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Opernjuwel des ausgehenden 18. JahrhundertsVon Thomas Molke / Fotos: © Ludwig OlahLuigi Cherubini galt zwar zu seinen Lebzeiten als einer der populärsten Komponisten in Paris, der unter anderem Daniel François Esprit Auber und Jacques Fromental Halévy zu seinen Schülern zählte. Doch auch wenn Ludwig van Beethoven und Johannes Brahms ihn für einen der größten Komponisten hielten, gerieten seine Werke weitestgehend in Vergessenheit. Auf der Opernbühne ist sporadisch noch Medée zu erleben, und eingefleischten Opernkennern ist sicherlich auch noch seine damals erfolgreichste Oper Les deux journées (Der Wasserträger) ein Begriff. Gar keine Beachtung finden hingegen mehr seine italienischen Opern, obwohl beispielsweise seine letzte, Ifigenia in Aulide, die Cherubini 1788 am Teatro Regio in Turin zur Uraufführung brachte, bevor er zwei Jahre später endgültig nach Paris übersiedelte, 1810 für das neugegründete Konservatorium in Mailand in den Kanon der als wichtiges Modell zu studierenden Opern aufgenommen wurde. Lange Zeit galt die Partitur als verschollen, bis sie Ende der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts wieder aufgetaucht ist. Da die Figur der Iphigenie als "Schutzpatronin der Aufklärung" einen zentralen Eckpunkt der diesjährigen Gluck-Opern-Festspiele markiert, gelangt nun nach Piccinnis Iphigénie en Tauride in Nürnberg und Richard Strauss' Bearbeitung von Glucks Iphigenie auf Tauris in Fürth mit Cherubinis Werk Iphigenies Vorgeschichte zur Aufführung. Fatales Götterurteil: Ifigenia soll geopfert werden: von links: Agamemnone (Joshua Whitener), Ulisse (Polina Artsis) und Calcante (Bryan Boyce). Allerdings lässt sich die Tauris-Episode eigentlich nicht logisch an Cherubinis Fassung anschließen, da sie sich von der mythologischen Episode der Atriden, wie sie im Drama von Euripides bekannt ist und von Gluck 1774 für Paris vertont worden war, in einigen Punkten unterscheidet. Zwar liegt auch hier die Flotte der Griechen im Hafen, um nach Troja aufzubrechen und die vom trojanischen Prinzen Paris geraubte Helena zurückzuholen, und wird von einer Windstille am Aufbruch gehindert. Auch verkündet der Oberpriester Calcante (Kalchas), dass Ifigenia (Iphigenie) zur Besänftigung der Göttin Artemis geopfert werden müsse. Allerdings kommt Ifigenia hier nicht mit ihrer Mutter Klytemnestra nach Aulis, um mit Achille vermählt zu werden, sondern allein. Dafür bringt Achille von der Eroberung der Insel Lesbo die Prinzessin Erifile als Gefangene mit ins Lager der Griechen. Agamemnone, der seine Tochter retten will, gaukelt ihr nun vor, Achille wolle sie für Erifile verlassen, und fordert sie deshalb auf, nach Mykene zurückzukehren. Doch der Betrug fliegt auf. Ifigenia will sich ihrem Schicksal stellen und dem Verlangen der Gottheit nachgeben. Während Achille ihr Opfer mit Waffengewalt verhindern will und der verzweifelte Agamemnone keinen Ausweg mehr sieht, kommt die Meldung, dass Erifile die uneheliche Tochter von Helena und Theseus sei und eigentlich auch Ifigenia heiße, in Lesbo nur unter anderem Namen aufgewachsen sei. Mit dem geforderten Opfer sei also Erifile gemeint, um die Schuld ihrer Mutter Helena zu sühnen. Erifile, die erkennt, dass ihre Liebe zu Achille aussichtslos ist, tötet sich selbst, woraufhin die Griechen jubelnd nach Troja aufbrechen. Diese recht seltsam anmutende Auflösung geht auf ein Drama von Jean Racine zurück, der die Figur der Erifile eingeführt hat, um ein glückliches Ende mit der Vereinigung von Ifigenia und Achille zu ermöglichen. Zickenkrieg um Achille: Ifigenia (Roberta Invernizzi, links) und Erifile (Silke Evers, rechts) Cherubinis musikalischer Stil erinnert zwar in der Grundstruktur noch an die Opera seria, wandelt aber in der Expressivität des Klangs bereits auf den Spuren des Opernreformators Gluck. So beginnt die Ouvertüre wuchtig, was eigentlich nicht ganz zur Ausgangssituation passt, nämlich dass eine Windstille die Griechen am Aufbruch hindert. Doch Cherubini wirft seine Protagonisten direkt zu Beginn in ein emotionales Chaos. Calcante berichtet Agamemnone und Ulisse, dass Ifigenia geopfert werden müsse, um die zürnende Gottheit zu besänftigen. Schon das erste Terzett zwischen Agamemnone, Ulisse und Calcante, in dem die drei diesen Urteilsspruch zu verarbeiten versuchen, hinterlässt beim Publikum großen Eindruck. Joshua Whitener punktet als Agamemnone mit höhensicherem Tenor, der die Verzweiflung des Vaters spürbar macht, während Polina Artsis als Ulisse mit voluminösem und dunklem