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41. Tage Alter Musik in Herne10.11.2016 - 13.11.2016 Lucio Cornelio Silla
Oper in drei Akten (HWV 10) Aufführungsdauer: ca. 2 h 35' (eine Pause) Koproduktion mit den Internationalen Händel-Festspielen Göttingen und den Ludwigsburger Schlossfestspielen Aufführung im Kulturzentrum in Herne am 13. November 2016 |
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Liebesverstrickungen im antiken Rom Von Thomas Molke / Fotos: © Thomas Kost / WDR Händels Lucio Cornelio Silla gehört zu den von der Händel-Forschung eher vernachlässigten Werken des Hallenser Komponisten. Eine Uraufführung zu Händels Lebzeiten ist nicht belegt. Vermutet wird, dass es eventuell nur eine Privataufführung für den Herzog d'Aumont de Rochebaron, einen französischen Sonderbotschafter Louis XIV. am Hofe von Königin Anne, gab, der sich zuvor im Spanischen Erbfolgekrieg große Verdienste um die Vermittlung des Friedens zwischen Großbritannien und Frankreich erworben hatte. Betrachtet man die Oper unter dem diesjährigen Thema der Tage Alter Musik, "Hommage", dürfte man sie eher als Polemik gegen Karl VI., den Kaiser des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nationen, und damit auch gegen Händels vorherigen Dienstherrn, den Kürfürsten von Hannover, betrachten, was dann wieder einer Huldigung der Franzosen gleichkommt. Lange Zeit galt das Werk als verschollen und wurde erst zu Beginn der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts aus Fragmenten eines Originalmanuskriptes, einer Dirigierpartitur und einem in Kalifornien gefundenen gedruckten Libretto rekonstruiert. Nach einer ersten Wiederaufführung 1990 in Paris, wurde es 1993 konzertant in Halle im Rahmen der Händel-Festspiele präsentiert und war im letzten Jahr dort erstmals szenisch zu erleben (siehe auch unsere Rezension). Lucio Cornelio Silla (Dmitry Sinkovsky) und seine Frau Metella (Anna Dennis) Die Oper handelt von Lucius Cornelius Sulla Felix (Silla), der als einer der grausamsten Tyrannen Roms aus der Spätphase der Republik gilt. Nachdem er sich 82 v. Chr. gegen seinen Widersacher Marius und dessen Anhänger im Bürgerkrieg durchgesetzt hatte, errichtete er für drei Jahre eine Willkürherrschaft in Rom und ließ zahlreiche Adelige hinrichten, bevor er sich 79 v. Chr. völlig überraschend ins Privatleben zurückzog. Die Oper setzt kurz nach seinem Sieg gegen Marius ein und beschränkt sich auf seine sexuellen Ausschweifungen als Ausdruck seiner Tyrannei. So bedrängt er zunächst Flavia, die Frau seines Vertrauten Lepido, und will diesen hinrichten lassen, um Flavia heiraten zu können. Außerdem begehrt er sein Mündel Celia, die allerdings Claudia, einen Anhänger des Marius, liebt, den er daraufhin zur Strafe in einen Steinbruch schickt. Metella, Sillas Gattin, ist nicht nur durch das ungebührliche Verhalten ihres Gatten verletzt, sondern will auch Lepido und ihren Neffen Claudio retten. Im Geheimen kann sie die Hinrichtung der beiden vereiteln, ist aber nicht bereit, sich einem Anschlag auf ihren Gatten anzuschließen. Stattdessen hilft sie ihm, sich nach Sizilien einzuschiffen. Als Silla auf dem Weg dorthin Schiffbruch erleidet und mit letzter Kraft zu einer Klippe gelangt, rettet Metella ihn mit einem Boot und bringt ihn zurück nach Rom. Durch den Vorfall geläutert bittet er vor dem in einer Wolke erscheinenden Gott Mars um Vergebung für seine Untaten und zieht sich gemeinsam mit Metella ins Privatleben zurück. Flavia (Keri Fuge) und Lepido (Philipp Mathmann) Auch wenn es sich in Herne um eine konzertante Aufführung handelt, setzen die Solisten mit historischer Gestik szenische Akzente. Dabei ist zwar nicht klar, wieso sie nach ihren Auftritten jeweils die die Seiten und die vor dem Orchester aufgestellten Stühle wechseln, wobei es aber wahrscheinlich auch überflüssig ist, einen tieferen Sinn darin zu suchen. Stattdessen kann man sich ganz dem musikalischen Genuss hingeben. Dorothee Oberlinger findet mit dem 2002 von ihr gegründeten Ensemble 1700 einen stringenten Zugang zu Händels Klangsprache, greift in Sillas Traumsequenz selbst zur Blockflöte und wiegt mit warmem, weichem Klang den Tyrannen in den Schlaf. Dmitry Sinkovsky nimmt als Silla für diese kurze Arie auf einem Stuhl neben dem Dirigentenpult Platz. Auch für die anderen Instrumente hält das Werk einige interessante Solo-Passagen bereit. Zu nennen ist hier Claudios Arie im ersten Akt, in der er seine Gefühle für Celia besingt, und die nur vom Cello und vom Cembalo begleitet wird, oder das Wechselspiel mit der Trompete am Ende des zweiten Aktes, wenn er sich gegen