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Ewiges WartenVon Thomas Molke / Fotos von Clive Barda Bedenkt man, dass es ein Markenzeichen des Wexford Festival Opera ist Opern auf den Spielplan zu stellen, die andernorts aus dem Repertoire verschwunden sind, mag es ein wenig verwundern, dass die Wahl in diesem Jahr auf Samuel Barbers Vanessa gefallen ist. In Deutschland stand das Stück beispielsweise 2012 in Frankfurt (Übernahme einer Produktion der Malmö Opera von 2009) und 2015 in Hagen auf dem Spielplan, und auch in den Vereinigten Staaten ist es nie ganz in Vergessenheit geraten. Nach der Uraufführung 1958 an der Metropolitan Opera war es zunächst ein so großer Erfolg, dass Barber im gleichen Jahr noch mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde. Doch auch wenn das Werk bis Mitte der 60er Jahre an der Met auf dem Spielplan stand, gewann man auch hier nach der recht kühlen Aufnahme der Oper bei den Salzburger Festspielen den Eindruck, dass die musikalische Struktur eher an romantischen Traditionen festhielt und nicht den Weg der zeitgenössischen Musik verfolgte. Barber überarbeitete das Werk 1965, indem er die ursprünglich vieraktige Fassung auf drei Akte verdichtete, aber auch die neue Version konnte dem Stück keinen festen Platz im Standardrepertoire sichern. In Wexford hat man sich, wie bereits in Malmö und Hagen auch, für die dreiaktige zweite Fassung entschieden. Vanessa (Claire Rutter) wartet angespannt auf den Fremden (Michael Brandenburg), den sie für ihren Geliebten Anatol hält. Etwas verwirrend ist die Handlung der Oper, für die Barbers langjähriger Lebensgefährte Gian Carlo Menotti das Libretto verfasst hat. Drei Frauen fristen abgeschottet in einem Haus in einer nicht näher definierten Landschaft im Norden ein trostloses Dasein. Die Titelfigur Vanessa wartet dort seit mehr als 20 Jahren auf ihren Geliebten Anatol, der sie einst aus Gründen, die nicht näher erläutert werden, verlassen hat. Ihre Mutter, die alte Baronin, hat daraufhin beschlossen, nicht mehr mit ihrer Tochter zu reden. Welche Rolle Erika in diesem Haus spielt, wird nicht ganz klar. Sie ist Vanessa Nichte, wobei man nicht erfährt, wo oder wer ihre Eltern sind. Als sich eines Tages Anatol ankündigt und Vanessa voller Euphorie daran glaubt, dass ihr langjähriges Warten ein Ende hat, stellt sich heraus, dass es sich nicht um den ehemaligen Geliebten handelt, sondern um dessen Sohn, der nach dem Tod des Vaters die Frau kennen lernen will, von der sein Vater angeblich immer geträumt hat und die von seiner Mutter stets verleugnet worden ist. Der junge Anatol verführt am ersten Abend Erika und ist auch einer gemeinsamen Zukunft mit ihr nicht abgeneigt. Doch Vanessa projiziert die Liebe für ihren Geliebten auf dessen Sohn, und da Erika sich nicht über Anatols wahren Gefühle sicher ist, wendet sich Anatol Vanessa zu und verlobt sich mit ihr. Erika ist darüber so schockiert und will Selbstmord begehen. In einer kalten Silvesternacht läuft sie in den Schnee hinaus, um sich im See zu ertränken. Anatol rettet sie, jedoch verliert sie bei dieser Aktion das ungeborene Kind, das sie von Anatol in der Nacht seiner Ankunft empfangen hat. Vanessa beschließt, mit Anatol nach Paris zu gehen, und lässt Erika mit der alten Baronin, die ihre Ablehnung von Vanessa nun auf Erika überträgt, allein im Haus zurück. Erika übernimmt