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Klangvokal
Musikfestival Dortmund
28.05.2017 - 25.06.2017

Le Comte Ory (Der Graf Ory)

Oper in zwei Akten
Libretto von Augustin Eugène Scribe und Charles-Gaspard Delestre-Poirson
Musik von Gioachino Rossini

in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 h 35' (eine Pause)

Kooperation mit dem WDR Köln

Aufführung im Konzerthaus Dortmund  am 28. Mai 2016

 

 

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Triumph des Belcanto

Von Thomas Molke / Fotos: © Bülent Kirschbaum

Dass an diesem Sonntag in der Dortmunder Innenstadt gewissermaßen ein Ausnahmezustand herrschte, war zwar weniger der Eröffnung des 9. Klangvokal Musikfestivals geschuldet, sondern vielmehr dem Pokalsieg der Borussia, die mit einem Autokorso vom Borsigplatz bis zum Dortmunder U begleitet und dabei von den Fans gefeiert wurde. Doch gejubelt wurde im Konzerthaus Dortmund am Sonntagabend wohl kaum weniger als im Fußballstadion tags zuvor in Berlin. Auch wenn die Solisten nicht in schwarz-gelber, sondern nur in schwarzer Abendgarderobe auftraten - sieht man von der roten Stola bei Stella Grigorian und Jessica Pratts grünem Tuch im ersten Akt einmal ab -, ließ sich der Eröffnungsabend auch als Fortsetzung des Pokalsiegs betrachten, so dass man fast vom "Klangpokal" Festival hätte sprechen können, bei dem auch Fußballmuffel durch Belcanto vom Feinsten auf ihre Kosten kamen. Die Wahl ist in diesem Jahr auf Gioachino Rossinis Le Comte Ory gefallen, seine erste originär französische Oper, die am 20. August 1828 knapp vier Jahre nach seiner Ankunft in Paris uraufgeführt wurde. Die beiden vorherigen französischen Opern Le siège de Corinthe und Moïse et Pharaon waren eigentlich Überarbeitungen seiner italienischen Opern Maometto II. und Mosé in Egitto. Rossini gelang es nicht nur, diese komische Oper mit dem höchst pikanten Stoff von der Zensurbehörde genehmigen und an der Opéra zur Uraufführung bringen zu lassen, obwohl diese Spielstätte eher dem ernsten Metier verpflichtet war, sondern er konnte mit dem Stück auch einen so großen Erfolg verbuchen, dass bereits drei Jahre später die 100. Vorstellung über die Bühne ging und sich das Werk bis 1884 mit fast 500 Aufführungen im Repertoire der Opéra hielt. Eugène Scribe, der bei der Uraufführung noch nicht als Librettist genannt werden wollte, ließ sich daher schnell davon überzeugen, seinen Namen unter das Textbuch zu setzen.

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Der Erzieher (Oleg Tsybulko, rechts) fragt Raimbaud (Roberto de Candia, Mitte) nach dem Verbleib seines Zöglings, des Grafen Ory. (links: Giacomo Sagripanti)

Die Geschichte geht zurück auf die alte Ballade des Grafen Ory, eines adeligen Schürzenjägers, der sich mit seinen Kumpanen Zutritt zu einem Frauenkloster verschafft, indem sich alle als Nonnen verkleiden. Neun Monate später sollen dann zahlreiche Frauen im Kloster einen kleinen Ritter bekommen haben. Scribe hatte zusammen mit Charles-Gaspard Delestre-Poirson 1816 dieses Thema zu einem Vaudeville verarbeitet, das unter anderem bereits 1819 von Carl Borromäus von Miltitz in Berlin vertont wurde. Aus den Nonnen wurden dabei eine Gräfin und ihre Edeldamen, die bis zur Rückkehr ihrer sich auf Kreuzzügen befindenden Ehemänner Keuschheit gelobt hatten. Ory und seine Gefährten verkleiden sich hier als Pilgerinnen, um Zutritt zum Schloss zu erhalten. Anders als in der Ballade können die Frauen das Ehegelübde halten, zum einen, weil der Page Isolier die Gräfin beschützt, zum anderen, weil die Kreuzritter in derselben Nacht zurückkehren und Ory und seinen Männern folglich nur noch die Flucht bleibt. Rossini erweiterte diese einaktige Geschichte um eine Vorgeschichte, in der sich der Graf als weiser Eremit verkleidet, um sich die Sorgen und Wünsche der jungen Mädchen anzuhören. Der Gräfin, die er erobern will, rät er, ihre Liebessehnsucht nicht weiter zu unterdrücken, hat dabei allerdings nicht damit gerechnet, dass ihr Verlangen seinem Pagen Isolier gilt. Bevor er die Gräfin auf das Schloss begleiten kann, wird er von seinem Erzieher, Le Gouverneur, enttarnt.

