Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musikfestspiele
Zur OMM-Homepage Zur Festspiel-Startseite E-Mail Impressum



Klangvokal
Musikfestival Dortmund
13.05.2016 - 12.06.2016

Il Nabucco

Oratorium (Dialog zu sechs Stimmen)
Libretto von Vincenzo Giattini
Musik von Michelangelo Falvetti

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 1 h 30' (keine Pause)

Aufführung in der St. Reinoldikirche Dortmund  am 13. Mai 2016

 

 

Homepage

 

 

"Va pensiero" einmal anders

Von Thomas Molke / Fotos: © Bülent Kirschbaum

Bei Nabucco denken die meisten sicherlich direkt an Verdis Oper mit dem berühmten Gefangenenchor. Dass die Gedanken aber auch ganz woanders "hinfliegen" können, hat nun das Klangvokal Musikfestival beim Eröffnungskonzert in der Reinoldikirche demonstriert. Hier wurde nämlich als deutsche Erstaufführung ein unbekanntes Oratorium mit dem Titel Il Nabucco präsentiert, das rund 150 Jahre vor Verdis Oper entstand. Der Komponist Michelangelo Falvetti hingegen ist für die Klangvokal-Besucher kein Unbekannter mehr. Bereits vor zwei Jahren war hier, ebenfalls mit dem Choeur de Chambre de Namur und der Cappella Mediterranea unter der Leitung von Leonardo García Alarcón, im Abschlusskonzert Falvettis erstes Oratorium Il diluvio universale zu erleben (siehe auch unsere Rezension).

Bild zum Vergrößern

Daniele (João Fernandes) mit seinen drei Gefolgsleuten Anania (Caroline Weynants, links), Azaria (Mariana Flores, Mitte) und Misaele (Lucia Martin Carton, rechts)

Anders als bei Verdi kommen in Falvettis Oratorium die intrigante Abigaille, ihre jüngere Schwester Fenena, der von beiden geliebte Ismaele und der Hohepriester Zaccaria nicht vor. Stattdessen konzentriert sich Falvetti auf eine Episode aus dem Buch Daniel im Alten Testament, die für die Befreiung des jüdischen Volkes aus der 70 Jahre währenden babylonischen Gefangenschaft als ein Auslöser betrachtet werden kann. Nabucco verurteilt hier drei Gefolgsleute des Propheten Daniel - Anania (Abed-Negro), Azaria (Sadrach) und Misaele (Mesach) - zum Tod in den Flammen, weil sie sich weigern, sein Bildnis anzubeten. Doch im Feuerofen geschieht ein Wunder. Die drei werden von den Flammen nicht verletzt und demontieren damit Nabuccos gotteslästerliche Selbstüberschätzung. Als eine Demontage kann auch Falvettis Oratorium gelesen werden. 1680 hatten nämlich die spanischen Besatzer an der Stelle, an der zuvor der prächtige Senatspalast dem Erdboden gleich gemacht worden war, eine kolossale bronzene Reiterstatue des spanischen Königs Karl II. errichtet. Als Falvetti zwei Jahre später das Amt des Dom- und Senatskapellmeisters in Messina übernahm, blickte er von seinem Arbeitsplatz aus direkt auf diese Statue, was vielleicht auch einen Anteil daran gehabt hat, dass er sich in seinem zweiten Oratorium mit dem Sujet um den babylonischen König Nabucco beschäftigt hat, und auch wenn er seinen drei Rebellen nicht die Worte "Va pensiero" in den Mund legt, geht das in einem Terzett angestimmte "Pensieri volate" in die gleiche Richtung und ist inhaltlich vom berühmten Gefangenenchor gar nicht so weit entfernt.

Bild zum Vergrößern

Anania (Carolina Weynants, links), Azaria (Mariana Flores, Mitte) und Misaele (Lucia Martin Carton, rechts) weigern sich, Nabucco (Fernando Guimarães) anzubeten.

Um die Herrscherkritik nicht ganz so schonungslos zu gestalten, beginnt die Oper mit einem Prolog, in dem zwei allegorische Figuren, Superbia (Hochmut) und Idolatria (Götzendienst), am Ufer des Euphrat zusammentreffen und beschließen, Nabuccos Handeln zu beeinflussen. Superbia will ihn mit Hilfe von Gold hochmütig werden lassen und Idolatria will erreichen, dass er sein Bildnis vom Volk anbeten lässt. Interessant ist, dass Falvetti auch dem Fluss eine Stimme verleiht. Mit profundem Bass fordert Matteo Bellotto als Eufrate die beiden allegorischen Figuren, die mit leuchtenden Sopranstimmen besetzt sind, auf, nach Babylon zu gehen und ihre Mission zu erfüllen. Lucia Martin Carton bringt als Superbia mit hell strahlenden Höhen die Überheblichkeit ihrer Partie überzeugend zum Ausdruck, während Mariana Flores der Idolatria mit etwas schwererem Sopran Gewicht verleiht. Leonardo García Alarcón sorgt mit der Cappella Mediterranea für einen lautmalerischen Klang, der in einem sublim flirrenden Geigenklang und sanftem Spiel der Bläser die Figuren spürbar aus den Tiefen des Flusses aufsteigen lässt und nach Babylon führt.

