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Osterfestspiele der Berliner Philharmoniker 2017

Meisterkonzerte (Auswahl)

9., 10., 11., 13., 14. und 17. April 2017

 


Festspielhaus Baden-Baden
(Homepage)

Liebesduett und Fieberfantasien: Kammermusik der Gegensätze

Von Christoph Wurzel / Fotos: Marcus Gernsbeck, Monika Rittershaus und Christoph Wurzel

Die Auserwählten, die sich zu den Berliner Philharmonikern zählen dürfen, sind 128 Musikerinnen und Musiker aus aller Welt. Doch die meisten unter ihnen streichen, blasen,  schlagen oder zupfen ihr Instrument nicht nur im Kollektiv des großen Sinfonieorchesters, sondern aus ihrer Mitte heraus haben sich nicht weniger als 34 weitere Formationen gebildet, kleinere Ensembles und Kammermusikgruppen, von denen sich einige im Rahmen der Osterfestspiele auch in diesem Jahr wieder mit eigenen Konzerten, den Meisterkonzerten,  vorstellten. Eine Auswahl aus den Konzerten konnte das OMM besuchen. Vielfältig waren dabei die Formen und Stile der Stücke, mit denen die Solistinnen und Solisten der Philharmoniker teilweise gemeinsam mit Gästen hervortraten. Von Carlo Gesualdo bis zu Jörg Widmann reichte das Spektrum und vom klassischen Streichquintett bis zu einer so ungewöhnlichen Besetzung wie Viola, Kontrabass und Sheng, der traditionellen chinesischen Mundorgel - ein kontrastreicher musikalischer Spannungsbogen zudem in Sälen, die für die jeweils gebotene Musik einen je eigenen stimmungsvollen Rahmen boten.

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Burdamuseum in Baden-Baden (Foto: Christoph Wurzel)

Ob bereits zu Beginn des 17. Jahrhunderts in Venedig, am westlichen Ende der Seidenstraße, Claudio Monteverdi irgendwie mit der Sheng in Berührung kam, ist nicht bekannt, angesichts der viele Jahrhunderte währenden Tradition dieses Instruments wäre dies nicht unmöglich gewesen. Mit  seiner Musik jedenfalls verband sich der geschmeidige sonore Klang dieses Instruments auf schönste Weise.  Zu den warmen Farben von Viola und Kontrabass mischte sich die Sheng  im Liebesduett „Pur ti miro, pur ti gogo“  aus L'incoronazione di Poppea und in dem Madrigal „Sì dolce è'l tormento“ zu sanft verschmelzenden Melodielinien. Virtuos reizte Wu Wei sein Instrument in einer Triosonate von J.S. Bach aus, wobei er die Klangfarben von Blockflöte und Oboe des Originals in der reichhaltigen Farbpalette der Sheng zum Klingen brachte. Vivaldis Ohrwurm La Follia ließ er zusammen mit Martin Stegner (Viola) und Matthew McDonald am Kontrabass regelrecht grooven und in eine rasante Jazz-Improvisation münden. In zwei weiteren Improvisationen zeigte das Trio faszinierende Ausdrucksvielfalt zwischen eruptiver Urgewalt und gleißend flirrenden Sphärenklängen. Im Burdamuseum inmitten der modernen Malerei von Sigmar Polke hinterließ dieses Konzert einen besonders nachhaltigen Eindruck.

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Bläser der Berliner Philharmoniker bei Mozarts Gran Partita im Weinbrennersaal (Foto: Monika Rittershaus)

Fast die ganze Breite der Bläserfarben präsentiert Mozart in seiner Gran Partita für insgesamt 13 Bläser: Oboen, Klarinetten, Bassetthörner, Fagotte und Hörner sowie einen grundierenden Kontrabass. Dieses singuläre Werk spielten die Solistinnen und Solisten der Berliner Philharmoniker in einer Matinee im Weinbrennersaal des Kurhauses in exzellenter Klangbalance. Souverän hoben sie die einzelnen Stimmungen der fünf Sätze von einander ab, den serenadenhaften ersten Satz, die beiden Menuette mit ihren  heiter verspielten Trios, das stimmungsvolle Adagio in seinem filigranen Wechselspiel der Einzelstimmen, die ausdrucksvolle, tief empfundene Romanze mit ihrem skurril humorvollen Mittelteil, den kunstvoll gearbeiteten Variationensatz und schließlich das turbulente Finale mit seinen kleinen alla-turca-Einsprengseln. Das wurde eine Sternstunde meisterlichen Ensemblespiels.