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Der liebestolle Graf Ory (Lawrence Brownlee) zwischen der Gräfin Adèle (Jessica Pratt) und dem Pagen Isolier (Jana Kurucová)

Für den ersten Akt verwendet Rossini größtenteils Musik aus der drei Jahre zuvor komponierten Cantata scenica Il viaggio a Reims, einem "Gelegenheitswerk", das er für die Krönungsfeierlichkeiten von Karl X. kreiert hatte, aufgrund des Sujets jedoch für nicht repertoiretauglich erachtete, so dass er es nach bereits vier Aufführungen vom Spielplan nahm. Allerdings enthielt diese turbulente italienische Farsa derart viele hinreißende Ohrwürmer, dass Rossini diese großartige Musik nicht in der Versenkung verschwinden lassen wollte und eine Großteil in den Comte Ory übernahm. So beginnt das Stück nach einem kurzen für Rossini eher ungewöhnlich klingenden Einstieg mit der aus Il viaggio a Reims bekannten Introduktion. Das WDR Funkhausorchester unter der Leitung von Giacomo Sagripanti klingt zu Beginn ein bisschen schwerfällig und entwickelt erst im weiteren Verlauf die für Rossini typische Leichtigkeit. Aus Maddalenas "Presto, presto" wird Raimbauds "Jouvencelles, venez vite!", eine Aufforderung an die jungen Mädchen, Rat beim "weisen Eremiten" zu suchen. Stella Grigorian überzeugt dabei als Ragonde, die herausfinden will, ob der besagte Eremit auch die Leiden der jungen Gräfin lindern kann, nicht nur durch einen samtigen Mezzo mit wunderbaren Tiefen, sondern setzt die Szene auch darstellerisch mit großer Komik um, wenn sie den Umgang mit ihrer Brille zelebriert.

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Ende 1. Akt: vorne von links: Alice (Monika Rydz), Ragonde (Stella Grigorian), Isolier (Jana Kurucová), Graf Ory (Lawrence Brownlee), Adèle (Jessica Pratt), Giacomo Sagripanti, Raimbaud (Roberto de Candia) und Le Gouverneur (Oleg Tsybulko), dahinter WDR Funkhausorchester Köln und WDR Rundfunkchor Köln

Mit großem Spielwitz begeistert dann auch Startenor Lawrence Brownlee als Comte Ory. Sein majestätischer Auftritt durch den Zuschauersaal ist an gespielter Eitelkeit kaum zu überbieten. Wenn er dann zu seiner ersten großen Arie "Que les destins prospères" ansetzt, die auf die Melodie von Madama Corteses Auftrittsarie "Di vaghi raggi adorno" aus Il viaggio gelegt ist, stellt er mit stupenden Höhen und sauberen Bögen auch direkt unter Beweis, wieso er bei den International Opera Awards im Mai 2017 als "Bester Sänger des Jahres" ausgezeichnet worden ist. Es folgt der Auftritt von Orys Erzieher, Le Gouverneur. Oleg Tsybulko stattet den Gouverneur mit markanten Tiefen und beweglicher Stimmführung aus, wenn er in seiner Arie "Veiller sans cesse", in der Lord Sidney in Il viaggio seine unerhörte Liebe zur schönen Corinna beklagt, den Sorgen um den Verbleib seines Zöglings Ory glaubhaft Ausdruck verleiht. Als weiterer Star des Abends kann Jana Kurucová als Page Isolier bezeichnet werden, die mit warm-timbriertem Mezzo in der Hosenrolle punktet und dabei auch zu dramatischen Ausbrüchen fähig ist. Das Duett mit Brownlee, in dem Isolier dem Grafen seinen Plan gesteht, als verkleidete Pilgerin ins Schloss zu gelangen, stammt nicht aus Il viaggio und ist von Rossini originär für die Oper komponiert worden. Kurucová bringt hier die Liebesleiden des jungen Pagen mit weicher Mittellage wunderbar zum Ausdruck, während Brownlee herrlich die Idee des Grafen ausspielt, den Plan von seinem Pagen für seine eigenen Zwecke zu nutzen.

