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Internationale Gluck-Opern-Festspiele
Nürnberg

16.07.2016 - 30.07.2016

Iphigénie en Tauride

Tragédie lyrique in vier Akten
Libretto von Alphonse du Congé Dubreuil

Musik von Niccolò Piccinni

in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 20' (eine Pause)

Aufführung im Kleinen Saal der Meistersingerhalle Nürnberg am 18. Juli 2016


 

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"Konkurrenz"-Iphigenie 

Von Thomas Molke / Foto: © Ludwig Olah

Obwohl Niccolò Piccinni über 80 Opern komponiert hat und zu Lebzeiten große Erfolge verbuchen konnte, ist er heutzutage eigentlich nur noch über seine Anhänger, die sogenannten Piccinnisten bekannt, die in Paris einen erbitterten Streit gegen Glucks Anhänger um die Vormachtstellung in der Oper führten. Dass Gluck nämlich nach dem Tod des französischen Königs Ludwig XV. nach Paris geholt wurde, betrachtete Ludwigs Mätresse Marie-Jeanne Bécu du Barry als Affront und beschloss, einen Rivalen nach Paris kommen zu lassen, um einen regelrechten Opernstreit zu entfachen. Dabei waren aber weder Gluck noch Piccinni bereit, sich an diesem Machtspiel zu beteiligen, da sie sich als Komponisten gegenseitig sehr schätzten. Als sie beauftragt wurden, beide eine Oper zum gleichen Stoff zu komponieren, wählt Gluck kurzerhand ein anderes Thema, was den beiden Parteien natürlich nicht gefiel. Folglich wurde eine Intrige gesponnen. Nachdem Gluck nach Wien abgereist war, erhielten beide erneut den Auftrag, auf ein unterschiedliches Libretto Iphigénie en Tauride zu vertonen, ohne dieses Mal allerdings voneinander zu wissen. Doch auch diese List ging nicht auf. Als Piccinni erfuhr, dass Gluck mit der fertigen Partitur in Paris angekommen war, wurde die Uraufführung seiner Oper zunächst verschoben, da er von Glucks Vertonung so begeistert war, dass er dieser Version nichts entgegenstellen wollte. Erst zwei Jahre später kam dann seine Iphigénie an der Pariser Oper heraus, konnte allerdings nicht an Glucks Erfolg anknüpfen und verschwand sehr schnell vom Spielplan. Piccinni schlug im Anschluss eine neue musikalische Richtung ein, die er dann zwei Jahre später mit seiner Oper Didon manifestierte. Da man das diesjährige Festival unter das Motto "Streitkultur" gestellt hat, hat man sich entschieden, Piccinnis Iphigénie zur deutschen Erstaufführung zu bringen, um einen heutigen Vergleich mit Gluck zu wagen.

Bevor man sich dem musikalischen Genuss jedoch hingeben konnte, wurde vom Bürgermeister der Stadt Nürnberg und dem Honorarkonsul ein sehr trauriges Thema angesprochen. Als Partnerstadt von Nizza sei man in Nürnberg natürlich doppelt betroffen von den Ereignissen der letzten Woche und habe beschlossen, diese konzertante Aufführung einer Oper, die das Thema Freiheit behandele, den Opfern des Anschlags von Nizza zu widmen. Dazu hatte man sogar in einer Pressemeldung alle Nürnberger und Opernfreunde, die noch keine Karte für den Abend hatten, eingeladen, kostenfrei die Aufführung zu besuchen, solange es die Platzkapazität zuließe. Leider wurde dieses Angebot nicht stark ausgenutzt. Im Kleinen Saal der Meistersingerhalle blieben an diesem Montagabend trotzdem zahlreiche Plätze frei.

Die Handlung geht zurück auf eine mythologische Episode der Atriden, zu der Euripides eine auch heute noch bekannte Tragödie verfasste und die durch ein 1757 in Paris uraufgeführtes Schauspiel von Guimond de la Touche in den folgenden Jahren einen regelrechten Iphigenie-Hype im Musik- und Sprechtheater auslöste. Agamemnon, der König von Mykene, hatte einst seine Tochter Iphigenie in Aulis geopfert, um mit den Griechen nach Troja segeln zu können. Die Göttin Artemis (Diana) rettete Iphigenie jedoch vor dem Opfertod und brachte sie nach Tauris zu dem König der Skythen, Thoas, wo sie als Priesterin jeden Fremden der Göttin opfern musste. Klytämnestra, Iphigenies Mutter, war über den vermeintlichen Tod der Tochter  so verletzt, dass sie gemeinsam mit ihrem Liebhaber Ägisth ihren Gatten Agamemnon ermordete, als dieser siegreich aus Troja zurückkehrte. Daraufhin rächte Iphigenies Bruder Orest den Mord am Vater und tötete die eigene Mutter, woraufhin er von den Furien verfolgt wurde. Ein Orakelspruch in Delphi verhieß ihm, dass er nur Frieden finden werde, wenn er die Schwester - Orest glaubte, dass damit die Statue der Göttin gemeint sei - aus dem Tempel in Tauris zurück nach Argos bringe.

