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Musikfestspiele
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11. St. Galler Festspiele

24.06.2016 - 08.07.2016

Le Cid

Oper in vier Akten
Libretto von Adolphe d'Ennery, Louis Gallet und Édouard Blau nach Pierre Corneille und Guillén Castro
Musik von Jules Massenet


In französischer Sprache

Aufführungsdauer: ca. 2 h (keine Pause)

Premiere im Klosterhof am 24. Juni 2016
(rezensierte Aufführung: 25.06.2016)

 


 

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Rache für die Väter

Von Thomas Molke / Fotos: © Tanja Dorendorf

Jules Massenet gehört zu den Komponisten, deren Werke sich zum Teil im Repertoire halten konnten. Merkwürdigerweise gilt dies nicht für seine am 30. November 1895 an der Pariser Opéra uraufgeführte Oper Le Cid. Obwohl diese Grand Opéra von Teilen der französischen Gesellschaft und der europäischen Presse damals als beste Uraufführung in Paris seit vielen Jahren gefeiert wurde und bis 1919 über 150 Mal dort auf dem Programm stand, verschwand das Werk anschließend von den Spielplänen. Der Held der spanischen Reconquista hatte in Frankreich scheinbar mit dem Ende des Ersten Weltkriegs und der Annexion Elsass-Lothringens seine Schuldigkeit getan. Nachdem das Werk im letzten Jahr mit Roberto Alagna und Annick Massis neu in Szene gesetzt worden ist, hat man sich nun auch in St. Gallen gedacht, dass die Geschichte um den mythischen Cid, dem vor dem Kampf gegen die Mauren der Heilige Jakob erscheint und den Sieg prophezeit, mit der Kathedrale im Hintergrund, die zu den wichtigen Pilgerstätten auf dem legendären Jakobsweg nach Santiago de Compostela zählt, wunderbar zu den St. Galler Festspielen passt und diese Opernrarität auf den Festspielplan gestellt. Und selbst auf das unberechenbare Wetter war man vorbereitet, so dass die zweite Vorstellung auch im Regen im Klosterhof stattfinden konnte, auch wenn - wahrscheinlich wegen des Regens - einige Plätze frei blieben.

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Der König (Tomislav Lucic, Mitte) schlägt Rodrigue (hier: Stefano La Colla, auf dem rechten Turm) zum Ritter. Chimène (hier Mary Elizabeth Williams, auf dem linken Turm) freut sich.

Die Oper basiert auf Guillén de Castros bedeutendem Werk aus dem 16. Jahrhundert und Pierre Corneilles gleichnamigem Drama über den zum spanischen Nationalhelden stilisierten Rodrido Díaz, der im 11. Jahrhundert das größtenteils unter muslimischer Herrschaft stehende Spanien für das Christentum zurückeroberte. Im Mittelpunkt der Oper stehen allerdings weniger historische Ereignisse als vielmehr die privaten Konflikte des Cid und seiner Geliebten Chimène. Chimènes Vater, der Comte de Gormas, unterstützt zunächst das Ansinnen des Königs, den jungen Rodrigue zum Ritter zu schlagen. Doch als dann Rodrigues Vater Don Diègue zum Vormund des Prinzen bestimmt wird - ein Posten, den der Comte für sich erhofft hatte -, beleidigt und demütigt er Don Diègue auf offener Straße und lehnt eine Verbindung seiner Tochter mit  Rodrigue ab. Don Diègue verlangt von seinem Sohn, diese Beleidigung zu rächen, und Rodrigue tötet Chimènes Vater. Daraufhin klagt Chimène ihren Geliebten beim König an. Noch bevor dieser eine Entscheidung über die mögliche Bestrafung treffen kann, bedrängen die Mauren die Spanier mit einem neuen Angriff. Der König beschließt, Rodrigue an die Spitze des Heeres zu stellen und ihn entweder als Sühne im Kampf fallen zu lassen oder durch einen Sieg von seiner Schuld freizusprechen. Rodrigue verabschiedet sich von Chimène, die ihm trotz des Mordes am Vater ihre Liebe gesteht. Anschließend betet er zum Heiligen Jakob, der ihm den Sieg prophezeit.

