Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Geballtes Konzertglück Von Christoph Wurzel / Fotos: Monika Rittershaus Die Programme der drei hier zu besprechenden Sinfoniekonzerte der Karwoche enthielten durchaus keine leichte Kost, sondern gewichtige Werke hinsichtlich ihrer Dauer und geistigen Tiefe, zugleich auch meist mit deutlichen Bezügen zu biografischen Wegmarken ihrer jeweiligen Komponisten. Als solitäres Werk stand im ersten Konzert, das Simon Rattle dirigierte, Gustav Mahlers Sechste Sinfonie, die fast symbolisch stehen kann für das mitunter bis zur Anfeindung reichende Unverständnis, dem Mahler als Komponist zu Lebzeiten nahezu ununterbrochen ausgesetzt war. Ein Kritiker der Uraufführung fühlte sich „angewidert“ von „zu viel Lärm“ in der Musik. Überdies gehört die Sechste bis heute zu den am seltensten aufgeführten Sinfonien Mahlers, sicherlich weil sie im Ausdruck fast ausschließlich tragisch ist. Ihr fehlt der sieghafte Schluss oder die verklärende Apotheose all seiner anderen Sinfonien. Durchgängiges Charakteristikum dagegen ist der Marschrhythmus und wenn auch stellenweise idyllisch-nostalgische Gefühle aufkommen, wie in mehreren Sätzen ferne Kuhglocken oder älplerisch anmutende Bläsermelodien, so ist der Grundton doch depressiv und fatalistisch, steht sicherlich auch für den „Lebenskampf“ - eine Grundhaltung, die Mahler nie verlassen hat. Auf dem Kulminationspunkt zerschlägt mit grober Gewalt gleich zweimal ein überdimensionaler Hammer jede Hoffnung auf einen erlösenden Durchbruch, wie er sonst zur Standarderzählung in Mahlers Sinfonien gehört. Einen dritten Schlag hat der Komponist später wieder gestrichen, weil ihm diese Aussage selbst zu pessimistisch war. Der Hammerschlag im Finale der Sechsten Sinfonie von Gustav Mahler mit den Berliner Philharmoniker unter der Leitung von Simon Rattle am 9. April 2017 Über dieses in der klassischen Sinfonik wohl einmalige Klangereignis hinaus ist die Musik allein so ausdrucksstark, dass eine Interpretation deren tragischem Charakter nicht noch zusätzlichen Nachdruck verleihen muss. Die Interpretation durch Simon Rattle ging somit auch einen moderaten Weg, setzte durchaus auf Deutlichkeit der einkomponierten Expressionen, auf Klarheit der Struktur, aber nicht zuletzt auch eine ausgefeilte Klanglichkeit, wie sie nicht mit jeden Orchester zu erreichen ist. Besonders im Scherzo, wo Mahler im Trio allzu gemütliche Biederkeit karikiert und einen „altväterlichen“ Ton anschlagen lässt, wahrte Rattles Interpretation eine gewisse Zurückhaltung, aber ohne den musikalischen Sinn undeutlich werden zu lassen. Was diese Interpretation an aufgesetzten Effekten sparte, erreichte sie durch subtil aufgebaute Spannungssteigerungen viel eindrucksvoller. So gelang eine Aufführung, deren Wirkung dem Publikum am Schluss buchstäblich den Atem raubte, bevor es nach einigen Sekunden völliger Stille in berechtigten Jubel ausbrach. In ähnlicher Weise umjubelt wurden in ihrem Konzert Pinchas Zukerman und Zubin Mehta, die mit den Philharmonikern Edward Elgars Violinkonzert und Tschaikowskys Fünfte Sinfonie aufführten. Ähnlich wie in Mahlers Sechster ist auch in Tschaikowskys Fünfter das Thema „Lebenskampf“ immanentes Programm, entstand diese Sinfonie doch inmitten der größten Lebenskrise des Komponisten. Was bei Mahler der unerbittliche Marschrhythmus ist, ist bei Tschaikowsky eine wehmütige Melodie, die wie ein Prolog zur ganzen Sinfonie am Beginn von der Klarinette vorgestellt wird und dann stimmungsmäßig variiert das Werk durchzieht, bis sie sich im Finale scheinbar triumphal vollends durchsetzt. Und bei allen Interpretationen dieser Sinfonie richtet sich das Augenmerk darauf, welchen Ausdruck der Dirigent hier wählt: Sieg, Resignation oder Trotz - Affirmation oder Widerstand? Zubin Mehta fasste das Werk insgesamt stark expressiv und dramatisch auf und steigerte es zum Schluss ins Heroische. In jedem Satz beeindruckten die Philharmoniker auch hier wieder durch enormes Stilempfinden und eleganten Klang. Berückend schön gelangen die Dialoge der Bläser im Andante cantabile, dem romantischen Stimmungsbild des zweiten Satzes. Lieblich und zart begann der Walzer des dritten Satzes, gleichsam lächelnde Musik im Kontrast zum bald wieder einbrechenden düster drohenden Schicksalsmotiv. Pinchas Zukerman, Zubin Mehta und die Berliner Philharmoniker im Violinkonzert von Edward Elgar In der für ein Solokonzert seltenen Tonart h-Moll steht Edward Elgars Violinkonzert, ein wahrlich gewaltiges Werk voll gedanklicher Tiefe und rätselhafter Motivik. Dieses Konzert erlaubt dem Geiger nur selten mit äußerer Virtuosität zu glänzen, die Qualität der Interpretation erweist sich in der Tiefe und zugleich Transparenz der Durchdringung des thematischen Materials. Überragend gelang es Pinchas Zukerman die verschlungenen Wege der thematischen Entwicklungen im ersten Satz klar