Die Oper beginnt mit Iphigenie (Iphigénie), die von düsteren Vorahnungen gequält wird, und in der Tat bewahrheitet sich ihre Sorge, als kurz darauf zwei griechische Gefangene zu ihr gebracht werden, die sie opfern soll, da Thoas um sein Leben fürchtet, sollte ein Ankömmling auf Tauris nicht den Opfertod sterben. Doch Iphigénie zögert, und da Thoas sie liebt, gestattet er ihr, zumindest einen der beiden Gefangenen ziehen zu lassen. Iphigénies Wahl fällt auf Oreste, doch dieser weigert sich, seinen Freund Pylades (Pilade) sterben zu lassen. Nach einer langen Auseinandersetzung erklärt sich Pilade widerwillig bereit, nach Mykene zurückzukehren und Oreste dem Opfertod zu überlassen. Kurz vor der Opferung gesteht Iphigénie Oreste, wer sie ist, woraufhin sich Oreste als ihr Bruder zu erkennen gibt. Daraufhin weigert sich Iphigénie Thoas' Befehl auszuführen. Bevor Thoas die beiden bestrafen kann, erscheint Pilade mit den Griechen und tötet Thoas. Der folgenden kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Taurern und Griechen gebietet Diana (Diane) Einhalt, die Oreste von seiner Schuld freispricht und den Griechen den Auftrag gibt, ihr Standbild zurück nach Griechenland zu bringen.

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Iphigénie (Claudia Sorokina) mit Oreste (Frédéric Cornille, Mitte) und Pilade (Benedikt Kristjánsson, rechts) (im Hintergrund: Wolfgang Katschner mit der Camerata Salzburg)

Musikalisch hat auch Piccinnis Fassung einiges zu bieten. Für die Titelpartie ist Claudia Sorokina verpflichtet worden, die bereits bei der Eröffnung der Festspiele vor zwei Jahren die Partie der Iphigenie in Glucks Iphigenie in Aulis  interpretierte (siehe auch unsere Rezension), und diese Rolle nun gewissermaßen inhaltlich fortführt. Dabei überzeugt sie direkt zu Beginn des Abends mit dramatischem Sopran, wenn sie in "O jour fatal" ihr grausames Schicksal in Tauris beklagt. Da kann auch der Damenchor des Berliner Vocalconsort trotz inniger Interpretation keinen Trost spenden. Mit ergreifender Stimmmodulation beschreibt Sorokina den Traum, der ihr ein neues grausames Opfer prophezeit und wendet sich voller Flehen an die Göttin. Doch diese erhört ihre Bitten (noch) nicht. Jean-Vincent Blots Auftritt als Thoas gleicht einem regelrechten Sturm, der von der Camerata Salzburg unter der Leitung von Wolfgang Katschner mit temporeichem Spiel und großer Dramatik entfacht wird. Blot punktet dabei mit profunden Tiefen und macht die Ängste, die der Tyrann hat, durchaus nachvollziehbar. Gut besetzt ist auch das Freundespaar Oreste und Pilade mit Frédéric Cornille und Benedikt Kristjánsson. Cornille überzeugt als Oreste bei seinem  "O sort funeste" im zweiten Akt mit durchschlagkräftigem Bariton, der Orestes Entschlossenheit unterstreicht. Kristjánnson hält als Pilade mit einem weichen, flexiblen Tenor dagegen.

Als musikalischer Höhepunkt dürfte der dritte Akt betrachtet werden. In einem erneuten "O jour fatal" beschreibt Sorokina eindrucksvoll Iphigénies innere Zerrissenheit, wenn sie sich nicht entscheiden kann, welchen von den beiden Gefangenen sie ziehen lassen soll. Erneut kann ihr der Chor der Priesterinnen keinen Trost spenden, sorgt aber musikalisch für berührende Momente. Wenn Pilade sich dann weigert, den Freund zurückzulassen, begeistert Cornille in der fulminanten Arie "Cruel! Et tu dis que tu m'amais", in der Oreste Pilade mit expressiven Läufen schwere Vorwürfe macht, so dass Pilade gar nichts anderes übrig bleibt, als einzulenken. Das Terzett, in dem Pilade dann von Iphigénie und Oreste Abschied nimmt, begeistert dann durch bewegende Innigkeit. Auch der zu Beginn des vierten Aktes fortgesetzte innere Kampf Iphigénies und die Wiedererkennung der beiden Geschwister gestalten Sorokina und Cornille mit großer Dramatik. Die Rettung erfolgt dann etwas abrupt. Thoas' "Je meurs" klingt nicht sehr überzeugend. Auch der Chor, der anschließend zur kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Taurern und Griechen ansetzen soll, verstummt relativ schnell und unvermittelt durch den Auftritt Dianes. Pauline Courtin stattet die Göttin mit weichem Sopran und klaren Spitzentönen aus. Die Oper endet mit großem Jubel, der genauso wie die Ouvertüre schon ein wenig auf Beethoven hinweist. Das Publikum belohnt die Solisten, den Chor und die Musiker mit großem Beifall.

FAZIT

Piccinnis Musik hat es durchaus verdient, wiederentdeckt zu werden. Ob man nun seiner oder Glucks Iphigénie den Vorzug gibt, bleibt jedem selbst überlassen.

Weitere Rezensionen zu den Internationalen Gluck-Opern-Festspielen 2016


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Wolfgang Katschner

Dramaturgie
Christian Baier

 

Berliner Vocalconsort

Camerata Salzburg


Solisten

Iphigénie
Claudia Sorokina

Oreste
Frédéric Cornille

Pilade
Benedikt Kristjánsson

Thoas
Jean-Vincent Blot

Diane
Pauline Courtin

La Pretresse
Anne Bretschneider


Weitere
Informationen

erhalten Sie von den
Gluck-Festspielen Nürnberg
(Homepage)



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