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Schlussapplaus: von links: Choryphée (Gheorghe Vlad), Alice (Monika Rydz), Isolier (Jana Kurucový), Ory (Lawrence Brownlee), Adèle (Jessica Pratt), Raimbaud (Roberto de Candia), Ragonde (Stella Grigorian), Le Gouverneur (Oleg Tsybulko) und Robert Blank

Es folgt der Auftritt der Gräfin, die von Jessica Pratt mit strahlenden Höhen und leicht fließenden Koloraturen ausgestattet wird. Ihre Arie "En proie à la tristesse", in der sie ihre Schwermut beklagt und die eigentlich in Il viaggio der Contessa di Folleville dazu dient, den Verlust ihrer Garderobe zu betrauern, avanciert durch Pratts sauber angesetzte Höhen zu einem weiteren musikalischen Höhepunkt, wobei Pratt bei aller Theatralik durchblicken lässt, dass die Gräfin diese Klage eigentlich nicht ernst meint, sondern ihr Herz bereits an den Pagen verloren hat. Nach der Enthüllung des Grafen endet der erste Akt mit dem großen Finale "Ciel! Ô terreur, ô peine extrème!", das in Il viaggio für 14 Stimmen konzipiert ist und auch in der Originalfassung von Le Comte Ory dreizehn Rollen mit doppeltem Chor notiert. In Dortmund wird die Troupenas-Fassung gespielt, die sich außerhalb von Paris durchsetzte und mit den sieben Partien des Stückes zuzüglich Chor auskommt. Wenn Brownlee dann zum ersten Finale mit "Venez amis, retirons-nous" zum Rückzug aufruft, reißt es das Publikum vor Begeisterung fast von den Sitzen. Stimmgewaltig präsentiert sich dabei auch der von Robert Blank einstudierte WDR Rundfunkchor Köln.

Für den zweiten Akt entnimmt Rossini dann nur noch zwei Stücke aus Il viaggio, zunächst das Duett zwischen der Gräfin und dem als Nonne verkleideten Grafen, in dem dieser sie zu erobern versucht - wie in Il viaggio der Cavaliere Belfiore die schöne Corinna - und dann die Weinarie des Raimbaud (ursprünglich Don Profondos Katalogarie "Medaglie imcomparibili"), in der Orys Gefährte von seiner Entdeckung des Weinkellers berichtet und nach dem eher spartanischen Mahl ein großes Gelage beginnt. Roberto de Candia stellt als Raimbaud darin mit wuchtigem Bariton seine herausragenden Buffo-Qualitäten unter Beweis und ruft beim Publikum großen Jubel hervor. Das folgende Terzett zwischen Pratt, Kurucová und Brownlee, in dem sich Ory eigentlich der Gräfin im Schlafgemach nähern will, dabei aber den Pagen mit Zärtlichkeiten überhäuft, die dieser im eigenen Interesse an die geliebte Gräfin weitergibt, gibt den drei Solisten zwar erneut die Möglichkeit, musikalisch zu glänzen, lässt sie jedoch nicht die ihnen am restlichen Abend eigene Komik ausspielen. Vielleicht hätte man die drei Solisten für dieses Terzett anders aufstellen und Kurucová als "Vermittler" in der Mitte positionieren sollen. Warum man den Tenor Gheorghe Vlad als Coryphée einsetzt, der eigentlich als einer von vier Begleitern des Grafen von einem Bass gesungen wird und auf die anderen Begleiter verzichtet, obwohl auch Vlad eigentlich keine Solo-Passage erhält, erklärt sich nicht wirklich, verringert den musikalischen Genuss dieses Abends aber keineswegs. So gibt es für alle Beteiligten nach jeder Nummer begeisterten Zwischenapplaus und verdienten Jubel am Ende.

FAZIT

Mit Rossinis Le Comte Ory ist dem diesjährigen Klangvokal Musikfestival ein großartiger Einstieg gelungen, der nahtlos an den Pokalsieg der Borussia anknüpft.

Weitere Rezensionen zum Klangvokal Festival Dortmund 2017

 

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Giacomo Sagripanti

 

WDR Funkhausorchester Köln

Musikalische Assistenz
Daniela Pellegrino

WDR Rundfunkchor Köln
Einstudierung: Robert Blank

 

Solisten

Gräfin Adèle de Formoutiers
Jessica Pratt

Isolier, Page des Grafen Ory
Jana Kurucová

Ragonde, Pförtnerin des Schlosses
Stella Grigorian

Alice, eine junge Bäuerin
Monika Rydz

Graf Ory
Lawrence Brownlee

Raimbaud, Freund des Grafen Ory
Roberto de Candia

Le Gouverneur, Erzieher des Grafen
Oleg Tsybulko

Coryphée
Gheorghe Vlad

 

Weitere
Informationen

erhalten Sie unter
Klangvokal Dortmund
(Homepage)



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