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Mord in der PuppenstubeVon Thomas Molke / Fotos von Clive Barda Gaetano Donizetti kann beim Wexford Festival Opera als eine Art Hauskomponist bezeichnet werden. Seit der Gründung des Festivals im Jahr 1951 standen seine Werke nämlich bisher in insgesamt 16 Spielzeiten als Hauptproduktionen auf dem Spielplan, die kleineren Formate wie die "Short Works" sind dabei noch gar nicht mitgerechnet. Begünstigt wird diese Tatsache natürlich dadurch, dass Donizetti mit seinen rund 70 Opern einen breiten Fundus an größtenteils vergessenen Belcanto-Schätzen hinterlassen hat, den es bei einem Festival, das sich auf unbekannte Opern spezialisiert hat, zu entdecken gilt. Wenn man bedenkt, dass selbst die heute aus dem Standardrepertoire nicht mehr wegzudenkenden komischen Opern L'elisir d'amore und Don Pasquale in Wexford bereits 1952 und 1953 präsentiert wurden, als deren Bekanntheitsgrad noch relativ gering war, kann man dem Festival zu Recht bescheinigen, zur Donizetti-Renaissance einen entscheidenden Beitrag geleistet zu haben. In diesem Jahr wagt man sich nun an eine tragische Oper, die bei der Uraufführung 1838 in Venedig einen der größten Misserfolge in Donizettis Karriere markierte, so dass der Komponist beschloss, Italien zu verlassen und sein weiteres Glück in Paris zu suchen: Maria de Rudenz. Nach nur drei Aufführungen verschwand das Werk vom Spielplan, weil es dem Publikum zu blutrünstig erschien. Auch wenn man in anderen Teilen Italiens aufgrund der großartigen Musik bereit war, über die krude Geschichte hinwegzusehen, und es in den Folgejahren zu neuen Produktionen in Turin, Mailand, Florenz, Rom, Neapel und Palermo kam, verschwand das Werk wie die meisten anderen Opern Donizettis 1867 von den Bühnen und schlummerte über 100 Jahre in den Archiven, bevor mit dem wieder aufkeimenden Interesse an Donizetti auch diese Oper wieder hervorgeholt wurde. Dennoch wurde dieses Stück von dem australischen Musikmagazin Limelight 2013 unter den "zehn dümmsten Opern" aufgelistet. Corrado (Joo Won Kang, rechts) und Enrico (Jesus Garcia) lieben die gleiche Frau, Matilde (hier als Puppe). Die Handlung ist in der Tat sehr fragwürdig. Maria de Rudenz war mit ihrem Geliebten Corrado Waldorf aus der Schweiz nach Italien geflohen, weil ihr Vater Graf Rudenz diese Verbindung nicht billigte. In Rom begann Corrado allerdings, an Marias Treue zu zweifeln, und ließ sie in den Katakomben in der Hoffnung zurück, dass sie dort sterben werde. Nach dem Tod des Grafen Rudenz kehrte er in die Schweiz zurück und verliebte sich in Marias Kusine Matilde di Wolf. An dieser Stelle beginnt die eigentliche Oper. Matilde soll das Schloss des Grafen Rudenz erben, wenn Maria nicht innerhalb eines Jahres wieder auftaucht. Inzwischen ist Maria reumütig zum Schloss zurückgekehrt und beschließt, ihrer Kusine das Erbe zu überlassen und stattdessen ins Kloster zu gehen. Als Matilde allerdings Corrado als ihren zukünftigen Ehemann vorstellt, wird Maria von Rachegefühlen gepackt und ändert ihre Meinung. Mit der Unterstützung der Dienerschaft verjagt sie Corrado aus dem Schloss und legt fest, dass Matilde stattdessen ihr restliches Leben im Kloster verbringen soll. Corrados Bruder Enrico, der ebenfalls in Matilde verliebt ist, bittet Maria, Matilde heiraten zu dürfen. Maria ist bereit, seinen Wunsch zu unterstützen, wenn sie Corrado zurückgewinnen kann. Im Nachlass ihres Vaters hat sie einen Beweis dafür gefunden, dass Corrado nicht Enricos Bruder ist, sondern der Sohn eines Mörders, der gehenkt worden ist. Sie droht Corrado, dieses Geheimnis zu offenbaren, wenn er nicht zu ihr zurückkehre. Doch Corrado weigert sich und hält an seiner Liebe zu Matilde fest. Als Maria daraufhin droht, Matilde zu töten, sticht er Maria nieder. Den herbei eilenden Dienern gegenüber beteuert Maria Corrados Unschuld und