"Kontrapunkt" war das Thema eines Kammerkonzerts des Philharmonischen Streichquintetts Berlin, in dem Fugen und polyphone Sätze quer durch die Musikgeschichte von Carlo Gesualdo bis Leonard Bernstein auf dem Program standen.  Besonders im Contrapunctus XII aus Bachs Kunst der Fuge gelang es den fünf Streichern, das kunstvolle Gewebe dieser Spiegelfuge transparent zu machen. Dankbar nahm das Publikum dabei die aufschlussreichen Erläuterungen des Bratschers Wolfgang Talirz als zusätzliche Hörhilfe entgegen. Eindrucksvoll gestalteten die Musiker das Adagio  mit  Fuge c-Moll KV 546 als eine barocke Stilübung Mozarts. Wenn der Swing in Leonard Bernsteins Fugue for Saxes (hier in einer Bearbeitung für Streicher) auch nur recht sparsam zum Vorschein kam, so beeindruckte das Allegro molto von  Beethovens Streichquartett op 59 Nr. 3 durch unerbittlich voran treibendes Temperament umso mehr. Angesichts der anspruchsvollen Faktur der jeweiligen Stücke erwies sich die moderierte Form gerade für diese Matinee als sinnvolles Konzertformat.

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Beni Araki, Jelka Weber, Dietmar Schwalke, Stefan Kaminski und Andreas Buschatz nach ihrer Matinee für Carl Philipp Emanuel Bach im Florentinersaal des Casinos (Foto: Marcus Gernsbeck)

Begleitet von einem ausführlichen biografischen Portrait war das Konzert, das dem zweitgeborenen Bachsohn Carl Philipp Emanuel gewidmet war. Susanne Stähr hatte aus Originalzitaten des Komponisten und weiteren Dokumenten zahlreicher Zeitgenossen eine Textcollage über das künstlerische Wirken des Berliner bzw. Hamburger Bachs und dessen musikalisches Selbstverständnis zusammengestellt. Stefan Kaminski las in Abschnitten über dessen karge Jahre am Hof Friedrich des Großen, der ihn kaum als eigenständigen Künstler wahrnahm, sondern lediglich als Begleiter beim Flötenspiel schätzte, welches Bach wiederum als zwar erzkonservativ, aber immerhin „nicht ohne Nettigkeit“ bezeichnete. Auch Bachs Hamburger Zeit als Musikdirektor der fünf Hauptkirchen wurde mit manch spitzer Bemerkung kommentiert. Jelka Weber (Flöte) und Andreas Buschatz (Violine) spielten aus seinen Sonaten. Besonders in der Fantasie fis-Moll wurde klanglich erfahrbar, was Carl Philipp Emanuel Bach zu seinem musikalischen Credo erhoben hatte: „Aus der Seele muss man spielen“.

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Streichquintett in der Spitalkirche: Cornelia Gartemann, Christoph von der Nahmer, Julia Gartemann, Martin Menking und Knut Weber mit dem Quintett von Franz Schubert (Foto: Monika Rittershaus)

Beseeltes Spiel - das zeichnete in hohem Maße auch ein Konzert aus, in dem zwei Gipfelwerke der Gattung Streichquintett auf dem Programm standen: das heitere, stürmisch voran drängende in B-Dur von Felix Mendelssohn und das melodisch versonnene in C-Dur von Franz Schubert. In beiden Werken bestachen die Interpreten durch charaktervolles Spiel in leidenschaftlicher Expressivität und eminent klangschöner Tongebung. Zu den beiden Schwestern Cornelia und Julia Gartemann (Violine bzw. Viola) und den beiden Brüdern Christoph und Martin von der Nahmer (Violine bzw. Viola) hatten sich noch die beiden Cellisten Knut Weber und Martin Menking gesellt, da beide Werke unterschiedliche Besetzungen erfordern. Besonders harmonisch verband sich die Aura des Kirchenraums mit seinen Fenstern „Licht und Finsternis“ von Harry McLean im Chorhintergrund mit Franz Schuberts an Klangfarben reicher Musik. Für den stellenweise sehr fülligen Klang des  Mendelssohn-Quintetts erwies sich dagegen die hallige Akustik der Spitalkirche als weniger günstig, was aber der Wirkung des Werks in seinem grandiosen Impetus keinen Abbruch tat. Im Schubert-Quintett begeisterte die exzellente Detailarbeit, besonders auch die subtil aufgebaute Binnenspannung im Adagio und die geheimnisvolle Stimmung im Trio des 3. Satzes. Alles in allem: Kammermusik vom Feinsten.

