Veranstaltungen & Kritiken Musikfestspiele |
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Ruhrfestspiele Recklinghausen 01.05.2016 - 19.06.2016 Struwwelpeter
nach Dr. Heinrich Hoffmann |
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Bewältigung eines Kindheitstraumas Von Thomas Molke / Fotos von Birgit Hupfeld Jeder kennt die Geschichten vom Struwwelpeter, Suppen-Kaspar, Zappel-Philipp oder Hans-Guck-in-die-Luft, die der Frankfurter Dr. Heinrich Hoffmann angeblich nur deshalb 1844 verfasst hat, weil er für seinen dreijährigen Sohn kein angemessenes Weihnachtsgeschenk gefunden hat. Auch die Theater haben in letzter Zeit immer häufiger das Potenzial entdeckt, das in diesen Geschichten steckt. Eine der bekanntesten Umsetzungen für die Bühne dürfte wohl die Junk-Opera Shockheaded Peter sein, die Phelim McDermott und Julian Crouch mit der Musik von Martyn Jacques und der Londoner Band The Tiger Lillies 1998 in London zur Uraufführung gebracht haben. Nun hat sich der Liedermacher, Schauspieler und Kabarettist Rainald Grebe dieses Stoffes angenommen und präsentiert im Rahmen der Ruhrfestspiele statt der ursprünglich angekündigten Revue! einen kurzweiligen Theaterabend, der fünf Tage zuvor im Schauspielhaus Frankfurt seine Uraufführung erlebt hat. Christoph Pütthoff als Hans-Guck-in-die-Luft Mit fünf weiteren Schauspielerinnen und Schauspielern, einigen Senioren und Jugendlichen präsentiert er mit musikalischer Untermalung seine ganz eigene Sicht auf die zahlreichen Figuren und sorgt dabei für den ihm ganz eigenen spitzen Unterton. So gibt es nämlich neben Informationen mit Fotoprojektionen über reale Orte in und um Frankfurt, an denen die einzelnen Geschichten spielen, und weiteren Bearbeitungen des Stoffes in ganz Europa immer wieder ein Bild von seinem Vater im Jägerkostüm, das natürlich völlig unfreiwillig zwischen die Fotos gerutscht sei, als ob auch er mit diesem Programm Vergangenheitsbewältigung betreiben wolle. Die Bühne von Jürgen Klier besteht dabei aus einem nahezu klinisch weißen Raum, der im Programmheft als leeres Blatt Papier gedeutet wird, auf dem Hoffmann einst die Geschichten durch Zeichnungen zum Leben erweckte. Zunächst beginnt alles mit einem Schattenspiel hinter einer weißen Wand, an die der Struwwelpeter projiziert wird. Zur Klavierbegleitung erzählt Nino Sandow die bekannten Geschichten, während im Schattenspiel die einzelnen Figuren im Schnelldurchlauf zu sehen sind. Besondere Komik entfaltet im Anschluss Christoph Pütthoff, der als Hans-Guck-in-die-Luft immer wieder über die Bühne und durch den Zuschauerraum joggt, bis er in einen Brunnen fällt. Wieso Brunnen? Auch das erklärt Grebe. Das Stück sei ja schließlich für die Bühne in Frankfurt konzipiert worden, wo man für diese Szene die ganze Bühne mit Wasser geflutet habe. Aber in Marl müsse man eben mit den bühnentechnischen Möglichkeiten auskommen, und da man im Fundus noch den Brunnen gefunden habe, müsse der eben die geflutete Bühne ersetzen. Ganz ernst gemeint kann diese Erklärung nicht sein. So läuft Pütthoff auch nach seinem Sturz immer weiter. Nino Sandow als böser Jäger (mit Jens-Karsten Stoll am Klavier) Um zu zeigen, dass die Geschichten alle Generationen begeistern, hat Grebe Senioren und Kinder eingebaut, die zunächst im klassischen Struwwelpeter-Outfit Geschichten aus ihrem Leben erzählen. Auch in den anderen Episoden lässt er sie immer wieder auftreten. So verwandelt sich die wilde Haartracht des Struwwelpeters bei der Geschichte vom Jäger in eine Baumkrone, und Nino Sandow versucht als böser Jäger, zwischen diesen "Struwwelpeter-Bäumen" den Hasen zu erlegen. Die Geschichte vom Suppen-Kaspar lässt Grebe nicht in der häuslichen Küche spielen, sondern verlegt sie in ein Restaurant. Zur Klavierbegleitung von Jens-Karsten Stoll wird man in eine Art Stummfilmatmosphäre versetzt. Zu fröhlichen Klängen tischen die Kinder als Kellner den Gästen die herrlichsten Speisen auf, bis Paula Skorupa als Suppen-Kaspar erscheint und sich an einem einsamen Tisch in der Mitte isoliert vom Rest weigert, irgend etwas zu sich zu nehmen. Wenn es um die Geschichte von den drei schwarzen Buben geht, die dafür bestraft werden, dass sie den Mohr geärgert haben, wird die Musik extrem laut und überschreitet mit Absicht die Grenze des Erträglichen. Ansonsten kann man sich an diesem Abend entspannt zurücklehnen und einfach Grebes leicht bissige Sicht auf die Geschichten genießen. Das Publikum dankt es ihm und dem Ensemble am Ende mit großem Applaus. FAZIT Rainald Grebe nähert sich mit bissiger Komik dem berühmten Kinderbuch-Klassiker. Weitere Rezensionen zu den Ruhrfestspielen Recklinghausen 2016
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ProduktionsteamMusikalische Leitung Regie Bühne Kostüme Licht Dramaturgie
SolistenRainald Grebe Margot Divé Sean Balzereit
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- Fine -