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Comte de Gormas wird zu Grabe getragen.

Guy Joosten kürzt die Oper um die Balletteinlagen und konzentriert sich auf den Konflikt zwischen Rodrigues und Chimènes Familien. Dafür hat Bühnenbildner Alfons Flores zwei Turmgestelle entworfen, die sich nach vorne und hinten verschieben lassen und damit die politische Stellung der beiden Familien verdeutlichen. Wenn der Comte de Gormas zu Beginn noch darauf hofft, zum neuen Vormund des Prinzen bestellt zu werden, steht sein Turm auf der linken Seite im Vordergrund. Doch mit dem Aufstieg Don Diègues verschieben sich die Machtverhältnisse und der Turm des Comte wird nach hinten verschoben. Auch die Schrift an den beiden Türmen deutet an, dass die Gormas ihre Stellung verlieren werden. So ist am rechten Turm in großen Lettern "DON DIEGUE" waagerecht zu lesen, während der Schriftzug "COMTE DE GORMAS" senkrecht im Turm verschwindet. Zwischen den beiden Türmen bietet eine große Freitreppe den vier Chören einen geeigneten Auftritt für die Massenszenen. In der Mitte wird ein roter Teppich für den König ausgerollt, der in Anbetracht der Wetterlage vielleicht auch dazu dient, die Rutschgefahr auf der Bühne zu verringern. Die Kostüme von Eva Krämer sind relativ modern gehalten und verlegen die Geschichte in eine Zeit, in der eine westlich zivilisierte Wohlstandswelt sich von den Problemen im Nahen Osten abschottet.

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Der Heilige Jakob erscheint Rodrigue (hier: Stefano La Colla) kurz vor dem Kampf und prophezeit ihm den Sieg.

Die Kathedrale bietet im Hintergrund nicht nur eine pittoreske Kulisse, sondern wird mit einer beeindruckenden Videoprojektion von Franc Aleu im Verlauf des Abends auch noch zu einem besonderen Bestandteil der Inszenierung. Stimmt beim Kampf zwischen Don Diègue und dem Comte de Gormas im ersten Akt die zeitliche Abstimmung noch nicht ganz, wenn der Kampf der beiden Kontrahenten in riesigen Schatten auf die Kathedrale zu früh projiziert wird, gelingen Aleu mit fortschreitender Dunkelheit großartige Bilder auf der Kathedrale. Zu nennen ist hier das Antlitz Chimènes, die überdimensionale Tränen über ihre ausweglose Situation weint, auch wenn diese Tränen an diesem Abend eher an den Regen erinnern, der dabei unnachgiebig auf das Publikum und die Solisten herabtropft. Auch die zahlreichen Kerzen, die beim Trauerzug des Comte, auf der Kathedrale erscheinen, sind ein Blickfang. Der absolute Clou gelingt Aleu, wenn die Spanier im vierten Akt zunächst glauben, dass Rodrigue im Kampf gegen die Mauren gefallen sei. Diese Niederlage wird nämlich mit der Angst vor dem Untergang des Abendlandes gleichgesetzt, indem die Kathedrale zunächst eins zu eins projiziert wird und dann in der Projektion allmählich zusammenbricht. Durch geschickte Lichtregie von Marco Filibeck ist die richtige Kathedrale hinter der Projektion kaum noch zu erkennen, so dass man wirklich der Illusion des Zusammenbruchs erliegt. Der Wiederaufbau mit dem Auftreten des siegreichen Rodrigues mag dem kritischen Betrachter zwar ebenso kitschig erscheinen wie das Erscheinen des Heiligen Jakobs in mittelalterlicher Ritterrüstung auf einem Pferd. Aber schön ist es trotzdem.

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Don Diègue (Levente Páll) bangt um seinen Sohn Rodrigue.