Vanessas Rolle der ewig Wartenden. Zarte Annäherung zwischen Erika (Carolyn Sproule) und dem jungen Anatol (Michael Brandenburg) Rodula Gaitanou versucht in ihrer Inszenierung gar nicht erst, die unausgesprochenen Geheimnisse der Geschichte zu lüften, sondern überlässt es dem Zuschauer hinter die Motive der drei in guter Personenregie geführten Frauen zu gelangen. Cordelia Chisholm hat für das herrschaftliche Anwesen Vanessas ein opulentes Bühnenbild entworfen, das über zwei Ebenen hinaus in eine eisige Winterlandschaft führt. Die verschneiten Bäume im Hintergrund wirken beinahe wie ein Zaun, der das Haus von der Umwelt abschneidet. Für den Ball am Silvesterabend im zweiten Akt wird sogar noch eine weitere Ebene mit einer Treppe davor gesetzt, um Erika einen dramatischen Auftritt zu ermöglichen, wenn sie bei der Bekanntgabe der Verlobung zwischen Anatol und Vanessa beschließt, im weißen Nachthemd im Eis den Tod zu suchen, da das Kind von Anatol nicht geboren werden dürfe. An den Wänden befinden sich in diesem Anwesen neben einem Spiegel zahlreiche Bilder von Vanessa, die die alte Baronin in den 20 Jahren, die sie nicht mit ihrer Tochter gesprochen hat, gemalt hat. Darauf porträtiert sie ihre Tochter nach ihrer Idealvorstellung, der Vanessa leider nicht mehr entspricht. Deswegen sind die Bilder genau wie der Spiegel zunächst mit Tüchern bedeckt, bis Vanessas Lebensfreude durch den jungen Anatol zurückkehrt und die Tücher abgenommen werden. Wenn Vanessa am Ende des Stückes mit den Bildern das Haus verlässt, hat die Baronin ihren Groll auf Erika übertragen und setzt ihre Malerei mit Porträts ihrer Enkelin fort, die von nun an die Wände füllen werden und wahrscheinlich genau wie der Spiegel nun wieder mit Tüchern bedeckt werden. Die alte Baronin (Rosalind Plowright, links) tröstet die verzweifelte Erika (Carolyn Sproule, rechts). Beeindruckend im Bühnenbild sind auch die Glastüren, die die unterschiedlichen Ebenen des Hauses voneinander abtrennen können und im Laufe der Jahre so milchig geworden sind, dass sie kaum noch einen Durchblick ermöglichen. Wenn sich der Vorhang beim Vorspiel hebt, sieht man die Silhouetten der drei Frauen hinter der ersten Glastür stehen, während Schnee aus dem Schnürboden auf sie herabrieselt. Die drei sind also in einem eisigen Käfig gefangen. Vanessa ist die einzige, der es im Verlauf des Stückes gelingen wird, dieser Isolation zu entfliehen. Am Anfang wirkt sie mit ihren grauen Haaren und der dunklen Brille wie eine alte Frau, die sich bereits aufgegeben hat. Doch das Erscheinen des jungen Anatols gibt ihr neuen Lebensmut. Im zweiten Bild des ersten Aktes sind ihre Haare blond gefärbt, und sie wirkt sichtlich verjüngt, auch wenn der Altersunterschied zu Anatol immer noch deutlich wird. Das bewegende Quintett "To leave, to break", das sie am Ende der Oper anstimmt und in das in Form eines Kanons Erika, die alte Baronin, Anatol und der alte Doktor nach und nach einstimmen, lässt vermuten, dass sie mit dem jungen Anatol in Paris nicht ihr Glück finden wird, sondern früher oder später wieder genauso einsam sein wird, wie sie es die 20 Jahre zuvor gewesen ist. Die einzigen komischen Momente in der Oper gehören dem alten Doktor, wenn er sich im zweiten Akt leicht angetrunken auf seine Rede vorbereitet. Vanessa (Claire Rutter, Mitte) und Anatol (Michael Brandenburg, Mitte) verkünden