Bild zum Vergrößern

Schlussapplaus: von links: Eufrate (Matteo Bellotto), Daniele (João Fernandes), Misaele (Lucia Martin Carton), Azaria (Mariana Flores), Anania (Caroline Weynants), Nabucco (Fernando Guimarães), Leonardo García Alarcón und Arioco (Raffaele Pé), im Hintergrund: Cappella Mediterranea und der Choeur de Chambre de Namur

Nach einer kurzen Sinfonia landet man nun beim schlafenden Nabucco, der von einem Traum beunruhigt wird, in dem er eine riesige Statue mit goldenem Kopf, silberner Brust und Füßen aus Ton gesehen hat, die in Staub zerfiel. Seinen Heerführer Arioco bittet er deshalb, den geplanten Triumphzug zu verschieben. Fernando Guimarães überzeugt in dieser Szene mit weichem Tenor, der die Unsicherheit des Königs unterstreicht. Raffaele Pé glänzt als Arioco mit beweglichem Countertenor und sauber angesetzten Höhen, wenn er in der Arie "Regie pupille" dem König rät, auf seinen Erfolg zu vertrauen. Doch während Pé noch versucht, Nabucco mit strahlenden Höhen, die durch die Akustik in der Reinoldikirche wunderbar zur Geltung kommen, die Angst zu nehmen, schlägt Joćo Fernandes als Daniele mit dunklem Bass ganz andere Töne an. In "Confondansi i Superbi" kritisiert er mit markanten Tiefen den Irrtum der Hochmütigen.

Es folgt der Auftritt der drei jungen Juden Anania, Azaria und Misaele, die mit Frauenstimmen besetzt sind. In einem kurzen Quartett mit Daniele beschließen sie, dem höchsten Gott Lobeshymnen zu singen. Mariana Flores, Caroline Weynants und Lucia Martin Carton lassen dabei ihre glockenklaren Sopranstimmen, die durch den leichten Hall in der Reinoldikirche nahezu ätherische Züge annehmen, zu einer wunderbaren Einheit verschmelzen. Mit sanfter Stimmführung setzt Weynants als Anania zum "Pensieri volati" an, mit dem sie auffordert, den Gedanken freien Lauf zu lassen. Musikalisch stellt diese Szene einen Höhepunkt des Oratoriums dar. Pé bekräftig im Anschluss an dieses Lob auf den einen Gott mit heftigen Koloraturen die Strahlkraft des Königs von Babylon. Und nun zeigt sich Nabucco plötzlich von einer anderen Seite. Es scheint, dass die beiden allegorischen Figuren angekommen sind und von seiner Seele Besitz ergriffen haben. Jedenfalls zeigt sich der König nun wesentlich entschlossener. Die Musik unterstützt diese neue Stärke durch Trommeln und Blechbläser, die Nabuccos Machtanspruch unterstreichen. Doch Anania, Azaria und Misaele lassen sich von diesem Auftritt nicht einschüchtern. Weynants verspottet in der Arie "Splenda pure al pari del Sole" mit flexiblen Koloraturen Nabuccos Ansinnen. Wenn Nabucco in der folgenden Auseinandersetzung mit den drei Jünglingen beschließt, sie für ihr Verhalten in den Feuerofen zu werden, fehlt es Guimarães' Tenor leider ein wenig an Dramatik.

Da die Solisten ihre Partien frei vortragen, geben sie dem Oratorium einen szenischen Charakter, der auch durch interessante Lichtwechsel die unterschiedlichen Stimmungen der Szene untermalt. So wird der Bühnenhintergrund in rotes Licht getaucht, wenn die drei Jünglinge in den Feuerofen geworfen werden sollen, während die Musik mit leicht disharmonischen Tönen diesen unmenschlichen Akt beschreibt. Im Ofen können dann Weynants, Flores und Carton mit drei strahlenden Arien glänzen. Den Anfang macht Weynants, die die Flammen des Ofens als Strahlen des heiteren Himmels betrachtet, gefolgt von Flores, die betont, dass ihr Glauben im Feuer geboren sei und deshalb durch die Flammen noch wachse. Carton lässt dann mit zarten Tönen spüren, wie sich die Flammen in Blumen verwandeln, die zwar in der Farbe des Feuers glänzen, den drei jungen Männern aber nichts anhaben können. Auch an dieser Stelle findet erneut ein interessanter Lichtwechsel in zarte Fliederfarben statt. Am Ende vereinen sich die drei Sopranstimmen mit dem Choeur de Chambre de Namur zu einem fulminanten Lob auf Gott den Herrn, der nach dem großen Applaus für alle Beteiligten als Zugabe noch einmal wiederholt wird.

FAZIT

Dem Klangvokal Musikfestival gelingt mit diesem unbekannten Oratorium ein großartiger Auftakt zum diesjährigen Festival. Eine Aufnahme mit der Cappella Mediterranea unter der Leitung von Leonardo García Alarcón ist übrigens mit einem Teil der Solisten, die in Dortmund zu erleben waren, als CD erhältlich.

Weitere Rezensionen zum Klangvokal Festival Dortmund 2016.

 

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Leonardo García Alarcón

 

Cappella Mediterranea

Choeur de Chambre de Namur

 

Solisten

Nabucco
Fernando Guimarães

Daniele
Joćo Fernandes

Arioco
Raffaele Pé

Eufrate
Matteo Bellotto

Azaria / Idolatria (Götzendienst)
Mariana Flores

Anania
Caroline Weynants

Misaele / Superbia (Hochmut)
Lucia Martin Carton

 

Weitere
Informationen

erhalten Sie unter
Klangvokal Dortmund
(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Zur Festspiel-Startseite E-Mail Impressum

© 2016 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de

- Fine -