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Toleranz im Wohlfühlbereichvon Stefan Schmöe
Was glaubt Ihr denn, was wir glauben? Was wir nicht glauben? Das sind die zentralen Fragen, die Björn Bicker, Jahrgang 1972, für die Ruhrtriennale an uns stellt. Wobei, im Grunde hat er das bereits an den Münchner Kammerspielen getan, wo URBAN PRAYERS 2013 uraufgeführt wurde (da war Johan Simons, der aktuelle Triennale-Chef, gerade Intendant), freilich in einer speziell auf München zugeschnittenen Fassung, die Bicker jetzt auf das Ruhrgebiet passend umgeschrieben hat (darum heißt's jetzt URBAN PRAYERS RUHR und geht nochmal als Uraufführung durch) - und das betraf, wie er im Programmheft beschreibt, mehr als ein paar Retuschen. Eine andere Mentalität musste er einfangen, was sicher richtig beobachtet ist. Dass er das Ruhrgebiet als gigantisches Autobahnnetz wahrnimmt, sorgt für einen Moment der Komik (nutzt sich aber ab).
Zwar läuft das Projekt bei der Ruhrtriennale unter der Rubrik "Schauspiel", das führt aber in die Irre. Es gibt weder eine szenische Aktion noch irgendeine Handlung, ja sogar nur gelegentlich bruchstückhafte Dialoge. Bicker lässt, von fünf Rezitatoren (drei Frauen, zwei Männer) gesprochen, Wortkaskaden auf das Publikum niederprasseln, die weitgehend assoziativ um das Thema Religion kreisen. Oft werden Aussage und Negation in einem Atemzug genannt: "Was glaubt ihr denn, warum wir euch die Hand geben, warum wir euch die Hand nicht geben." Antworten gibt es nicht, auch keinerlei Diskurs. Weil die fünf jungen Menschen vorne (der "Chor der gläubigen Bürger": Meriam Abbas, Jele Brückner, Ismael Deniz, Sheri Hagen und Michael Lippold) so ungemein sympathisch wirken, ist man schnell geneigt, jedem seine Religion zuzugestehen und sich an der Vielfalt zu erfreuen. Bickers Theater tut niemandem weh, es fordert sozusagen multireligiöse Toleranz im Wohlfühlbereich. Dass mit den Religionen möglicherweise auch Dogmen aufeinander prallen, bleibt ausgespart.
Nun ist der Text an sich nur ein Teil des vielschichtigen Projekts. Ein weiterer ist der wechselnde Aufführungsort: Beginnend bei dieser Premiere in der DITIB-Merkez-Moschee in Duisburg-Marxloh (es gibt eine einleitende und abschließende Koranrezitation durch Furkan Avci, den Imam der Moschee, in arabischer Sprache; wer Glück hat, findet einen Zettel mit der deutschen Übersetzung), wird die Produktion (immer sonntags) an anderen Orten verschiedenen Glaubensbekenntnisses gezeigt: Dem "House of Solutions" einer afrikanischen Gemeinde in Mülheim, einem Hindu-Tempel in Hamm, der Lutherkirche in Dinslaken, einer serbisch-orthodoxen Kirche in Dortmund und einer Synagoge in Bochum. Die Begegnung mit den jeweiligen Gemeinden ist Programm. Bei dieser Premiere gibt es "Speisen und Getränke der Moschee-Jugendgruppe auf dem Vorplatz", was sich bei selbst bereiteten Kuchen und herzhaften Speisen in der Atmosphäre nicht so sehr von einem christlichen Pfarrfest unterscheidet. Allein die Tatsache, dass die Aufführung in der ausgesprochen prunkvollen Moschee stattfindet (was auch bedeutet: Man zieht die Schuhe aus und sitzt - immerhin zwei Stunden - ohne Stuhl auf dem Teppich; eine Trennung von Frauen und Männern gibt's heute nicht, die Geschlechter hocken einträchtig nebeneinander), dürfte so manchen Besucher zum ersten Mal in ein islamisches Gotteshaus führen. Unter diesem Aspekt ist die Aufführung ein Erfolg. (Umgekehrt klappt es nicht so recht, die Zahl der offenkundig muslimischen Zuschauer in diesem Projekt abendländischer Hochkultur ist gering.)
Zurück zum eigentlichen Stück: Das ist in sieben Abschnitte unterteilt, zwischen denen das famose ChorWerk Ruhr, geleitet von Florian Helgath, mit verblüffend klarer Intonation musikalische Sätze aus dem Umfeld verschiedener Religionen singt: Das Kyrie aus Palestrinas Missa Papae Marcelli, eine Motette im Mendelssohn-Stil des deutsch-jüdischen Komponisten Louis Lewandowski (1821 - 1894), eine virtuose Version des Spirituals The Battle of Jericho (wofür es Szenenapplaus gibt), einen serbisch-orthodoxes, ein hinduistisches und ein muslimisches Lied - der Chor passt seinen Klang sehr variabel der Musik an. Der strenge Wechsel von Wort und Musik gibt der Aufführung einen beinahe liturgischen Charakter. Aber auch der gesprochene Text ist von großer Musikalität, nicht nur, weil einzelne Passagen Silbe für Silbe von allen fünf Rezitatoren unisono gesprochen werden und eine nicht genau definierte, trotzdem wahrnehmbare und sich mit zunehmendem Sprechtempo verändernde Tonhöhe erhalten (die Akustik des Moschee-Innenraums trägt das beeindruckend). Ansonsten führt allein schon die Fülle an Text, fast durchweg in flottem, manchmal geradezu atemlosen Allegro zu sprechen, für eine Veränderung der Wahrnehmung: Inhaltlich hat sich das irgendwann erschöpft, denn das Prinzip ist schnell durchschaubar; da leben die urban prayers mehr von der Wechsel der Sprecher, von plötzlichen Verzögerungen, kurz: von der klanglichen Dimension. Ob das zum Verdienst des im Programmheft als "Regisseur" aufgeführten Johan Simons gehört? Mehr an erkennbarer Regie war jedenfalls nicht zu finden.
Ein wenig mehr Diskurstheater dürfte es bei dieser Thematik schon sein, aber auf der argumentativen Seite sind die URBAN PRAYERS RUHR ausgesprochen dünn. Bleibt das eventige Gesamterlebnis: In der beeindruckenden Duisburger Moschee klingt das ChorWerk Ruhr großartig, der (zu) lange Text wird auch hübsch gesprochen - und die muslimische Gemeinde empfängt ihre Gäste mit großer Herzlichkeit.
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Produktionsteam
Konzept und künstlerische Leitung
Autor
Regie
Musikalische Leitung
Dramaturgie |
- Fine -