Sillas Hochmut zur Wehr setzen will. Bewegend untermalen auch die Flöten seine Begeisterung, wenn er sich Celias Liebe gewiss ist. Die Laute darf dann im dritten Akt in zahlreichen Variationen Celias Trauer zum Ausdruck bringen, wenn sie glaubt, dass ihr Geliebter von Silla getötet worden ist. Celia (Stefanie True, links) und Claudio (Helena Rasker, rechts) Helena Rasker begeistert in der Partie des Claudio mit einem dunkel-timbrierten Alt, der in den Arien die unterschiedlichen Gefühlsregungen des jungen Mannes deutlich herausarbeitet. Dabei verfügt Rasker über eine kräftige Mittellage, die vor allem in Claudios Arie "Con tromba guerriera" am Ende des ersten Aktes seinen unbändigen Mut erkennen lässt. Wenn es um Claudios Gefühle für Celia geht, schlägt Rasker ganz weiche Töne an. Ein weiterer Höhepunkt ist Claudios Arie "Se'l mio mal da voi dipende" im zweiten Akt, wenn er damit rechnet, den Löwen zum Fraß vorgeworfen zu werden. Hier unterstreichen die Geigen mit schneidenden Tönen seine Entschlossenheit, dem Tod ohne Furcht entgegenzutreten. Stefanie True legt die Partie der Celia mit weichem, mädchenhaftem Sopran an. Philipp Mathmann verfügt als Lepido in den Rezitativen über einen sehr hohen Countertenor, der in den Arien vor allem in den langsamen, getragenen Passagen überzeugt. In seiner ersten Arie "Se ben tuona il ciel irato", in der er Flavia beteuert, sie gegen Silla zu schützen, hat er bei den halsbrecherischen Koloraturen leichte Schwierigkeiten und lässt in den Läufen die Beweglichkeit vermissen. Dies gleicht er allerdings im dritten Akt in seiner großen Arie "Già respira in petto il corte" wieder aus. Hier zeigt sich Mathmann in den Läufen absolut beweglich und setzt die Töne sauber an. Keri Fuge stattet seine Ehefrau Flavia mit warmem, lyrischem Sopran aus und überzeugt in ihrer Wut-Arie "Stelle rubelle" im dritten Akt mit glasklaren Koloraturen, während sie kurz darauf in "Ma infelice saria vivere" in ein Herz zerreißendes Lamento verfällt. In den beiden Duetten finden Mathmann und Fuge stimmlich zu einer betörenden Innigkeit. Drei glückliche Paare: von links: Flavia (Keri Fuge), Lepido (Philipp Mathmann), Celia (Stefanie True), Claudio (Helena Rasker), Metella (Anna Dennis) und Silla (Dmitry Sinkovsky), in der Mitte: Dorothee Oberlinger, dahinter: Ensemble 1700 Dmitry Sinkovsky lässt in der Titelpartie ebenfalls keine Wünsche offen. Sein Countertenor ist relativ dunkel und erhält somit eine virile Färbung, die sich von Lepidos Reinheit deutlich unterscheidet. Dabei beweist Sinkovsky große Flexibilität in den Koloraturen. Während er in seiner Auftrittsarie "Alza il volo la mia fama" mit beweglicher Stimmführung noch vor herrschaftlichem Selbstbewusstsein strotzt, gelingt es ihm, im weiteren Verlauf Sillas Unberechenbarkeit herauszuarbeiten und nach seinem Schiffbruch als geläuterter Mensch aufzutreten, der der Herrschaft entsagt. Anna Dennis steht ihm als seine Gattin Metella in nichts nach. Mit kräftigen Höhen bietet sie ihrem Gatten Paroli und verhindert, dass Lepido und Claudio hingerichtet werden. Ihre musikalisch größten Momente hat sie am Ende des zweiten Aktes, wenn sie in der fulminanten Arie "Secondate, oh giusti dei" die Götter mit halsbrecherischen Koloraturen um ihren Beistand bittet, und im dritten Akt, wenn sie mit großem Pathos in der Arie "Io non ti chiedo più" von ihrem Gatten Abschied nimmt. Dass wunderbare Duett, in dem sich Metella und Silla kurz vor seinem Aufbruch nach Sizilien noch einmal ewige Liebe schwören, geht in der Interpretation von Sinkovsky und Dennis unter die Haut. Warum dann die Szene mit Sillas Rettung durch Metella ausgelassen wird und nur als Text auf die Rückwand projiziert wird, wird nicht klar. Auf diese Weise kommt der Schluss etwas abrupt. Blass bleibt lediglich Thomas Hansen als Gott Mars, der mit seinem leichten Bariton der Figur nicht die göttliche Würde verleihen kann. Am Ende gibt es frenetischen Beifall für alle Beteiligten und für einen gelungenen Abschluss der diesjährigen Tage Alter Musik in Herne. FAZIT Auch diese selten zu erlebende Händel-Oper hat musikalisch einige Schätze zu bieten. Von daher sollte man die Gelegenheit beim Schopf ergreifen, wenn das Stück bei den Internationalen Händel-Festspielen in Göttingen 2017 noch einmal zu erleben sein wird. Weitere Rezensionen zu den Tagen der Alten Musik in Herne 2016 |
ProduktionsteamMusikalische Leitung und Blockflöte Historische Gestik
Solisten
Lucio Cornelio Silla Metella
Lepido Flavia Claudio Celia Il Dio Marte Scabro (stumme Rolle)
Weitere |
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