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Scarpia mit Bodycam Von Christoph Wurzel / Fotos: Monika Rittershaus In dieser Oper werde „zu folgenden angenehmen Ereignissen Musik gemacht: zu einer Folterung, zu einem Morde, zur Aufbahrung des Ermordeten durch die Täterin, zu einer Hinrichtung mittels Erschießens, schließlich zum Todessprunge der Heldin in die Tiefe“. Was mit süffisantem Unterton der Wiener Kritiker Julius Korngold (dessen Sohn später selbst Opern abenteuerlichen Inhalts verfasste) wenige Jahre nach der Uraufführung über Puccinis Tosca schrieb, fasst ja immerhin die spektakulären Höhepunkte der Oper treffend zusammen. Und was seinerzeit an Puccini kritisiert wurde, nämlich ein „widerliches Schauerdrama“ mit zudem noch brutal schockierender Musik geschrieben zu haben, ist heute eben der Grund für den enormen Erfolg der Oper. Bei den diesjährigen Osterfestspielen wurde dieser Opernthriller daher mit spannungsvollem Interesse erwartet und war auch mit vier Vorstellungen enorm gut besucht. Kristīne Opolais als Tosca (1. Akt) In musikalischer Hinsicht erfüllte die Produktion die Erwartungen uneingeschränkt. Simon Rattle und die Berliner Philharmoniker brachten allergrößtes Fingerspitzengefühl für die gefühlvollen Seiten der Partitur und großen Atem und gewaltige Kraft für die Dramatik der Musik ein. Tutta l'espressione steht mehrmals in der Partitur - das Orchester ließ es daran nicht fehlen. Mit gewaltiger Wucht prägten bereits die ersten Takte der Oper mit dem Scarpia-Motiv der folgenden Handlung ihre Unheil verkündende Überschrift auf. Und weil es eine der Stärken dieses Orchesters ist, über exzellente Soloinstrumentalisten zu verfügen, wurden gerade auch diese Stellen zu besonderen Glanzpunkten der Aufführung, allen voran die Soloklarinette, die zu Cavaradossis Arie „E lucevan le stelle“ die melancholisch schmerzliche Begleitmelodie beisteuert. Faszinierend gelang die Mixtur der vielfältigen Klangfarben in Puccinis Partitur, denen sich die Philharmoniker geradezu detailmalerisch widmeten. Höchst sensibel hielt Rattle die dynamische Balance zwischen Bühne und Graben, so dass die Solisten bestens durchdrangen und nicht forcieren mussten. Die drei Hauptrollen waren exzellent besetzt. Kristīne Opolais war eine junge Tosca mit beweglichem, leicht fließendem Sopran. Für ihre Arie “Vissi d'arte, vissi d'amore” erntete sie Szenenapplaus - Belcanto im schönsten Sinne, im Ausdruck allerdings hätte die Partie im Detail mitunter stärkere individuelle Charakterisierung vertragen. Als Cavaradossi ließ Marcelo Álvarez keinerlei Wünsche offen. Sowohl der schwärmerischen Emphase des Liebenden als auch den tragischen Momenten des Gefolterten vermochte er stimmlich überwältigend Ausdruck zu geben, berückend sein piano, wenn er im Duett mit Tosca im 3. Akt liebevoll ihre Hände besingt, mit denen Tosca durch die Ermordung Scarpias anscheinend die Gerechtigkeit wieder hergestellt habe : „...o dolci mani mansuete e pure!“. Marcelo Álvarez als Cavaradossi Als Scarpia war der italienische Bariton Marco Vratogna für den nach der Premiere kurzfristig erkrankten Evgeny Nikitin eingesprungen. In die relativ unambitionierte Inszenierung sich einzufinden, fiel ihm offensichtlich nicht schwer, denn darstellerisch baute er die Rolle präsent aus. Vor allem aber stimmlich gab er den römischen Polizeichef in aller Brutalität und allem Zynismus, die diesen Charakter zu einem der bösesten und gemeinsten der ganzen Opernliteratur machen. Ein phänomenales Rollenportrait. Regisseur Philipp Himmelmann hatte Tosca vor circa 10 Jahren auf der Seebühne in Bregenz inszeniert, damals in dem spektakulären Bühnenbild von Johannes Leiacker mit dem riesigen, alles