Mezzo kühl berechnend dagegenhält. In der folgenden Arie des Agamemnone arbeitet Whitener mit sauber fokussierten Höhen seine innere Zerrissenheit heraus, wobei ihm allerdings in den extrem schnellen Läufen ein wenig die Beweglichkeit fehlt. Es folgt Roberta Invernizzis Auftritt als Ifigenia, die über die Zurückweisung des Vaters irritiert ist. In ihrer ersten Arie bringt Invernizzi mit perlenden Koloraturen und gewaltigen Sprüngen Ifigenias Nervosität grandios zum Ausdruck. Achille (Ray Chenez) und Arcade (Anja Gutgesell) Mit großer Bläserbesetzung tritt dann Achille mit seiner Gefangenen Erifile auf. Hier klingen die Hörner des Philharmonischen Orchesters Würzburg nicht ganz sauber und bleiben auch im weiteren Verlauf das einzige Manko des ansonsten unter der Leitung von Enrico Calesso fulminant aufspielenden Orchesters. Calesso selbst begleitet die Rezitative auch noch am Cembalo. In der Auseinandersetzung zwischen Ulisse und Achille punktet Artsis erneut mit kräftigem Mezzo, wenn sie selbstbewusst verkündet, dass die Griechen auch dem ausbleibenden Wind trotzen werden. Hier wird deutlich, dass Ulisse wesentlich taktierender und emotionsloser als die anderen Figuren ist. Ray Chenez rechtfertigt als Achille im Gegenzug seine Liebe und entgegnet dem leicht spöttischen Ulisse, dass er dem Ruf der Kriegsfanfaren schon im entscheidenden Moment wieder entschlossen folgen werde. Chenez überzeugt mit sauberen Höhen und flexiblen Läufen und legt die Arie auch darstellerisch recht selbstbewusst an, während Artsis mit zynischen Blicken sehr deutlich macht, was Ulisse von Achilles Schwärmereien hält. Auch Silke Evers gibt als Prinzessin Erifile der konzertanten Aufführung eine szenische Note. So schmachtet sie Achille verführerisch an und leidet sehr darunter, dass er sie gar nicht wahrnimmt und seine ganze Zuneigung Ifigenia schenkt. Dabei punktet Evers mit frischem Sopran und leuchtenden Höhen. Ensemble: von links: Erifile (Silke Evers), Ulisse (Polina Artsis), Ifigenia (Roberta Invernizzi), Enrico Calesso (am Cembalo), Achille (Ray Chenez), Agamemnone (Joshua Whitener) und Calcante (Bryan Boyce) (im Hintergrund: Philharmonisches Orchester Würzburg)
Ein regelrechtes Koloraturenfeuerwerk schießen Invernizzi und Chenez dann in
ihrem großen Duett am Ende des ersten Aktes ab, wenn Achille enttäuscht über
Ifigenias Zurückweisung ist. Zwischen Invernizzi und Evers ist im Anschluss auf
der Bühne eher "Zickenkrieg" zwischen Ifigenia und Erifile angesagt, den die
beiden mit großer Komik ausspielen. Als weiterer musikalischer Höhepunkt kann
Achilles große Arie am Ende des zweiten Aktes betrachtet werden, wenn er mit
aller Macht verhindern will, dass seine geliebte Ifigenia geopfert wird. Mutig
trotzt Chenez hier den Göttern mit klar fokussierten Koloraturen und zahlreichen
Registerwechseln. Das folgende Quartett zwischen Ifigenia, Achille, Agamemnone
und Ulisse erinnert musikalisch ein wenig an das berühmte Quartett aus Mozarts
Idomeneo, "Andrò ramingo e solo", in dem Idomeneos Sohn Idamante
bereitwillig den Opfertod sterben will. Hier begeistern Invernizzi, Chenez,
Whitener und Artsis erneut durch eindringliche Interpretation. Auch Ifigenias
folgende Arie, in der sie die Götter bittet, die Erinnerung an sie zu bewahren,
klingt vertraut. Hier denkt man zumindest bei den ersten Takten an Orfeos große
Klagearie "Que farò senza Euridice". Ein wenig abrupt kommt dann der Schluss der
Oper. Nachdem Agamemnones erneute Klage durch einen düsteren Trommelwirbel
unterbrochen worden ist, folgt eine bewegende Abschiedsszene zwischen Invernizzi
und Chenez, bevor Bryan Boyce als Calcante mit der rettenden Information
auftritt, dass Erifile das von den Göttern geforderte Opfer ist. Evers setzt den
Selbstmord auf der Bühne szenisch um, indem sie Gift aus einem Ring schluckt und
anschließend von der Bühne wankt. Die anderen stimmen daraufhin in fulminanten
Jubel ein, der im Anschluss vom Publikum mit frenetischem Applaus belohnt wird.
Die konzertante Aufführung beweist, wie viel Potenzial in Cherubinis
Opernschaffen steckt. Von daher bleibt zu hoffen, dass auch weitere Werke von
ihm den Weg zurück auf die Bühne finden.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung und Cembalo
Philharmonisches Orchester Würzburg Cembalo Continuo-Cello Solisten
Agamemnone, König von Argo,
Ifigenia, seine Tochter
Achille, Prinz von Tessaglia, ihr Verlobter Ulisse, König
von Itaca Erifile, Prinzessin von Lesbo, Arcade, Vertrauter des Agamemnone Calcante, Oberpriester
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