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Was ist "Knutschen"?Von Stefan Schmöe, Fotos: © Bayreuther Festspiele / Jörg Schulze
Den Tannhäuser kindgerecht einzurichten, ist das überhaupt möglich? Das Spannungsverhältnis zwischen ritterlich keuscher Liebe und erotischer Sinneslust wird auch für erwachsene Wagnerianer spätestens dann kompliziert, wenn Tannhäuser unversehens zum papsttreuen Pilger mutiert. Katharina Wagner und Markus Latsch haben sich in ihrer für die ab 8 Jahren gedachte Version (was eher vorsichtig angesetzt ist, tatsächlich dürften auch etwas jüngere Kinder noch ihr Vergnügen daran finden) die Problematik um offene und verdrängte Sexualität ganz an den Rand geschoben und nur noch in Andeutungen behandelt. Tannhäuser und seine Ritterfreunde sind Kinder im vorpubertären Alter, die anderes im Sinn haben. Irgendwann wird mal vielsagend vom "knutschen" gesprochen - und prompt kommt die Frage: "Was ist knutschen?" Jedenfalls etwas, dass ein bisschen peinlich ist. Und irgendwie verboten.
Mit Venus (Stephanie Houtzeel) dürfen die Kinder nicht spielen.
Die hier gezeigte Fassung in der Regie von Zsófia Geréb geht nicht den Weg, eine romantische Ritteroper in opulenten Kostümen zu vereinfachen, sondern erzählt eine Geschichte von heute. Tannhäuser spielt auf verbotenem, abgesperrten Terrain (ein Abwasserkanal vielleicht) mit der geheimnisvollen Elisabeth - wer Wolfgang Herrndorfs wunderbaren Jugendroman Tschick gelesen hat, wird unweigerlich an Isa, das Mädchen von der Müllkippe, denken. Die ist mit am Saum dreckigen, ansonsten leicht folkloristischen und ein wenig zu niedlich geratenen weißen Kleid allemal interessanter als die etwas langweilige Elisabeth, und eigentlich, so sinniert Tannhäuser in einer der die Handlung erläuternden Sprechszenen, sind ja alle Jungs diese ein bisschen in Venus verliebt, nur traut sich keiner, das zu sagen. Als er es doch sagt, wird klar: Er hat gegen die Regeln verstoßen und wird von den ziemlich braven Jungen zu einem Erwachsenen geschickt, einem altmodisch gekleideten Herrn, der im Hintergrund gehörig mit Tannhäuser schimpft. Würde Elisabeth nicht bei der bei ihm sitzenden erwachsenen Frau für ihn ein gutes Wort einlegen, die Oper würde wohl ein unerquickliches Ende nehmen.
Man kann dieser Fassung sicher den Vorwurf machen, den kindlichen Verstand zu unterschätzen und eine allzu naive Version geschaffen zu haben, zumal es auf dem Markt ja genug Opernführer für Kinder gibt, die wagemutiger und näher am Original sind (und mancher Besucher hat seine Kinder im Vorfeld vermutlich auf komplexere Gedankengänge vorbereitet). Andererseits bieten sich genug Anknüpfungspunkte, um über den "echten" Tannhäuser zu sprechen, und die Aufführung hat Witz und Tempo, um eine gute Stunde lang bestens zu unterhalten, auch die Erwachsenen. Bestechend ist einmal mehr die musikalische Seite, auch wenn mit Elisabeths "Dich teure Halle grüß ich wieder" und Wolframs "Lied an den Abendstern" zwei der Highlights fehlen. Dafür gibt es jede Menge von den dramatischen Elementen, die Wagners moderne Tonsprache zeigen. Die Venusbergmusik fehlt ebenso wenig wie Tannhäusers (angemessen stark gekürzte) Romerzählung, gesungen immer mit dem originalen Text. Hervorragend gelungen ist die ausgewogene Mischung aus Musik und gesprochenen Passagen, in denen die Handlung voran geht. Verzichtbar erscheinen die Mitmach-Elemente a la "Seid Ihr alle da?". Wenn auf der Bühne so spannende Sachen passieren, dürfen Kinder auch mal eine Stunde lang ruhig sitzen bleiben.
Elisabeth (Caroline Wenborne), hier mit Herrmann, Walther und Biterolf, findet Tannhäuser immer noch toll, auch wenn der sich nicht an die Regeln gehalten hat und jetzt zu einem Erwachsenen muss.
Für vokales Wagner-Festspielformat sorgen allen voran Hans-Georg Priese als unerschütterlicher und tenoral unanfechtbarer Tannhäuser im glaubwürdigen Teenager-Look und Jukka Rasilainen als formidabler Landgraf, eigentlich auch er ein Kind in der Geschichte - aber weil er unbedingt den Landgraf beim Sängerkrieg-Spiel spielen möchte, hat er sich extra einen Bart angeklebt (sagt der wikingerhafte Finne), und das glaubt man diesem Lausbub sofort. Kay Stiefermann ist ein wunderbar schüchterner, samtener Wolfram, Stefan Heibach ein verträumter Walther und Raimund Nolte ein energischer Biterolf. Stephanie Houtzeel ist als Venus phänomenal in der Mittellage, der Höhe fehlt eine Spur an dramatischer Schärfe, und Caroline Wenborne rundet als souveräne Elisabeth ein hinreißend spielfreudiges Ensemble ab, dem man die Wagner-Erfahrung anhört. Boris Schäfer leitet das sehr engagiert aufspielende Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt/Oder, und Marko Zdralek hat die Musik für 30 Musiker so geschickt eingerichtet, dass in der scheunenartigen Probebühne IV musikalisch keine Wünsche offen bleiben, ja, selbst eine Zugabe wird gefordert - und gegeben: Die Erlösung versprechenden Worte der Pilger vom Ende der Oper, und da singen mangels Chor die Jung-Ritter aus voller Kehle (und die Cellisten gleich mit). Und was sagen die Kinder dazu? Fragen wir die Tochter des Rezensenten: "Papa, wann gehen wir wieder in die Oper?"
Passend zu Koskys frechen Meistersingern gibt's für die Kinder einen witzigen, alles andere als pathetischen Tannhäuser, der nicht nur der exzellenten musikalischen Umsetzung wegen Lust auf mehr Wagner macht.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Lichtgestaltung Solisten
Landgraf
Tannhäuser
Wolfram
Walther
Biterolf
Elisabeth
Venus
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- Fine -