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Klangvokal Musikfestival Dortmund 28.05.2017 - 25.06.2017
Tamerlano in italienischer Sprache Aufführungsdauer: ca. 3 h 20' (eine Pause) Produktion des Festival d'Opéra Baroque de Beaune Aufführung im Orchesterzentrum / NRW in Dortmund am 2. Juni 2017 |
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Best Of als Pasticcio Von Thomas Molke / Fotos: © Bülent Kirschbaum Die Geschichte um den Tataren-Khan und Begründer des zweiten Mongolenreiches Timur Lenk (Tamerlano), der in einer legendären Schlacht bei Ankara im Jahr 1402 den osmanischen Sultan Bayezid I. besiegte und ihn wahrscheinlich in den Selbstmord trieb, erfreute sich in der Oper zum Beginn des 18. Jahrhunderts sehr großer Beliebtheit. So entstanden allein in Italien kurz nach dem historischen Frieden von Karlowitz 1699, bei dem das osmanische Reich wichtige Gebiete an die Sieger abtreten musste, über 50 Opern zu diesem Thema. Auch Antonio Vivaldi setzte sich mit diesem Stoff auseinander. Allerdings genoss der Geigenvirtuose im Venedig der 30er Jahre nicht mehr die Vormachtstellung wie einige Jahre zuvor, da die Komponisten der neapolitanischen Schule immer mehr in der Publikumsgunst zulegten. Aber Vivaldi ließ sich von der Konkurrenz nicht einschüchtern, sondern machte sie sich zunutze und schuf ein Opern-Pasticcio der besonderen Art. Während die Komponisten des 18. Jahrhunderts für ihre Opern häufig Arien aus eigenen und auch fremden Kompositionen verwendeten, die die engagierten Solisten als sogenannte "Kofferarien" einforderten, die speziell für ihre Stimme komponiert worden waren und um die dann das neue Stück gewissermaßen "herumgestrickt" wurde, wählte Vivaldi die Arien im Tamerlano nach ganz anderen Kriterien aus. Für den besiegten Sultan Bajazet verwendete er ausschließlich eigene Kompositionen, während er für die anderen Protagonisten auch Arien der neapolitanischen Schule von Riccardo Broschi, Geminiano Giacomelli und Johann Adolf Hasse einfügte, so dass die Gegner des Sultans musikalisch gewissermaßen als "böse Neapolitaner" gezeichnet wurden. Vielleicht ist das ein Grund dafür, dass die Oper auch unter dem Titel Bajazet aufgeführt wird, wie beispielsweise in der Spielzeit 2010/2011 beim Winter in Schwetzingen (siehe auch unsere Rezension). Bajazet (Florian Sempey) macht seiner Tochter Asteria (Anthéa Pichanik, links) Vorwürfe (rechts: Tamerlano (Delphine Galou) und Irene (Blandine Staskiewicz), links: Thibault Noally mit dem Ensemble Les Accents im Hintergrund). Für die konzertante Aufführung im Orchesterzentrum / NRW, die bereits in einer ähnlichen Besetzung beim Festival d'Opéra Baroque de Beaune 2015 und 2016 zu erleben war, hat sich der musikalische Leiter Thibault Noally entschieden, die Oper mit Tamerlano wieder nach dem Sieger zu benennen, da der Sultan das für die Barockoper obligatorische glückliche Ende gar nicht mehr erlebt. So wird schon mitten im dritten Akt von seinem Selbstmord berichtet. Im Zentrum der Oper stehen aber weniger die historischen Ereignisse als vielmehr die Liebesverwicklungen der Protagonisten. Tamerlano ist in Bajazets Tochter verliebt und sogar bereit, den im Palast von Bursa gefangenen Sultan zu begnadigen. Doch das wollen weder Bajazet noch Asteria. Hinzu kommt, dass Asteria dem griechischen Prinzen Andronico versprochen ist, der sich aber nun mit Tamerlano verbündet hat, da dieser ihm versprochen hat, ihn