Fellini lässt grüßen
Von Thomas Molke
/ Fotos vom Rossini Opera Festival
Rossinis Il turco in Italia wird häufig mit der ein Jahr
zuvor entstandenen L'italiana in Algeri verglichen, was vielleicht auch
der Grund dafür gewesen ist, dass dieses Werk bei der Uraufführung an der Mailänder
Scala recht kühl aufgenommen wurde, da viele es als eine Parodie der recht
erfolgreichen Italiana betrachteten. Dabei weist Rossini-Experte Alberto
Zedda darauf hin, dass es nicht nur musikalisch gravierende Unterschiede
zwischen den beiden sogenannten Türkenopern gibt. So lässt sich Isabella, die
Titelfigur der Italiana, keineswegs mit Fiorilla im Turco
vergleichen. Während nämlich Isabella zur Heldin avanciert, die ihren Geliebten
Lindoro aus der Gefangenschaft beim Mustafà befreien will, sind Fiorilla solche
hehren Ziele absolut fremd. Sie betrachtet den Türken Selim lediglich als eine
willkommene Abwechslung zu ihrem tristen Eheleben mit Don Geronio. Auch heute
hat Il turco noch nicht wieder eine ähnliche
Popularität erlangt wie L'italiana. In Pesaro hat man mit Davide Livermore, Nicolas Bovey, Gianluca Falaschi
und D-Wok das gleiche Regie-Team engagiert, das vor drei Jahren L'italiana
hier in Szene gesetzt hat
(siehe auch
unsere Rezension). Um die Unterschiedlichkeit der beiden Werke
herauszuarbeiten, hilft das leider überhaupt nicht, zumal die Inszenierung ein
vergleichbares Grundkonzept wählt. Daran kann auch die Starbesetzung mit Erwin
Schrott, Olga Peretyatko und Nicola Alaimo nichts ändern.
Der Dichter Prosdocimo (Pietro Spagnoli) als
Federico Fellini inmitten seiner Filmfiguren
Die Geschichte um den Türken Selim, den es nach Italien verschlägt, um sich nach
europäischen Frauen umzusehen, ist dabei nicht neu. Felice Romani bedient sich
dabei eines Librettos von Caterino Mazzolà, das dieser 1788 in Dresden verfasst
hatte und das mit der Musik von Franz Seydelmann ein Jahr später in Wien zur
Uraufführung gelangt war. Hinzu kommen Einflüsse von Mozarts Così fan tutte,
das 1814 in Mailand gespielt wurde und von Rossini und Romani sicherlich besucht
worden war. Der Dichter Prosdocimo, der auf der Suche nach einem Stoff für eine
neue Komödie ist, trifft auf Zaida, die einst von Selim aus dem Serail
vertrieben worden ist, weil sie fälschlicherweise der Untreue bezichtigt wurde,
und nun als wahrsagende Zigeunerin in der Nähe von Neapel lebt. Zu ihr kommt der frustrierte Geronio, der sich prophezeien lassen will, wann seine launische Frau Fiorilla
endlich zur Vernunft kommen werde. Diese trifft inzwischen am Strand auf Selim
und lädt ihn sofort in ihr Haus ein. Es kommt zu einem Streit zwischen Selim und
Geronio, in dem letzterer unterliegt. Selim plant, Fiorilla auf sein Schiff zu
entführen und in die Türkei zu bringen. Nun greift Prosdocimo ein. Er rät
Zaida, sich als Fiorilla zu verkleiden, damit Selim sie an Fiorillas Stelle entführt. Des Weiteren
rät er Geronio und dessen Freund Narciso sich als Türken zu maskieren, um
Fiorillas Entführung zu verhindern. In diesem Durcheinander raubt Selim Zaida,
und Fiorilla will mit Narciso durchbrennen. Nur Geronio bleibt zunächst allein
zurück. Als Selim sich dann schließlich für Zaida entscheidet und Narciso sich
wieder von Fiorilla trennt, steht diese allein da und bereut ihr Verhalten.
Geronio ist bereit, ihr zu verzeihen und sie wieder bei sich aufzunehmen, und so
gibt es am Ende zwei "glückliche" Paare.
