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Bach-Messe bei tropischen Temperaturenvon Thomas Molke / Foto: © Pedro Malinowski / Ruhrtriennale
In der letzten Spielzeit war er noch "Artist in Residence" in der Philharmonie Essen und hat dort ein breites Spektrum von Johann Sebastian Bach bis zu Anton Bruckner abgedeckt. Die Rede ist von Philippe Herreweghe, der seit vielen Jahren mit historischer Aufführungspraxis einen neuen Zugang zur klassischen Musik vom Barock bis zum 19. Jahrhundert sucht und für diesen Einsatz bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden ist. Nun ist er mit seinem 1970 gegründeten Ensemble Collegium Vocale Gent im Rahmen der Ruhrtriennale zu Gast und präsentiert in der Jahrhunderthalle Bachs große h-Moll-Messe, an deren Vervollkommnung Bach mehr als 15 Jahre von 1733 bis 1749 gearbeitet hat und die in in ihrem zeitlichen Ausmaß eine geschlossene gottesdienstliche Aufführung nicht erlaubt, sondern eine Aufteilung auf mehrere Gottesdienste erforderlich macht. Ob man allerdings nach dem "Gloria" eine Pause einfügen und den Fluss des Werkes unterbrechen muss, ist fragwürdig. Allerdings ist es bei den für September ungewöhnlichen tropischen Temperaturen in der Jahrhunderthalle nach einer Stunde auch von Vorteil, sich in der lauen Sommernacht vor der Jahrhunderthalle bei einem Kaltgetränk ein wenig Abkühlung zu verschaffen. Philippe Herreweghe mit dem Orchester und dem Chor des Collegium Vocale Gent (in der Reihe des Chors: 3. von links: Hannah Morrison, 6. von links: Margot Oitzinger, 7. von links: Alex Potter, 5. von rechts: Thomas Hobbs und 4. von rechts: Peter Kooij) Betrachtet man die Entstehungsgeschichte des Werkes, ist der Einschnitt an dieser Stelle gar nicht so schlecht gewählt. Der erste Hauptteil - das "Kyrie" und das "Gloria" - komponierte Bach nämlich bereits als eigene kleine Missa während der von Staats wegen angeordneten Landestrauer für den im Frühjahr 1733 verstorbenen sächsischen Kurfürsten August II. (bekannt unter dem Namen: August der Starke). Es folgten vier weitere "Kyrie-Gloria"-Messen, bevor Bach sich Ende der 1740er Jahren die Missa von 1733 erneut vornahm, um sie nun zu einer großen feierlichen Messe (einer sogenannten "Missa solemnis") auszuarbeiten, der das vollständige Ordinarium des lateinischen Messetextes zugrunde lag. Den zweiten Teil bildet das "Symbolum Nicenum", ein christliches Glaubensbekenntnis, das auf den Text des ersten ökumenischen Konzils von Nicäa 325 n. Chr. zurückgeht und musikalisch als Kernstück der Messe betrachtet werden kann. Die letzten beiden Teile umfassen dann das "Sanctus" einerseits und das "Osanna", "Benedictus" und "Agnus Dei" mit dem abschließenden "Dona Nobis Pacem" andererseits. Bei allen Teilen übernimmt, überarbeitet und verfeinert Bach bereits vorhandene Kompositionen. So verwendet er beispielsweise den Eingangschor der Kantate BWV 29 "Wir danken dir, Gott" für die Nr. 7 des "Gloria" oder gliedert das Weihnachten 1724 entstandene sechsstimmige "Sanctus" in den dritten Teil ein. Auch der Chor "Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen" der Weimarer Kantate BWV 12 von 1714 erhält in der Messe eine musikalische und inhaltlich vertiefte Gestalt. Das Collegium Vocale Gent erweist sich unter der umsichtigen musikalischen Leitung von Philippe Herreweghe als Spezialist für barocke Vokalmusik und verzaubert mit einem überwältigenden Klang, auch wenn die Jahrhunderthalle nicht über die hallende Akustik einer Kirche verfügt. Die leisen Töne werden sorgfältig und differenziert herausgearbeitet und sorgen in der Halle für einen überwältigenden Hörgenuss. Herreweghe arbeitet in seinem Dirigat die retardierenden Momente mit Fingerspitzengefühl heraus, was der Aufführung einen natürlichen Fluss verleiht. Das Orchester und der Chor folgen den dezenten Bewegungen punktgenau. Die fünf Solisten stehen inmitten des Chores und werden somit Teil des Vokalensembles. Vor dem "Osanna" gibt es dann einen Stellungswechsel im Chor. Während der Chor zunächst nach Stimmlage von links nach rechts in einer Reihe aufgestellt ist, wechseln nun einige Damen auf die rechte Seite, so dass die männlichen und weiblichen Stimmen sich beim "Osanna" und "Dona Nobis Pacem" noch einmal neu mischen. Aufhorchen lässt der Countertenor Alex Potter, der die Partie des Alt übernommen hat. Schon in seiner ersten Arie "Qui sedes ad dextram patris" im "Gloria" begeistert Potter mit weichen Höhen. Einen weiteren musikalischen Höhepunkt stellt dann im "Symbolum Nicenum" das Duett mit der Sopranistin Hannah Morrison, "Et in unum Dominum", dar, bei dem die beiden Stimmen in betörendem Einklang zu den zwei Oboen stehen. Auch Potters "Agnus Dei" im letzten Teil kann im Zusammenspiel mit den Violinen als ein Glanzpunkt der Messe bezeichnet werden. Das Orchester hat vor allem im zweiten Teil große Entfaltungsmöglichkeiten. Im "Crucifixus" punkten die Traversflöten zu einer bewegenden Melodie des Chors. Auch Margot Oitzinger, Thomas Hobbs und Peter Kooij gestalten ihre solistischen Arien überzeugend und gehen in den Ensembles in dem sauber angesetzten mehrstimmigen Gesang des Chors des Collegium Vocale Gent auf. So gibt es am Ende großen Applaus für alle Beteiligten.
Die wunderbare musikalische Umsetzung lässt die tropischen Temperaturen in der Halle beinahe vergessen. Weitere Rezensionen zur Ruhrtriennale 2016 Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
ProduktionsteamMusikalische Leitung
Chor und Orchester Collegium Vocale Gent
SolistenSopran
Countertenor
Tenor Bass
Weitere |
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