zum Kaiser von Byzanz zu machen. Asteria fühlt sich von Andronico verraten und geht zum Schein auf Tamerlanos Antrag ein, um ihn dann bei der Hochzeit zu ermorden. Andronico und Bajazet durchschauen ihren Plan jedoch nicht und protestieren, so dass der Mordanschlag vereitelt wird. Dann taucht auch noch Tamerlanos Braut Irene, die Erbin von Trapezunt, auf und zeigt sich sehr erbost darüber, dass Tamerlano eine andere Frau heiraten will. Tamerlano will Asteria zwar nach dem Anschlag nur noch als Sklavin demütigen, aber an Irene hat er eigentlich auch kein Interesse mehr. Erst als Asteria versucht, Tamerlano zu vergiften, und Irene ihn rettet, willigt er ein, seine Braut doch noch zu ehelichen. Nach Bajazets Selbstmord ist er sogar bereit, Gnade gegenüber Asteria walten zu lassen, und überlässt Andronico nicht nur den Thron von Byzanz sondern auch noch Asteria als Gattin. Ende 1. Teil: von links Asteria (Anthéa Pichanik), Andronico (Sophie Rennert), Bajazet (Florian Sempey), Thibault Noally, Tamerlano (Delphine Galou), Idaspe (Dilyara Idrisova) und Irene (Blandine Staskiewicz), im Hintergrund: Les Accents Musikalisch kann man dieses Pasticcio als Hitparade der Barockmusik bezeichnen. So jagt ein musikalischer Höhepunkt den nächsten. Die teilweise recht langen Rezitative sind stark gekürzt, aber durch den großen Jubel nach nahezu jeder Arie kommt der Abend trotzdem auf fast dreieinhalb Stunden. Dass diese Zeit dem Publikum zu keiner Zeit lang wird, ist den hervorragenden Solisten und dem Ensemble Les Accents zu verdanken, das von dem Violinisten Thibault Noally 2014 gegründet wurde und nach zahlreichen Auftritten in Frankreich beim Klangvokal Festival sein Deutschland-Debüt gibt. Schon bei der dreiteiligen Sinfonia zu Beginn des Abends präsentieren sich die Musiker unter der Leitung von Noally mit geschliffenem und differenziertem Spiel als Spezialisten der Barockmusik. Den ersten Szenenapplaus gibt es nach der zweiten Arie, "Nasce rosa lusinghiera", die Vivaldi aus seiner Oper Farnace übernommen hat. In dieser Gleichnisarie ermahnt Andronicos Vertrauter Idaspe den Prinzen, sich nicht zu sehr von seinen Gefühlen für Asteria leiten zu lassen, da die Schönheit der Frauen vergänglich wie eine Blume sei. Dilyara Idrisova begeistert als Idaspe mit strahlend leuchtendem Sopran und großartig klaren Höhen. Dabei zeigt sie sich in der Stimmführung absolut flexibel. Für Tamerlanos Auftrittsarie greift Vivaldi dann auf "In si torbida procella" aus Geminiano Giacomellis Oper Alessandro Severo zurück. Mit dunkel gefärbtem Timbre vergleicht Delphine Galou in der Titelpartie Tamerlanos Gefühle für Asteria mit einem Schiff, das im tobenden Sturm keinen Ankerplatz findet. Galou überzeugt dabei mit satten Tiefen und großer Beweglichkeit in den Läufen. Schlussapplaus: von links: Tamerlano (Delphine Galou), Bajazet (Florian Sempey), Asteria (Anthéa Pichanik), Andronico (Sophie Rennert), Irene (Blandine Staskiewicz) und Idaspe (Dilyara Idrisova) Bei der folgenden Arie ist die Begeisterung des Publikums so groß, dass es sogar in die Schlusstöne des Orchesters hineinklatscht. Andronico lässt in "Quel ciglio vezzosetto" seiner Verzweiflung darüber freien Lauf, dass Tamerlano ebenfalls in Asteria verliebt ist, was ihn in einen Gewissenskonflikt zwischen Liebe und Bündnistreue stürzt. Sophie Rennert, die kurzfristig als Tamerlano für den Countertenor David DQ Lee eingesprungen ist, begeistert mit