Fiorilla (Olga Peretyatko) flirtet mit Selim
(Erwin Schrott).
Livermore verlegt die Handlung in ein Filmstudio. Bereits vor der Ouvertüre
treffen die Figuren des Stückes als Schauspieler ein, wobei nicht ganz klar
wird, ob sie nun zusammengekommen sind, um sich den fertigen Film anzuschauen,
oder ob die Dreharbeiten erst beginnen sollen. Jedenfalls tritt Prosdocimo
als Federico Fellini auf, um einige Voraufnahmen zu präsentieren. Auf
weiße Tücher, die in mehreren Ebenen aus dem Schnürboden
herabgelassen werden, sind nun während der Ouvertüre zahlreiche Projektionen zu
sehen, die Selim in einem orientalischen Türkenkostüm mit einem Säbel hantierend
zeigen. Fiorilla erinnert in ihrem Petticoat an diverse Filmschönheiten der 60er
Jahre des letzten Jahrhunderts. Wieso Narciso als Priester gezeigt wird,
erschließt sich allerdings genauso wenig wie die Tatsache, dass Zaida in einem
zwar zauberhaften Zigeunerinnenkostüm einen langen schwarzen Bart mit einer
Schleife verpasst bekommt. Es ist auch keineswegs witzig, dass Selim sich
letztendlich ausgerechnet von diesem Bart angezogen fühlen soll und sich deshalb
am Ende für Zaida und gegen Fiorilla entscheidet. Dass Zaida ihr Gesicht
verschleiern muss, um sich beim Maskenball als Fiorilla zu tarnen, kann dabei
schon beinahe als politisch heikel betrachtet werden. Während Zaida mit ihrem
Bart absolut überflüssige männliche Züge bekommt, wird ihr Gefährte Albazar, der
sie einst vor der Rache des Türken bewahrt hat, als Frau kostümiert.
Selim (Erwin Schrott) entscheidet sich
schließlich für seine zuvor verstoßene Frau Zaida (Cecilia Molinari).
Doch mit dem Unsinn ist an dieser Stelle keineswegs Schluss.
Prosdocimo legt seinen Anzug ab und schlüpft in ein weißes an eine Toga
erinnerndes Gewand, um anschließend ein riesiges Holzfass auf der Bühne zu
besteigen. Was soll das jetzt schon wieder bedeuten? Diogenes in der Tonne?
Hinzu kommen einige weibliche Statistinnen, die wohl diverse Figuren aus
Fellini-Filmen darstellen sollen und recht unmotiviert in die Handlung
eingreifen. Besonders nervig ist dabei eine etwas korpulentere Darstellerin mit
auftoupiertem schwarzen Haar in einem sackartigen braunen Kleid, die stets mit
alberne Miene ihre Oberweite nach vorne streckt. Dass sie auch noch wie eine
Domina Narciso als Priester ständig in die Knie zwingt, macht die Sache nicht
besser. Aber Livermore scheint von diesem Gag fasziniert zu sein. Schließlich
übernimmt er ihn auch noch für den Schlussapplaus. Während die anderen Figuren
von Prosdocimo auf die Bühne gerufen werden, lässt er bei Narciso erneut die
Statistin in Aktion treten. So werden die komischen Möglichkeiten des Stückes
mit einem Regie-Konzept verspielt, das nicht aufgeht. Dabei geben die Akteure
wirklich alles, und so kommt zumindest im Finale des ersten Aktes etwas Komik
auf, wenn Fiorilla und Zaida in einem Kampf aufeinander losgehen.
Finale 1. Akt: von links: Albazar (Pietro Adaini),
Zaida (Cecilia Molinari), Selim (Erwin Schrott), Prosdocimo (Pietro Spagnoli),
Fiorilla (Olga Peretyatko), Geronio (Nicola Alaimo) und Narciso (René Barbera)
Im zweiten Teil kommt es zu einem kurzen Schockmoment. Prosdocimo
tritt wieder als Fellini in seinem Anzug auf, sitzt an einem Tisch und tippt die
Geschichte in seine Schreibmaschine. Da wirft er versehentlich den Tisch um, und
die Schreibmaschine knallt in den Orchestergraben. Einen Moment herrscht
absolute Stille im Saal. Pietro Spagnoli (Prosdocimo) blickt geschockt in den
Orchestergraben hinab. Nach einem kurzen Moment erscheinen zwei Hände, die die
Schreibmaschine wieder auf die Bühne reichen. Anscheinend ist niemand getroffen
worden. Doch Spagnoli ist noch richtig benommen. Immer wieder blickt er in den
Graben, um sich zu versichern, dass auch wirklich niemandem etwas passiert ist.
