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Internationale
Händel-Festspiele Göttingen 11.05.2017 - 28.05.2017 Lotario
Oper in drei Akten (HWV 26) Aufführungsdauer: ca. 4 h 5' (zwei Pausen) Koproduktion mit dem Konzert Theater Bern Premiere im Deutschen Theater Göttingen am 19. Mai 2017(rezensierte Aufführung: 21.05.2017) |
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Krieg im Museum Von Thomas Molke / Fotos von Theodoro da Silva Händels Oper Lotario, mit der er am 2. Dezember 1729 nach dem finanziellen Ruin seiner ersten Royal Academy of Music eine zweite Opernakademie begründete, war kein großer Erfolg beschieden. Zum einen bot Händel eine neue Sänger-Riege auf, mit denen das Londoner Publikum zunächst einmal fremdelte. Zum anderen mag der Titel der Oper für Verwirrung gesorgt haben, da sich hinter der Titelfigur der deutsche König Otto I. verbarg, der nach seinem Sieg über Berengar von Ivrea, den Herzog von Spoleto, die italienische Königin Adelheid von Burgund heiratete, deren erster Mann Lotario von Berengar vergiftet worden war. Da Händel jedoch sechs Jahre zuvor schon eine Oper unter dem Titel Ottone, re di Germania über Adelheids und Ottos Sohn Otto II. komponiert hatte, änderte er den Namen kurzerhand in den Namen von Adelaides verstorbenem Gatten um. Ob dies jedoch wirklich die Gründe dafür gewesen sind, dass das Werk nach nur neun Aufführungen vom Spielplan verschwand, kann nur gemutmaßt werden. Mary Pendarves führt beispielsweise als Grund für den Misserfolg den schlechten Geschmack des Londoner Publikums an, das sich nur noch an dem "niederen Stil" von Gays Beggar's Opera erfreuen könne. Jedenfalls dauerte es bis 1975, bis das Werk erstmals wieder aufgeführt worden. Nachdem die Händel-Festspiele in Göttingen das Werk 2004 konzertant präsentiert haben, gibt es nun die erste szenische Produktion im Rahmen der Festspiele. Matilde (Ursulas Hesse von den Steinen, links) und Berengario (Jorge Navarro Colorado) wollen Adelaide (Marie Lys, vorne) vom Thron stoßen. Die Idee zu der Oper kam Händel, als er im Frühjahr 1729 in Venedig die Oper Adelaide von Giuseppe Maria Orlandini auf ein Libretto von Antonio Salvi besuchte. Berengario und seine Frau Matilde, die in Händels Vertonung zu einer zentralen Figur aufgewertet wird, haben Adelaides Ehemann Lotario vergiftet, um die Herrschaft über Italien an sich zu reißen, und belagern mit ihren Truppen Adelaide in Pavia. Um ihren Thronanspruch zu festigen, wollen sie ihren gemeinsamen Sohn Idelberto mit Adelaide verheiraten. Idelberto ist in Adelaide verliebt und will für sie lieber sterben, als sie gegen ihren Willen zu einer Ehe zu zwingen. Inzwischen kommt der deutsche König Lotario (Otto I.) mit einem Heer nach Pavia, um Adelaide von der Belagerung zu befreien. Als Gegenleistung wünscht er sich ihre Liebe. Inzwischen nehmen Berengarios Truppen Pavia ein und sperren Adelaide in den Kerker. Matilde verlangt von Adelaide, entweder einen Becher mit Gift zu trinken oder ihrem Sohn die Hand zum ehelichen Bund zu reichen. Als Adelaide sich für das Gift entscheidet, will Idelberto sich ebenfalls das Leben nehmen, so dass Matilde beide am Selbstmord hindert. Inzwischen hat Lotarios Heer die feindlichen Truppen besiegt und Berengario als Geisel genommen. Als Matilde ihm bei der Einnahme der Stadt androht, Adelaide zu töten, erwidert er kurzerhand, dass dann auch ihr Gatte Berengario sterben werde. Idelberto stellt sich Lotario als weitere Geisel, um Adelaides Leben zu schützen. Mittlerweile lenkt Berengario ein und will Adelaide mit Lotario vermählen, wenn diese ihm die Herrschaft in Italien überlässt. Doch Adelaide weigert sich. Als Lotarios Truppen Pavia einnehmen, will Matilde Adelaide töten, aber mittlerweile hat Idelberto sie aus dem Kerker befreit. Adelaide willigt ein, den siegreichen Lotario zu heiraten und überlässt Idelberto die Herrschaft über Mailand. Auf Bitten Idelbertos vergeben Lotario und Adelaide auch Berengario und Matilde. Matilde (Ursula Hesse von den Steinen) instrumentalisiert ihren Sohn Idelberto (Jud Perry). Das Regieteam um den venezolanischen Regisseur Carlos Wagner verlegt die kriegerischen Auseinandersetzungen um Pavia in eine Art Museum. Die Wände sind mit großen Gemälden von Monsù Desiderio geschmückt und zeigen allesamt kriegerische Motive, in denen auch häufig das Feuer eine zentrale Rolle spielt. Vor den in opulenten Bilderrahmen gefassten Gemälden sind weitere Holzgerüste aufgebaut, die den Solisten zum einen die Möglichkeit geben, auf zwei Ebenen zu spielen, und an denen zum anderen die Gefangenen in den Kerkerszenen angebunden werden. Ein Podest kann von der linken Seite auf die Bühne gefahren werden, auf dem sich zunächst der alte König Lotario mit seiner jungen Frau Adelaide befindet. Während der Ouvertüre ist es Idelberto, der ihm in einem weißen langen Gewand, das seine Unschuld betont, unwissend den Giftbecher reicht, den er von seiner Mutter Matilde bekommen hat. Unter