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Händel-Festspiele 2017 in Halle (Saale)

26.05.2017 - 11.06.2017

Giustino

Oper in drei Akten (HWV 37)
Libretto nach Niccolò Beregani / Pietro Pariati für Antonio Vivaldis Oper Giustino (Rom 1724)
Musik von Georg Friedrich Händel

In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 h 5' (eine Pause)

Koproduktion der Händel-Festspiele mit dem Stadttheater Schaffhausen, der Associazione Grupporiani - Mailand, Comune di Milano - Teatro Convenzionato und der lautten commpagney Berlin

Premiere im Goethe-Theater Bad Lauchstädt am 9. Juni 2017
(rezensierte Aufführung: 11.06.2017)

 

 

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Zauberhaftes Marionettentheater mit Seeungeheuer

Von Thomas Molke / Fotos: © Associazione Grupporiani Piero Corbella

Als die Compagnia Marionettistica Carlo Colla & Figli aus Mailand 2008 bei einem umjubelten Gastspiel im Goethe-Theater Bad Lauchstädt im Rahmen des Festivals Theater der Welt erstmals die Puppen tanzen ließ, wurde schnell die Idee geboren, auch für die Händel-Festspiele in Halle eine Barockoper mit Mitteln des italienischen Marionettentheaters umzusetzen. Die Wahl fiel auf Händels Zauberoper Rinaldo, da sie unter anderem mit dem Drachenritt der Zauberin Armida und ihrer Verwandlung in Rinaldos Geliebte zahlreiche szenische Effekte aufweist, die mit Puppen wesentlich magischer umgesetzt werden können als mit realen Menschen auf der Bühne, und zusätzlich eine barocke Faszination erzeugt, ohne dabei in Kitsch abzurutschen. Die Premiere am 4. Juni 2011 wurde ein so großer Erfolg, dass die Produktion nicht nur durch zahlreiche Städte tourte (siehe auch unsere Rezension von den Händel-Festspielen in Karlsruhe 2014), sondern mittlerweile auch bei Arthaus Musik auf DVD erschienen ist. Nun hat sich die lautten compagney Berlin unter der Leitung von Wolfgang Katschner erneut mit der Compagnia Carlo Colla & Figli zusammengetan und Händels Giustino erarbeitet.

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Arianna (Mitte links) krönt Anastasio (Mitte rechts) zum neuen Kaiser (rechts von ihm: Leocasta, links von Arianna: Amanzio).

Die Oper erlebte ihre Uraufführung am 16. Februar 1737 am Covent Garden Theatre in London und entstand zwischen Arminio und Berenice für die Opernsaison 1736/1737. Der Stoff basiert auf einer Dichtung von Niccolò Beregani, die erstmals von Giovanni Legrenzi im Jahr 1683 vertont wurde. Da das Sujet um den Bauern aus Illyrien, der zum oströmischen Kaiser aufsteigt, sich großer Beliebtheit erfreute, folgten zahlreiche weitere Kompositionen, für die Pietro Pariati Bereganis Text bearbeitete. Händel verwendete für seine Komposition eine dreiaktige Fassung, die Antonio Vivaldi 1724 in Rom zur Uraufführung gebracht hatte. Die Geschichte spielt zwischen den 5. und 6. Jahrhundert nach Christus und vermengt historische Fakten um Anastasios I. (Anastasio), der 491 durch die Hochzeit mit Ariadne (Arianna), der Witwe des oströmischen Kaisers, selbst den Thron bestieg, und seinen Nachfolger Justinus I. (Giustino), der 515 den Aufstand des Rebellen Vitalianus (Vitaliano) niederschlug und daraufhin zum Befehlshaber der kaiserlichen Palastgarde aufstieg, bevor er dann nach Anastasios' Tod 518 selbst zum Kaiser ernannt wurde und sich 520 sogar mit Vitalianus aussöhnte. Während diese Versöhnung in der Oper dadurch herbeigeführt wird, dass sich Giustino und Vitaliano als Brüder entpuppen, diente sie in der Realität nur dem Vorwand, den Rebellen nach Konstantinopel zu locken, um ihn dort ermorden zu lassen.

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Giustino rettet Leocasta vor dem wilden Bären.

Die Oper setzt mit dem Auftritt von Ungeheuern, Geister- und Göttererscheinungen auf zahlreiche Spezialeffekte, die mit den Marionetten zauberhaft umgesetzt werden können. Auf bis zu fünf Brücken spielen die mehr als zehn Marionettenspieler in die Bühnentiefe, was genau der Kulissenstaffelung einer Barockbühne entspricht. Verzaubern können hier nicht nur die liebevoll gestalteten und opulent gekleideten Puppen, bei denen sich sogar die Münder in den einzelnen Arien bewegen, sondern auch die fantasievoll gemalten Bühnenbilder, die mal im Palast Anastasios an Mosaiken aus Ravenna erinnern, mal eine pastorale Landschaft beschreiben, in der Giustino als Bauer mit Kuh und Schafen sein Land bestellt, dann wieder eine Strandlandschaft mit zahlreichen Felsklüften zeigen, während im Hintergrund das in mehreren Ebenen wogende Meer zu sehen ist. Und auch mit szenischen Effekten wird nicht gespart. Wenn die Schwester des Kaisers Leocasta von einem wilden Bär verfolgt wird, rettet Giustino die schöne Frau und macht dem Bären mit einem Messer den Garaus, wobei dann auf der Front der Bärenbrust eine riesige blutrote Wunde zu sehen ist. Das Meeresungeheuer, dem Arianna zum Fraß vorgeworfen werden soll, erscheint zunächst relativ klein in den Wogen, bevor es sich am Ufer zu einer großen Gefahr entwickelt, der Giustino zur Befreiung der Kaiserin heldenhaft trotzt.