beherrschenden Auge über der Bühne (welches sogar Eingang in einen James-Bond-Film fand). Denselben Gedanken griff er für Baden-Baden nun erneut auf, nämlich die Macht Scarpias als ein totales Überwachungssystem zu charakterisieren. So nahm er das Motiv des allgegenwärtigen Auges in dieser Inszenierung auf, indem er Scarpia und all seinen Schergen eine Bodycam in Form eines leuchtenden Kreises ans Revers heften ließ, eine Verkleinerung des Kreisfensters der Innenfassade in der Kirche Sant' Andrea della Valle, wo der erste Akt spielt und die Raimund Bauer naturgetreu auf die Baden-Badener Bühne gestellt hat. Danach wurden die Bühnenräume abstrakter. Der zweite Akt zeigte einen kalten Büroraum mit schwarzen Designersesseln und einer die ganze Rückwand füllenden Screenfläche, auf der Scarpia offensichtlich die ganze Stadt mit einem Blick überwachen kann, nur offensichtlich Angelottis Versteck nicht, dessentwegen er Cavaradossi foltern lässt. Der dritte Akt spielt auf einer schmalen Fläche vor einer engmaschigen Gitterwand, eine sparsame, aber sinnvolle Lösung für die Ausweglosigkeit des gefangenen Cavaradossi. Scarpias Überwachungssystem (hier mit Evgeny Nikitin) Allerdings lässt die Inszenierung aber eben gerade die coups de théâtre ziemlich wirkungslos verstreichen, welche Korngold in obiger Rezension so ironisch gelobt hatte und die diese Oper szenisch so packend machen: keine lästerliche Aufbahrung Scarpias, kein Aufmarsch eines Hinrichtungskommandos, kein Sprung von der Engelsburg. Auch das Skandalon des ersten Finales, wenn Scarpia während des Tedeums ob seines ebenso brutalen wie lüsternen Plans, Cavaradossi zu vernichten und Tosca zu besitzen, in „sinnliche Erregung“ (Libretto) gerät, wird verharmlost, indem die parallele liturgische Handlung ganz ausgeblendet wird. Statt von aufmarschierten Soldaten erschossen zu werden, tötet einer von Scarpias Männern Cavaradossi eher beiläufig mit einem Schuss in die Schläfe. Wenn dies eine kaltblütige, „stille“ Beseitung des Staatsfeindes symbolisieren sollte, so fehlte aber die szenische Intensität. Tosca greift sich dasselbe Gerät und tötet sich damit selbst. Nun muss kein Regisseur die Vorschriften der Partitur wörtlich in szenische Handlung übersetzen, aber ein sinnstiftendes, effektvolles Äquivalent sollte doch gefunden werden. Daran mangelt es dieser Inszenierung leider an den entscheidenden Stellen. Ob es auch eine gute Idee war, das Bildnis der Magdalena, an dem Cavaradossi im 1. Akt arbeitet, auf dem Bühnenboden auszulegen, sei dahingestellt, zumal es gerade von den teuersten Plätzen im Parkett gar nicht zu sehen war. Da nützte die Projektion per Beamer an die Kirchenfassade nicht viel, zumal diese nicht Cavaradossis Gemälde, sondern eine reale Frau (das Objekt von Toscas Eifersucht, die Attavanti?) abbildet. Neben derartigen Ungereimtheiten ließ Himmelmann seine Darsteller mitunter ungeführt im Raum stehen - kaum eine Spur von Angst und Not war dem flüchtenden Angelotti anzumerken, der im ersten Akt in der Kirche Unterschlupf sucht. Dagegen überzeugte weitgehend der zweite Akt durch Spannung und dichte Atmosphäre, auch infolge der präsenten Darstellung der Protagonisten. Was hätte bei genauerer Ausleuchtung der Psychologie der Figuren mittels Regie aus dieser Aufführung nicht alles werden können! Sich allein auf einen Gedanken zu verlassen, trägt jedenfalls in diesem Fall keinen ganzen Opernabend. FAZIT So bot diese Tosca szenisch eher Hausmannskost, musikalisch aber war sie durchaus festspielwürdig.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Leitung und Einstudierung
Einstudierung *rezensierte Aufführung
Floria Tosca, Sängerin
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