warmem Mezzo. Über einen samtigen Alt verfügt Anthéa Pichanik als Asteria, die in der großen Arie "Amare un' alma ingrata" ihr Leid darüber ausdrückt, dass der Geliebte Andronico sie für untreu hält. Großartig gelingt auch Blandine Staskiewicz' Auftritt als verschmähte Verlobte Irene. Wie sie mit großer Dramatik und atemberaubenden Koloraturen in ihrer großen Arie "Qual guerriero im campo amato" ihre Wut über die Zurückweisung zum Ausdruck bringt, ist kaum zu übertreffen. Man fragt sich, wann Staskiewicz zwischen diesem Feuerwerk der Koloraturen überhaupt atmet. Nach diesem Höhepunkt, der eigentlich aus Riccardo Broschis Oper Idaspe stammt, tobt der Saal. Rennert beweist direkt im Anschluss, dass auch Andronico nicht nur leiden, sondern auch mit beweglichen Koloraturen der Wut des Prinzen freien Lauf lassen kann. Den nächsten Koloratur-Höhepunkt gibt es dann im zweiten Akt. Dieses Mal darf Idrisova erneut glänzen. Vivaldi hat für den Vertrauten des Prinzen die großartige Arie "Anch'il mar par che sommerga" aus seiner Oper Semiramide eingefügt, und Idrisova präsentiert den Sturm des Meeres in dieser Arie wie einen Orkan, der über das Publikum hinwegfegt. Danach schlagen dann Rennert und Galou bis zur Pause eher ruhigere Töne an. Nach der Pause darf sich dann Staskiewicz als Irene mit der traurigen Arie "Sposa, son disprezzata" von einer ganz anderen Seite zeigen. Man kann das gebrochene Herz in ihrer Interpretation der Arie regelrecht spüren. Florian Sempey hält mit kräftigem Bariton als wütender Bajazet dagegen. In seiner großen Arie "Dov'è la figlia?" entlädt er mit markanten Tiefen seinen Zorn auf seine Tochter, die er für eine Verräterin hält. Auch der dritte Akt hält noch einige musikalische Glanzlichter bereit. Zu nennen ist hier Idaspes Arie "D'ira e furor", in der Idaspe den Prinzen auffordert, sich zu Asteria zu bekennen und Tamerlano Widerstand zu leisten. Hier tritt Idrisova in einen grandiosen musikalischen Dialog mit der Hornistin des Ensembles Les Accents. Rennert begeistert im Anschluss einmal mehr mit atemberaubenden Koloraturen, wenn sich Andronico schließlich dazu durchringt, für die Geliebte auf die Herrschaft zu verzichten. Vor seinem Selbstmord bekommt Bajazet auch noch eine großartige Abgangsarie, die von Sempey mit bedrohlichem Bariton in den Saal geschmettert wird. Nachdem Irene ihren Tamerlano dann im dritten Akt doch noch bekommt, präsentiert sie sich ganz zart und brav, was Staskiewicz mit leichten und weichen Koloraturen wunderbar zum Ausdruck bringt. Da kann man sich gar nicht mehr vorstellen, dass diese Frau im ersten Akt wie eine Furie getobt hat. Asteria erhält zum Ende hin noch einmal eine Glanzarie, in der Pichanik ihrer Wut mit großer Dramatik freien Lauf lässt. Da wirkt der folgende Schlusschor mit seinem Jubel beinahe unpassend. FAZIT In Tamerlano hat Vivaldi zahlreiche Höhepunkte der Barockmusik zu einer großartigen neuen Oper zusammengesetzt. In einer so hervorragenden Besetzung möchte man solche Abende häufiger erleben. Weitere Rezensionen zum Klangvokal Festival Dortmund 2017
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ProduktionsteamMusikalische Leitung und Violine
Ensemble Les Accents
Solisten
Bajazet, osmanischer
Sultan
Tamerlano, Kaiser der Tataren
Asteria, Tochter von Bajazet
Andronico, griechischer Prinz
Irene, Braut von Tamerlano
Idaspe, Vertrauter von Andronico
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