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Vitaliano (links) hat Arianna in seine Gewalt gebracht (rechts: Polidarte).

Großartig umgesetzt wird auch Giustinos Traum im ersten Akt, in dem ihm die Glücksgöttin Fortuna erscheint und ein Leben als Held prophezeit. Auf einem Thron mit sich drehenden, golden glänzenden Rädern schwebt Fortuna mit verbundenen Augen herein, während sich aus dem Nebel hinter einem Felsen ein weiterer Giustino erhebt, der mit einem Lorbeerkranz geschmückt ist und bereits andeutet, dass er Anastasios Nachfolger werden wird. Auch die glückliche Wendung im dritten Akt wird durch einen fulminanten Deus ex machina eingeleitet. Als Giustino sich erschöpft am Fuße eines Berges niedergelegt hat und Vitaliano ihn dort schlafend findet, will dieser jenen töten. Aber da öffnet sich der Berg, und die Stimme des toten Vaters verkündet als klappriges Skelett, dass Giustino und Vitaliano Brüder seien und sich deshalb nicht weiter bekämpfen sollten. Auch wenn das oströmische Heer auftritt, ist man begeistert, welche Massen die Puppenspieler auf der Bühne koordiniert bewegen können.

Musikalisch bietet die Aufführung ebenfalls Barockgenuss vom Feinsten. Da der Orchestergraben mit der lautten compagney Berlin voll besetzt ist und die Bühne den Marionetten gehört, singen die Solisten, die auch gemeinsam die Chorpassagen übernehmen, vom rechten und linken Seitenrang. So hat man die Möglichkeit, neben dem Geschehen auf der Bühne auch die Solisten zu betrachten. Owen Willetts begeistert in der Titelpartie mit dunkel gefärbtem Countertenor, der dem jungen Helden eine sehr virile Farbe gibt. Großartig gestaltet er die Traumsequenz im ersten Akt, wenn Fortuna ihm eine ruhmreiche Zukunft prophezeit. Im Kampf mit dem Bären und dem Seeungeheuer präsentiert sich Willetts auch stimmlich äußerst heldenhaft. Helena Rasker harmoniert als Leocasta mit ihrem samtweichen und dunklen Alt wunderbar mit Willetts' Counter, so dass nicht nur auf der Bühne zwischen den beiden Puppen sondern auch musikalisch deutlich wird, dass diese beiden Figuren zusammengehören. Dabei punktet Rasker mit großer Beweglichkeit in den Läufen. In ihrer Gleichnisarie "Sventurata navicella" im zweiten Akt, in der Leocasta ihre Liebe zu Giustino mit einem Schiff auf hoher See vergleicht, begeistert Rasker mit sauberen Koloraturen.

Stimmlich heller präsentiert sich das Kaiserpaar. Sylvia Rena Ziegler glänzt als Kaiser Anastasio mit weichem Mezzosopran, ist aber im dritten Akt, wenn Anastasio sich von allen betrogen wähnt, zu großen dramatischen Ausbrüchen fähig. Fanie Antonelou begeistert als Kaiserin Arianna mit strahlend hellem Sopran, der wunderbar mit Zieglers Mezzo harmoniert. Während sie sich ihrem Gatten gegenüber als zärtlich Liebende präsentiert, zeigt sie mit wütenden dramatischen Ausbrüchen Vitaliano gegenüber, dass er ihr Herz nicht gewinnen kann. Andreas Post stattet den Rebellen Vitaliano mit höhensicherem Tenor aus, der große Strahlkraft besitzt. Drew Santini gibt den wahren Bösewicht Amanzio mit dunklem Bariton, und Shadi Torbey legt Vitalianos Heerführer Polidarte mit profundem Bass an. Wolfgang Katschner lotet mit der lautten compagney Berlin Händels vielschichtige Partitur differenziert aus, so dass es am Ende großen Jubel für alle Beteiligten gibt, was die Temperaturen im eh schon warmen Goethe-Theater weiter in die Höhe treibt.

FAZIT

Der Compagnia Marionettistica Carlo Colla & Figli ist es wieder einmal gelungen, mit einer opulenten Inszenierung Händels relativ unbekannter Oper neues Leben einzuhauchen. Die musikalische Umsetzung lässt keine Wünsche offen, so dass zu hoffen bleibt, dass auch diese Produktion auf DVD eingespielt wird.

Weitere Rezensionen zu den Händel-Festspielen 2017 in Halle

 

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Wolfgang Katschner

Regie
Eugenio Monti Colla

Technischer Leiter
Tiziano Marcolegio

Lichttechnik
Franco Citterio

 

lautten compagney Berlin

Compagnia Marionettistica Carlo Colla & Figli

 

Solisten

Giustino
Owen Willetts

Arianna
Fanie Antonelou

Anastasio
Sylvia Rena Ziegler

Leocasta
Helena Rasker

Vitaliano
Andreas Post

Amanzio
Drew Santini

Polidarte
Shadi Torbey

 

Weitere
Informationen

erhalten Sie unter
Händel-Festspiele in Halle
(Homepage)



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