behauptet, den Dolch selbst geführt zu haben. Während alle denken, Maria sei tot, verbirgt sie sich tödlich verwundet im Schloss. Enrico hat mittlerweile Corrados wahre Identität enthüllt und ihn zum Duell gefordert, dem er allerdings selbst zum Opfer fällt. Als Corrado vom Duell zurückkehrt, trifft er auf die tot geglaubte Maria, die ihre Kusine Matilde im Brautgemach getötet hat. Ein letztes Mal gesteht Maria ihm ihre Liebe und stirbt. Unheimliche Rückkehr zum Schloss Rudenz: Maria (Gilda Fiume, rechts oben), Matilde (Sophie Gordeladze, unten links) und Corrado (Joo Won Kang, unten links) (oben links: Chancellor of Rudenz (Richard Shaffrey), unten Mitte: Rambaldo (Michele Patti) mit dem Chor) Das Regie-Team um Fabio Ceresa hat zahlreiche Puppen in die Inszenierung eingebaut,, die die einzelnen Protagonisten darstellen. So sieht man bereits vor der Vorstellung Matilde als Puppe in einem aufwändigen roten Kleid an der Bühnenrampe sitzen, während die Diener des Hauses zur Ouvertüre und dem anschließenden Chorgesang der Nonnen aus dem Kloster Arau, in das sich Maria nach ihrer Rückkehr zurückziehen will, mit weiteren Puppen die Vorgeschichte nachspielen. Die dargestellten Ereignisse werden dabei auch in den eingeblendeten Übertiteln kommentiert. Die einzelnen Puppen sind den jeweiligen Darstellern in den Kostümen sehr gut nachempfunden, so dass man immer gut erkennt, mit wem hier gerade "gespielt" wird. Auch Marias Umgang mit Corrado und Matilde verliert damit in gewisser Weise an Grausamkeit, wenn sie Matilde als Puppe wegwirft oder von ihrer eigenen Puppe schlagen lässt, und zeugt auch von einer großen Naivität, wenn sie im Spiel der Puppen glaubt, Corrados Herz noch einmal für sich zu gewinnen. So schön die Puppen jedoch auch anzusehen sind, wird dieser Ansatz im Verlauf des Stückes allerdings ein bisschen überstrapaziert. Die Kostüme von Giuseppe Palella sind sehr opulent gestaltet und greifen bei den Frauen die Idee der Puppen wieder auf, da auf Matildes und Marias ausladenden Röcken ebenfalls Puppen aufgenäht sind. Etwas seltsam muten die schwarzen Kostüme der Dienerschaft und der Schweizer Gesellschaft mit den weißen Perücken über einer weißen Kopfbinde an, die wohl auf die Schauerliteratur anspielen sollen, die sich in der Entstehungszeit der Oper einer großen Beliebtheit erfreute. Maria (Gilda Fiume, Mitte) droht, Matilde (Sophie Gordeladze, rechts) zu töten, wenn Corrado (Joo Won Kang) nicht zu ihr zurückkehrt. Passend zu den Puppen gestaltet Gary McCann die Bühne als riesiges Puppenhaus in mehreren Ebenen, wobei durch die Drehung der beiden riesigen Bühnenelemente und eine geschickte Lichtregie von Christopher Akerlind grandiose Bilder entstehen, die die Nähe zum Schauerroman unterstreichen. Hier kann man sich wirklich vorstellen, wie Maria als eine Art Geist im Schloss heimlich umherschleicht. Großartig gelingt auch der Moment, wenn Maria Corrado droht, Matilde zu töten, falls er nicht zu ihr, Maria, zurückkehrt. Die Treppe, die zu dem engen Raum emporführt, in dem sich Maria und Corrado befinden, wird von magischer Hand nämlich abgerückt, so dass ein Abgrund entsteht, in den Matilde zu stürzen droht, wenn sie in ihrem langen Gewand den Rufen Marias weiter folgt. Wie bei einem Puppenhaus gibt es auch vorne eine Wand, die als Vorhang fungiert, um die Bühnenelemente dahinter stets neu anzuordnen. Nur in der Schlussszene ist die Bühne dann leer und bietet Maria und Corrado bei ihrer letzten Aussprache enorm viel Platz. Eine Wand im Hintergrund der Bühne deutet an, dass diese Szene draußen stattfindet. Maria tritt nun in einem schwarzen opulenten Kleid mit einem schmalen roten Streifen darunter auf, der eventuell für das Blut steht, das aus ihrer tödlichen Wunde austritt. Ihr Spiel hat nun ein Ende. Deshalb sind auf diesem Kleid auch keine Puppen aufgenäht. Unklar bleibt, wieso Maria über dem rechten