und deutlich auszuspielen, ohne den emotionalen Gehalt zu vernachlässigen. Mit großem Feingefühl spürte er den rasch wechselnden Stimmungen nach, verfolgte mit großer Transparenz die immer wieder ausschweifenden motivischen Gedanken. Den zweiten Satz, ein idyllisches Andante, gestaltete Zukerman mit sattem Vibrato zu einem verinnerlichten Stimmungsbild. Hier waren keine Kämpfe auszufechten wie bei Mahler oder Tschaikowsky, hier atmete die Musik vollkommene Ruhe und Ausgeglichenheit. Im Finale spielte Zukerman dann doch noch in stupender Technik und in makellos gegriffenen Läufen sein enormes geigerisches Potential aus. Mit Bravour steigerten Solist und Orchester die Entwicklung hin zur Kadenz, die Zukermann brillant bewältigte. Die an dieser Stelle von Elgar einkomponierte aparte Klangbesonderheit eines „Pizzicato tremolando“ kosteten die philharmonischen Geigerinnen und Geiger mit beeindruckender Wirkung aus. Eine triumphal aufblühende Schlusscoda beendete dieses im deutschen Konzertleben viel zu selten zu hörende Werk, bei dem neben dem exzeptionellen Solisten auch der Dirigent durch Eleganz, Klarheit und Klugheit der Zeichengebung beeindruckte. Über das Debüt des jungen Pinchas Zukermann 1969 in München steht in einem Buch über große Geiger folgendes zu lesen: „Dieser Zukerman war Bote einer neuen Generation von jungen Musikern, die sich unbekümmert, selbstgewiss, mit sportivem Übermut auf das Repertoire stürzten und es mit praller Kraft und Sinnlichkeit erfüllten.“ Genauso könnte man heute die Solistin charakterisieren, die unter Simon Rattles Leitung mit den Philharmonikern das Violinkonzert von Antonín Dvořák spielte: Lisa Batiashvili, die heute zur jungen Geigerinnen-Generation zählt und darunter eine der am meisten umjubelte Künstlerin ist. Mit ausgeprägtem Interpretationswillen, bewundernswerter Kraft, ausstrahlender Spielfreude und temperamentvoller Dynamik nahm sie vom ersten Ton an das Publikum für sich ein. Hinzu kam der wundervoll warme, beseelte Ton, den sie ihrer Geige, einer Guarneri del Gesù, entlockte und im liedhaften Charakter des ersten Satzes schon zu schönster Wirkung brachte. Die tänzerischen Passagen atmeten im besten Sinne den Geist böhmischen Musikantentums, aus dem Dvořák selbst als Geiger entstammte. Der Melodieseligkeit des Adagio ergab sich die Geigerin voll, zierte die Linien mit spielerischer Leichtigkeit durch Triller aus und mischte alles mit leiser Sehnsucht und Melancholie. In großartiger Übereinstimmung begleitete das Orchester ihr eminent sensibles Spiel. Feurig nahmen Solistin und Orchester das Allegro giocoso des dritten Satzes und rundeten mit Verve eine besondere musikalische (leider nur halbe) Sternstunde grandios ab. Furioser Schlussakkord: Lisa Batiashvili und die Berliner Philharmoniker unter Simon Rattle in Dvořáks Violinkonzert Als eine Art kollektiver Virtuose kann sich ein Orchester in Béla Bartóks Konzert für Orchester erweisen. Einzelstimmen und Instrumentalgruppen treten darin quasi solistisch und mit eigenständigen Motiven und Themen hervor und konzertieren so im traditionellen Sinne miteinander. Bartóks Meisterwerk gibt dazu vielfältig Gelegenheit, denn das Werk ist gespickt mit motivischen Einfällen, Strukturen komplexer Polyphonie, Zitaten und Parodien fremder und eigener Werke und Anspielungen an die Folklore von Bartóks ungarischer Heimat. Nach ihrer eher dienenden Funktion als Begleiter der Geigenvirtuosin im Dvořák-Konzert zeigten die Philharmoniker nun selbstbewusst ihr ganzes eigenes Können. Die fünf Sätze wurden in all ihrer Unterschiedlichkeit zu einem Fest aus Klang- und Ausdrucksvielfalt. Der ingeniöse Reichtum von Bartóks Komposition, seinem letzten großen vollendeten Werk, mit dessen Komposition er wenigstens für kurze Zeit die Krise des Exils und seiner beginnenden Krankheit zurückdrängen konnte, kam in dieser Interpretation bestmöglich zur Geltung. Auch hier schaffte Simon Rattles ordnende Hand überaus klare Strukturen und sorgte für dramatische Spannung zwischen den heterogenen teilweise miniaturhaften Klangereignissen . Für die klangliche Raffinesse sorgten die Musikerinnen und Musiker mit eindrucksvoller Hingabe. Als Appetizer vor dem Violinkonzert standen an diesem Abend drei Slawische Tänze von Antonín Dvořák auf dem Programmzettel, mit denen die Philharmoniker mit Schwung und Spielwitz auf die kommenden Werke vorbereiteten. Da taten auch ein paar Sekunden leichter Unaufmerksamkeit unter den Violinen dem Gesamteindruck keinen Abbruch, sondern bekräftigten eher das immer wiederkehrende Wunder eines Livekonzerts.
Zur Übersicht zu den
Osterfestspielen 2017 Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Die Programme 9. April 2017 Berliner Philharmoniker
14. April 2017 Berliner Philharmoniker
15. April 2017 Berliner Philharmoniker
|
© 2017 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de
- Fine -