Dann beschließt er, das restliche Stück ohne Schreibmaschine weiterzuspielen und
stellt sie in der Loge über der Bühne ab. Erst jetzt geht es weiter.
Mag man auch zu dem Regie-Konzept gar keinen Zugang finden, lässt die
musikalische Umsetzung keine Wünsche offen. Olga Peretyatko, die
kürzlich für ihr Rossini-Album mit dem ECHO Klassik ausgezeichnet worden ist,
begeistert optisch und stimmlich als Fiorilla. Die Projektionen von ihr erinnern
an die junge Audrey Hepburn und sind eine regelrechte Augenweide. Des Weiteren
begeistert sie mit großer Flexibilität in den schnellen Läufen und leuchtend
klar ausgesungenen Koloraturen. So fängt sie den flatterhaften und launischen
Charakter Fiorillas absolut überzeugend ein. In ihrer großen Arie im zweiten
Akt, "Squallida veste, e bruna", in der sie sich von allen verlassen wähnt und ihr
Verhalten bereut, glänzt sie mit großer Dramatik und stupenden Spitzentönen.
Einziges Ärgernis ist, dass sie häufig rauchend über die Bühne laufen muss. Geronio stellt für Nicola Alaimo eine Paraderolle dar. Mit überbordendem
Spielwitz interpretiert er den gehörnten Ehemann, der am Ende doch bereit ist,
seiner Ehefrau zu verzeihen. Dabei erweist er sich mit beweglichem Buffo-Bariton
als Meister der Parlando-Stellen, der hierbei eine Geschwindigkeit vorlegt, die
den Zuschauer den Atem anhalten lässt. So stellt seine große Arie im zweiten
Akt, in der er sich auf den bevorstehenden Maskenball vorbereitet, einen
weiteren musikalischen Höhepunkt dar. Erwin Schrott überzeugt in der Titelpartie
mit markantem Bass und komödiantischem Spiel. Im Buffo-Duett im zweiten Akt kann
er mit Alaimos Parlando-Ton gut mithalten. Auch mit Peretyatko findet er in den
Duetten zu einer bewegenden Innigkeit, die nachvollziehbar macht, dass Fiorilla
sich zu dem charmanten Türken hingezogen fühlt.
René Barbera überzeugt als Narciso mit strahlendem Tenor und
sauber ausgesungenen Höhen, auch wenn die von Livermore intendierte
Personenregie bei dieser Figur überhaupt nicht klar wird. Auch Cecilia Molinari
macht als Zaida aus ihrer Rolle das beste und versucht, mit dem unvorteilhaften
Bart, weiblichen Charme zu versprühen. Ihr warmer Mezzosopran lässt dabei keine
Wünsche offen. Pietro Spagnoli stattet die Figur des Drahtziehers Prosdocimo mit
kräftigem Bariton aus, und auch Pietro Adaini gefällt in der kleineren Partie
des Albazar. Der von Mirca Rosciani einstudierte Chor des Teatro della Fortuna
M. Agostini überzeugt ebenso wie das Orchester Filarmonica Gioachino Rossini
unter der Leitung von Speranza Scappucci, so dass es am Ende großen Applaus für
die musikalische Umsetzung gibt, der nur von den szenischen Albernheiten getrübt
wird.
FAZIT
Davide Livermores Inszenierung beweist, dass Videoprojektionen nicht in jeder
Produktion aufgehen. Auch wenn die Handlung der Oper nicht ernst zu nehmen ist
und komisch sein soll, funktioniert das Fellini-Konzept überhaupt nicht. Schade
ist nur, dass dabei die musikalischen Meriten regelrecht verschwendet werden.
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