineswegs tot, sondern hat sich als Bruder verkleidet, um Tigranas und Fidelias Gefühle zu prüfen. Zornig lässt er Tigrana aus dem Dorf jagen. Der vierte Akt beginnt erneut ganz ruhig. Hier finden Moore und der Kinderchor mit sanften Klängen zu einer bewegenden Innigkeit, wenn die Mädchen die verzweifelte Fidelia in den Schlaf singen. Es folgt der Auftritt Edgars, und es kommt zu einem weiteren musikalischen Höhepunkt im Duett zwischen Edgar und Fidelia, in dem bereits die großen Szenen zwischen Rodolfo und Mimi beziehungsweise Tosca und Cavaradossi anklingen. Moore und Porta finden hierbei stimmlich zu einer Innigkeit, die unter die Haut geht und werden musikalisch auf einen Klangteppich gebettet, der für Puccinis spätere Werke so typisch werden soll. Umso krasser ist dann der Übergang, wenn Tigrana in dieser Idylle auftaucht und die Nebenbuhlerin absticht. Nun geht es Schlag auf Schlag. Edgar will Rache an Tigrana nehmen und sie töten. Doch Frank verhindert es und führt die Mörderin zum Richtplatz, um sie dort ihrer Strafe zuzuführen. Das Werk endet musikalisch relativ abrupt. Zu erwähnen ist noch Bogdan Talo ş, der Fidelias Vater Gualtiero mit einem profunden Bass ausstattet. Alexander Joel lotet mit dem WDR Funkhausorchester Köln die Klangvielfalt der Partitur differenziert aus und scheut sich nicht, in den dramatischen Momenten in die Vollen zu gehen. Die musikalischen Höhepunkte bleiben allerdings die feinen musikalischen Zwischenspiele, die im Gegensatz zum Rest der Oper auch in diesem Frühwerk schon Puccinis spätere Perfektion erkennen lassen.FAZIT Inhaltlich ist Puccinis Edgar mehr als fragwürdig. Musikalisch hat das Werk im Ganzen noch nicht die Qualität seiner späteren Opern erreicht. Aber die musikalischen Zwischenspiele zeigen bereits Puccinis spätere Perfektion. Weitere Rezensionen zum Klangvokal Festival Dortmund 2016
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ProduktionsteamMusikalische Leitung
WDR Funkhausorchester Köln Musikalische Assistenz und Orgel WDR Rundfunkchor Köln Kinderchor der Chorakademie Dortmund
Solisten
Edgar
Gualtiero, Fidelias Vater
Frank, Fidelias Bruder
Fidelia
Tigrana
Weitere |
- Fine -