Musikalisch müssen das Sinfonieorchester St. Gallen, das unter der Bühne im Trockenen untergebracht ist, die Solisten und der Chor aufgrund der Akustik verstärkt werden, was natürlich einen künstlicheren Klang erzeugt, als man ihn aus dem Opernhaus gewohnt ist. Bei der Ouvertüre hat man beinahe den Eindruck, man sitze in einem Kino, zumal die Ouvertüre sehr cineastisch angelegt ist. Modestas Pitrėnas arbeitet mit dem Sinfonieorchester St. Gallen den Melodienreichtum Massenets mit vollem Klang heraus. Auch die vier Chöre unter der Einstudierung von Michael Vogel werden klanggewaltig in Szene gesetzt und in der Personenregie gut geführt. Etwas verloren wirkt hingegen Jennifer Maines als Chimène in der Personenregie, die in den Szenen mit der Infantin (Magdalena Risberg) und Rodrigue (Derek Taylor) zeitweise etwas hilflos herumsteht. Stimmlich lässt ihr dramatischer Sopran allerdings keine Wünsche offen. Großartig gelingt ihre große Klage im dritten Akt, wenn sie zwischen ihren Gefühlen für den Geliebten und der einzufordernden Rache für ihren Vater hin- und hergerissen ist. Derek Taylor glänzt als Rodrigue mit strahlendem Tenor und sauber ausgesungenen Höhen. Im Duett mit Maines vor seinem Auszug in die Schlacht findet er stimmlich zu einer bewegenden Innigkeit. Auch sein Gebet an den Heiligen Jakob geht unter die Haut. Dass das Publikum sich mit Szenenapplaus insgesamt zurückhält, ist wohl eher dem Regen geschuldet.

Die Infantin nimmt bei Joosten eine zentralere Rolle ein, als ihr das Libretto eigentlich zugesteht. So tritt sie häufig auch dann als Beobachterin auf, wenn sie gar nichts zu singen hat, um ihre Gefühle für Rodrigue zu unterstreichen. Da diese nicht standesgemäß sind, lässt Joosten sie mit einer Krücke auftreten. Ihre Gehbehinderung steht symbolisch für ihre mangelnde Fähigkeit, den Weg zu gehen, den sie sich für ihre Zukunft vorstellt. Magdalena Risberg verleiht der Infantin einen jugendlich strahlenden Sopran, der einen angenehmen Kontrast zu Maines' dramatischem Sopran bildet, was vor allem im Duett der beiden Frauen zur Geltung kommt. Levente Páll stattet Rodrigues Vater Don Diègue mit markantem Bass aus. Gleiches gilt für Kevin Short als Comte de Gormas. Tomislav Lucic verfügt als König über einen soliden Bass. So gibt es am Ende für alle Beteiligten am Ende begeisterten Applaus, in dem wahrscheinlich auch die Erleichterung mitschwingt, dass die Vorstellung trotz des Regens zu Ende gebracht worden ist. Hierfür gebührt den Solisten und den Chören ein großer Respekt, da sie in ihren Kostümen dem Regen auf der großen Bühne schutzloser ausgesetzt waren als das Publikum, das sich bereits bei den ersten Tropfen in die mitgebrachten Regencapes hüllen konnte.

FAZIT

Massenets Le Cid würde musikalisch durchaus wieder einen festen Platz im Repertoire verdienen. Die Kathedrale bietet für die Inszenierung von Guy Joosten eine traumhafte Kulisse.

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Produktionsteam  

Musikalische Leitung
Modestas Pitr
ėnas

Inszenierung
Guy Joosten

Bühne
Alfons Flores

Kostüme
Eva Krämer

Video
Franc Aleu

Licht
Marco Filibeck

Choreinstudierung
Michael Vogel

Dramaturgie
Marion Ammicht



Chor des Theaters St. Gallen

Opernchor St. Gallen

Theaterchor Winterthur

Prager Philharmonischer Chor

Sinfonieorchester St. Gallen

Statisterie des Theaters St. Gallen

 

Solisten 

*rezensierte Aufführung

Chimène
Mary Elizabeth Williams /
*Jennifer Maines

Rodrigue
Stefano La Colla /
*Derek Taylor

Don Diègue
Levente Páll

Le Comte de Gormas
Kevin Short

Le Roi
Tomislav Lucic

L'Infante
Evelyn Pollock /
*Magdalena Risberg

Don Alonzo / Saint Jacques /
L'envoyer maure

David Maze

Don Arias
Nik Kevin Koch





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