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Rinnat Moriah und Mitglieder des Scharoun-Ensembles unter der Leitung von Michael Hasel mit den Liedern von Anton von Webern

Klassische Moderne und Musik der Gegenwart war dem Programm des Scharoun-Ensembles vorbehalten, das in wechselnden Formationen in einer Matinee im Weinbrennersaal des Casinos auftrat. In der vollzähligen Form als Kammerorchester spielte es unter der Leitung von Michael Hasel  Schönbergs Kammersinfonie Nr. 1 in großer struktureller Klarheit, welche die Ambivalenz dieses Frühwerks zwischen spätromantischer Klangsprache und atonalen Reibungen deutlich machte. Als zweites Werk der Neuen Wiener Schule erklang in einer bezwingenden Interpretation der Liederzyklus op.14 nach Gedichten von Georg Trakl von Anton Webern. Der am Heidelberger Theater engagierten israelischen Sopranistin Rinnat Moriah gelang es virtuos, die besondere Expressivität dieser Liedaphorismen stimmlich zu übersetzen, die Webern nicht vorrangig melodisch, sondern in Intervallsprüngen oder rhythmischen und dynamischen Kontrasten komponiert hat.

Schier atemberaubende vokale Virtuosität bewies die Sängerin in Luciano Berios Sequenza III für Solostimme. Hier werden alle Regionen von Mund, Gaumen und Kehle zum Instrument - Stimmakrobatik ohne Netz: die Sängerin summt, schnalzt, trällert, lacht, lallt, singt, vom nervösen Flackern der Stimme bis zum ruhigen Fließen wird keine Art der Tonerzeugung, die ein menschlicher Kopf hervorbringen kann, ausgelassen. Diesen artistischen Atemübungen folgte das Publikum mit atemlosen Staunen. Auch eine Art von Musique concrète sind Jörg Widmanns Fieberfantasien für Klavier, Streichquartett und Klarinette, eine Viertelstunde enormen Klangreichtums. Auch hier werden die Möglichkeiten der Tonerzeugung bis ins Extreme hinein ausgenutzt und eine musikalische Erzählung über Fieberträume klangsinnlich und unmittelbar erfahrbar. Phänomenal, wie die Musikerinnen und Musiker die technischen Herausforderungen dieser Komposition meisterten.

In „nur“ sechs der fünfzehn Konzerten wurde also die enorme Bandbreite der stilistischen Fähigkeiten und Qualitäten der Mitglieder der Berliner Philharmoniker eindrucksvoll offenbar. 

Zur Übersicht zu den Osterfestspielen 2017

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Die Programme



 

9. April 2017
Rinnat Moriah, Sopran
Scharoun Ensemble

Werke von
Jörg Widmann,
Anton Webern, Luciano Berio
und Arnold Schönberg


10. April 2017
Wu Wei, Sheng
Martin Stegner, Viola
Matthew McDonald, Kontrabass

Werke von Claudio Monteverdi,
Johann Sebastian Bach,
Orlando Gibbons und
Antonio Vivaldi
sowie Improvisationen


11. April 2017

Cornelia Gartemann und
Christoph von der Nahmer,
Violine
Julia Gartemann und
Martin von der Nahmer,
Viola
Knut Weber und
Martin Menking
,
Violoncello

Streichquintette von
Felix Mendelssohn
und Franz Schubert


13. April 2017
Stefan Kaminski, Rezitation
Jelka Weber, Flöte
Andreas Buschatz, Violine
Dietmar Schwalke, Violoncello
Beni Araki, Cembalo

„Aus der Seele muss man spielen...“
Carl Philipp Emanuel Bach


14. April 2017

Christoph Hartmann
Andreas Wittmann
Oboe
Klarinette
Wenzel Fuchs
Walter Seyfarth
Klarinette
Andreas Bader
Manfred Preis
Bassetthorn
Stefan Schweigert
Mor Biron
Fagott
Stefan Dohr
Fergus McWilliam
Sarah Willis
Andrej Zust
Horn
Martin Heinze
Kontrabass

Wolfgang Amadeus Mozart
Serenade B-Dur KV 361
„Grand Partita“


17. April 2017
Philharmonisches Streichquintett
Berlin


Werke von
Carlo Gesualdo,
Johann Sebastian Bach,
Wolfgang Amadeus Mozart,
Ludwig van Beethoven,
Leonard Bernstein
und Edvard Grieg





Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Festspielhaus Baden-Baden
(Homepage)









Da capo al Fine

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