am Silvesterabend ihre Verlobung (im Hintergrund: Der alte Doktor (James Westman) mit dem Chor). Erika (Carolyn Sproule, vorne rechts) ist am Boden zerstört. Die Musik lotet mit den spätromantischen Klängen, die stellenweise an Puccini und Richard Strauss erinnern, in zahlreichen Brüchen das Seelenleben der drei Frauen wunderbar aus. Bei Vanessa überwiegen zu Beginn die dramatischen Momente, während mit Fortschreiten der Geschichte ihre Passagen immer lyrischer werden. Erikas Musik weist die entgegengesetzte Richtung auf, da sie sehr lyrisch beginnt und mit der Abkehr von Anatol immer dramatischer wird. Auch die Omnipräsenz der alten Baronin als Beobachterin wird regelrecht hörbar, wobei die musikalische Dramatik mehr über die Gefühle der alten Baronin aussagen als der gesungene Text. Rosalind Plowright zeichnet die alte Baronin mit großartiger Mimik und bescheidenen Gesten als eine zutiefst verbitterte Frau, die ihre Gefühle in ihre Malerei projiziert. Erst als Vanessa am Ende das Haus verlässt, zeigt sie einen kurzen Moment ihre Gefühle für ihre Tochter und drückt sie einmal kurz an sich, bevor sie anschließend sofort wieder ihre Maske der Unnahbarkeit aufsetzt. Stimmlich gefällt Plowright mit großen dramatischen Ausbrüchen, wenn sie im zweiten Akt um ihre Enkelin Erika besorgt ist, weil diese in die kalte Nacht hinausgelaufen ist. Carolyn Sproule begeistert als Erika mit einem dunkel-timbrierten Mezzo, der in ihrer kurzen ersten Arie "Must the winter come so soon?" die Wärme einer jungen Frau überzeugend einfängt, die noch nicht ihre Unbeschwertheit verloren hat. Doch nach ihrer gemeinsamen Nacht mit Anatol vollzieht sie einen dramatischen Wandel, den Sproule auch stimmlich deutlich macht. Die innere Zerrissenheit im zweiten Akt wird von ihr genauso wunderbar umgesetzt wie ihre Resignation am Ende des Stückes. Ob man die Blutspritzer auf ihrem weißen Nachthemd nach der Rettung benötigt, um anzudeuten, dass sie ihr ungeborenes Kind verloren hat, ist Ansichtssache. Claire Rutter punktet in der Titelpartie mit großen dramatischen Ausbrüchen und vermittelt mit eindringlichem Spiel ihren Wandel von der einsam wartenden zu einer lebensfrohen Frau, die ihre Hoffnung ganz auf den jungen Anatol setzt. Michael Brandenburg wird optisch der Partie des jungen Anatol in jeder Hinsicht gerecht. Stimmlich kann sein Tenor nicht immer überzeugen, da ihm in den dramatischen Höhen vor allem im Zusammenspiel mit Rutter ein wenig die Durchschlagskraft fehlt. Ob das allerdings die vereinzelten Unmutsbekundungen bei seinem Auftritt zum Schlussapplaus rechtfertigt, ist fraglich. James Westman gefällt als alter Doktor mit profundem Bariton genauso wie Pietro di Bianco in der kleineren Partie des Dieners Nicholas. Timothy Myers lotet mit dem Orchester des Wexford Festival Opera Barbers spätromantischen Klangsprache, die ein wenig an Filmmusik erinnert, differenziert aus.
FAZIT Das Regie-Team um Rodula Gaitanou setzt Barbers Vanessa mit beeindruckenden Bildern, die voll auf die Musik vertrauen um. Anders würde das Stück wahrscheinlich auch nicht funktionieren.
Weitere Rezensionen zum
Wexford Festival Opera 2016 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungTimothy Myers Regie
Bühne und
Kostüme Licht Choreographie Chorleitung
Chor des
SolistenVanessa
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- Fine -