Auf schwankendem Grund
Von Roberto Becker
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Foto von © Patrick Berger / artcompress
Als letzte Premiere des aktuellen Festspieljahrgangs ging in Aix-en-Provence Francesco Cavallis (1602-1676) Dreiakter Erismena über die Bühne des Théâtre du Jeu de Paume. Es ist eines von den barocken Beziehungsdramen, für das die historische Einbindung der eigentlichen Handlung gar nicht großformatig genug sein konnte. Mit Konflikten, die heute in den Endlossoaps des seichten Nebenbeifernsehens die Quoten bringen. Man weiß ungefähr, wie es geht, und bleibt dabei, weil man dann doch genau wissen will, ob sie sich wieder kriegen.…
Im Kern geht es bei Cavalli um einen gefangenen Krieger, dessen Leben in den Händen eines rachsüchtigen Sieger-Königs nicht viel wert zu sein schein. Nach dem barocküblichen, rezitativisch ausführlichen und von gelegentlichen Arien durchsetzten Hin-und-her stellt sich heraus, dass sich im Laufe der Zeit nicht nur für jeden der passende Partner findet. Sondern dass eben jener Gefangene eigentlich weder Mann noch Feind, sondern die Tochter genau des rachsüchtigen Königs ist und somit einem durch Blutsbande und Einsicht in die höhere Vernunft legitimierten Friede-Freude-Eierkuchen-Finale nichts im Wege steht.
Im Kontrast zu Handlung und Musik ist in der Inszenierung von Jean Bellorini die Bühne, bei der neben dem Regisseur auch Véronique Chazal mitgewirkt hat, martialisch karg: Ein Gerüst im Hintergrund mit zwei Türen. Das erinnert entfernt an einen Palasthof und man würde sich nicht wundern, wenn hier Klytemnästra ihre schlechten Träume ausplaudern würde. Das zentrale Element ist aber ein mit einem Metallgitter bespannter Rahmen, der anfangs den Bühnenboden einnimmt, aber in der Höhe schweben und die Spielfläche bis hinauf zu den Türen verlagern kann. Wenn da gerade einer der Sänger auf schwankendem Grund singt, freut man sich insgeheim regelrecht, dass in Südfrankreich niemand auf die Idee gekommen ist, die (jungen sportlichen) Sänger mit einem Gurt zu sichern. Dieses bespannte Gerüst oder Riesenzaunfeld wird aber auch, senkrecht aufgerichtet, zu jener Wand, an der man mit dem Rücken steht.
Das zweite erstaunlich effektvolle Element ist eine Batterie von Glühbirnen, die wie ein Himmel gewölbt aus dem Schnürboden einschweben kann, bei der aber auch mal einzelne Lichter ein Eigenleben entfalten. Oder es aushauchen. Gegen Ende, wenn sich alle Verwicklungen dieses Who-is-Who aufklären, knallen genau im passenden Moment nach und nach einige der Glühbirnen durch. Zur insgesamt atmosphärisch stimmigen Szene für das Spiel mit der Macht und um Herkunft und Liebe tragen auch die vage und dezent mit der Historie spielenden Kostüme bei.
Der 27jährige Pole Jakub Józef Orlinski gibt als Orimeno den smarten Popstar im Ensemble. Er verblüfft gleich zu Beginn mit einer Breakdance- Einlage genauso, wie er mit seiner klaren, sicheren Counterstimme beeindruckt. Sein Stimmfachkollege Carlo Vistoli setzt als Idraspe eher auf Gefühl. Als Dritter im Counter-Bunde fügt Tai Oney als Mann im Rock bzw. Clerio Moro einen weiteren charakteristischen vokalen Akzent hinzu. Die Stimmen sind sicher noch nicht auf dem Höhepunkt ihrer Möglichkeiten, fallen aber durch ihre ausgeprägte Individualität auf. Der Tenor Stuart Jackson macht aus seiner stattlichen Erscheinung eine Tugend und aus der Amme Alcesta die komische Alte schlechthin.
Der neuseeländische Tenor Jonathan Abernethy wirft sich mit Verve in die Rolle des Diarte, der das Privileg hat, gleichsam wie ein Regierungssprecher mit großer Geste, Wichtiges zu verkünden. Francesca Aspromonte bewältigt die Titelpartie glänzend. Schließlich bewegen sich Leonardo García Alarcón und die Cappella Mediterranea wie ein Fisch im Wasser durch die Musik Cavallis, die noch von Monteverdi profitiert, aber doch schon zu Händels Dramatik durchstarten will. Von dieser Zwischenstellung profitiert diese Produktion. Dank der Spielfreude im Graben und auf der Bühne.
FAZIT
Ein erfrischend jung besetzte und kurzweilig inszenierte Ausgrabung, die geeignet ist, den Komponisten Cavalli bekannter zu machen.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Leonardo García Alarcón
Inszenierung; Licht
Jean Bellorini
Bühne
Jean Bellorini Véronique Chazal
Kostüme
Macha Makeïeff
Maske
Cécile Kretschmar
Cappella Mediterranea
Solisten
Erismena
Francesca Aspromonte
Idraspe
Carlo Vistoli
Aldimira
Susanna Hurrell
Orimeno
Jakub Józef Orlinski
Erimante
Alexander Miminoshvili
Flerida
Lea Desandre
Argippo
Andrea Bonsignore
Alcesta
Stuart Jackson
Clerio Moro
Tai Oney
Diarte
Jonathan Abernethy
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