diesem Aspekt erhält sein schwächliches Verhalten im weiteren Verlauf des Stückes eine ganz neue Nuance, da er augenscheinlich durch dieses Geschehen traumatisiert ist. Matilde bleibt in der Inszenierung die treibende Kraft der Intrige und Wagner glaubt auch nicht an das obligatorische lieto fine. So lässt er am Ende beim Jubel den neuen König Lotario mit seiner Gattin Adelaide auf dem Podest auf dem gleichen Thron Platz nehmen, auf dem in der Ouvertüre der alte König saß, und dieses Mal reicht ihm Matilde selbst einen (Gift-)Becher, den sie von Berengarios Heerführer Clodomiro erhalten hat. Für die affektgeladenen Arien entwickelt Wagner eine interessante Personenregie, auch wenn sich nicht jeder Einfall erschließt. So bleibt zum Beispiel unklar, wieso Lotario bei seinen Auftritten im zweiten und dritten Akt die rechte Hand in Zeitlupe zur Musik bewegt und dabei leicht abwesend und verstört wirkt. Lotario (Sophie Rennert) liebt Adelaide (Marie Lys) und will ihren Herrschaftsanspruch sichern. Musikalisch ist der Abend ein absoluter Hochgenuss, und es lässt sich schwer nachvollziehen, wieso diese Oper bei der Uraufführung das Publikum nicht mitgerissen haben soll. Händel findet für jeden der sechs Charaktere eine ganz eigene Musiksprache, die von den Solisten großartig umgesetzt wird. Da ist zunächst Adelaide zu nennen, die von Marie Lys mit kräftigem und in den Koloraturen absolut beweglichem Sopran interpretiert wird. Mit stupenden Höhen und atemberaubenden Läufen wird die junge Sopranistin, die mit ihrem Ensemble Abchordis den ersten Preis in der Göttinger Reihe Historischer Musik gewonnen hat, dem kämpferischen Geist der jungen Königin mehr als gerecht. Ihre große Gleichnisarie am Ende des ersten Aktes, "Scherza in mar la navicella", in der sie wie ein Schiff auf stürmischer See den Feinden trotzen will, erntet für die halsbrecherischen Koloraturen zu Recht frenetischen Jubel. Sophie Rennert ist ihr in der Titelpartie absolut ebenbürtig und hält mit warmem Mezzosopran dagegen. Dabei variiert sie großartig zwischen liebevollen weichen Tönen im Zusammenspiel mit Lys, wenn sie Lotarios Gefühle für Adelaide zum Ausdruck bringt, und dramatischen Ausbrüchen, wenn sich Lotario seinen Gegnern Berengario, Matilde und Idelberto stellt. Das bewegende Schlussduett zwischen Lys und Rennert am Ende der Oper geht unter die Haut. Lotario (Sophie Rennert, Mitte hinten) im Kampf mit Berengario (Jorge Navarro Colorado, links) und Idelberto (Jud Perry, rechts) Aufhorchen lässt auch Jorge Navarro Colorado als Berengario. Mit strahlendem und höhensicherem Tenor zeigt er sich in den schnellen Läufen absolut beweglich und vollzieht darstellerisch einen glaubwürdigen Wechsel vom bösen Schurken zum reumütigen Mann. Dies wird vor allem in seiner Arie im dritten Akt, "Vi sento, sì, rimorsi entro al mio sen", deutlich, wenn er immer wieder von Schuldgefühlen geplagt wird und in den Armen seiner Frau zusammenbricht. Ursula Hesse von den Steinen ist da als Matilde von einem ganz anderen Kaliber. Mit dunklem Mezzo macht sie deutlich, dass sie der eigentliche Bösewicht dieser Oper ist und auch am Schluss nicht wirklich Reue zeigt, sondern ihren Mann und ihren Sohn für deren Schwäche verachtet. Musikalische Höhepunkte sind ihre Arie im ersten Akt, "Orgogliosetto", wenn sie über Adelaide triumphiert und ihr prophezeit, dass ihr Hochmut sie ins Unglück stürzen werde, und ihre große Arie im dritten Akt, "Impara, codardo", wenn sie im Gegensatz zu ihrem Mann und ihrem Sohn weiter standhaft Widerstand leisten will, auch wenn Lotario zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon gewonnen hat. Matildes Verzweiflung wird dann von Hesse von den Steinen in dem berührenden Accompagnato "Furie del crudo averno, e dove siete?" wunderbar umgesetzt und beweist, dass sie auch eine großartige Darstellerin ist. Jud Perry stattet Berengarios und Matildes Sohn Idelberto mit weichem Countertenor aus, der dem zarten Charakter des jungen Mannes mehr als gerecht wird. Todd Boyce rundet als Clodomiro das Solisten-Ensemble mit dunklem und kräftigem Bariton hervorragend ab. Laurence Cummings lotet mit dem FestspieOrchester Göttingen die Feinheiten der Partitur gewohnt differenziert aus und präsentiert Händel-Klang vom Feinsten. So gibt es am Ende für alle Beteiligten frenetischen Jubel. FAZIT Die Händel-Festspiele stellen unter Beweis, dass Händels Lotario musikalisch völlig zu Unrecht vernachlässigt wird. Das Regieteam um Carlos Wagner findet einen spannenden Zugang zur Handlung. Wer nicht nach Göttingen kommen kann, hat die Möglichkeit, die Inszenierung 2019 in Bern zu erleben. Weitere Rezensionen zu den Internationalen Händel-Festspielen Göttingen 2017
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ProduktionsteamMusikalische Leitung Regie Bühnenbild Kostüme Choreographie Licht
Solisten
Lotario Adelaide
Matilde Berengario Idelberto Clodomiro Statist
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