Auge schwarz geschminkt ist. Soll das eine Wunde sein, die Corrado ihr einst in Rom zugeführt hat, als er sie in den Katakomben ihrem Schicksal überlassen hat? Maria (Gilda Fiume, Mitte) stirbt in den Armen ihrer Diener (Chor). Ergänzend zu dieser opulenten Ausstattung, die die dargestellte Gewalt größtenteils nur auf die Puppen beschränkt, bietet die Oper auch großartige Musik, die wünschen lässt, dass dem Werk bei allen Bedenken der Handlung und damit auch möglichen szenischen Umsetzungen gegenüber zumindest konzertant mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird. Direkt im ersten Akt macht Joo Won Kang als Corrado mit seiner Auftrittsarie "Egli ancora non giunge", in der er seine tiefe Liebe zu Matilde besingt, das Publikum sprachlos, zum einen weil man nicht damit rechnet, dass diese Partie für einen Bariton komponiert ist, zum anderen, weil Kang schon mit dem ersten Ton mit voluminösen Tiefen begeistert und auch die Höhen bruchlos meistert. Bei dieser Stimme wird es gut nachvollziehbar, dass Matilde sich glücklich schätzt, von diesem Mann vor dem Weg ins Kloster bewahrt zu werden, und dass Maria immer noch an ihm interessiert ist. Gilda Fiume steht in der Titelpartie Kang an stimmlichem Volumen in nichts nach. So gelingen ihr bei ihrem rachsüchtigen Ausbruch im ersten Akt dramatische Höhen, während sie in ihren Bemühungen, Corrado zurück zu gewinnen, auch mit leisen, zart angesetzten Tönen überzeugen kann. Ein weiterer Höhepunkt ist das großartige Duett der beiden im zweiten Akt, wenn Maria Corrado zunächst mit seiner dunklen Herkunft konfrontiert und, als das nicht reicht, schließlich sogar droht, Matilde zu töten. Was Fiume und Kang stimmlich und darstellerisch in dieser Szene leisten, ist atemberaubend. Wenn es davon noch eine Steigerung gibt, gelingt sie Fiume im Finale, wenn sie als Maria mit zu Tränen rührenden zerbrechlich angesetzten Piani sterbend zu einem inneren Frieden mit Corrado findet. Ceresa lässt Maria in diesem Moment allerdings in den Armen ihrer treuen Diener sterben und nicht, wie es im Libretto vorgesehen ist, zu Corrados Füßen. Auch die anderen Partien sind großartig besetzt. Sophie Gordeladze begeistert nicht nur optisch in ihrem scharlachroten ausladenden Kleid als wunderschöne Matilde, sondern stattet die Partie dazu auch noch mit einem strahlenden Sopran aus. Jesus Garcia überzeugt als Corrados Rivale mit weichem Tenor, der an diesem Abend ein bisschen indisponiert zu sein scheint. Jedenfalls hält er sich im Duett mit Kang im dritten Akt, wenn er ihn nach der Hochzeit zum Duell fordert, stimmlich im Gegensatz zu Kang ein wenig zurück und ist auch bei seiner Arie, in der er seine große Liebe zu Matilde bekundet, sehr auf Sicherheit bedacht. Michele Patti punktet als alter Diener Rambaldo mit profundem Bariton und bedächtigem Spiel, ganz im Gegensatz zu seiner Darstellung des Enrico, den er einen Tag zuvor in Donizettis Il Campanello mit großartiger Slapstick-Komik gezeichnet hat. Der von Errol Girdlestone einstudierte Chor des Wexford Festival Opera präsentiert sich stimmgewaltig, auch wenn die Kostüme für den Chor und das ständige Spiel mit den Puppen Geschmacksache sind. Andrew Greenwood zaubert mit dem Orchester des Wexford Festival Opera aus dem Orchestergraben einen wunderbar leichten und frischen Belcanto-Klang, der den musikalischen Genuss perfekt macht, so dass es am Ende großen Applaus für alle Beteiligten gibt.
FAZIT Man mag über die Handlung von Donizettis Maria de Rudenz denken, was man will. Musikalisch ist dieses Werk ein Hochgenuss und dürfte das Herz eines jeden Belcanto-Fans höher schlagen lassen.
Weitere Rezensionen zum
Wexford Festival Opera 2016 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungAndrew Greenwood Regie Bühne
Kostüme Licht Chorleitung
Chor des
SolistenMaria de Rudenz
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