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Musikfestspiele
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Opernfestspiele Heidenheim

18.06.2017 - 30.07.2017

Un giorno di regno

Opera buffa in zwei Akten
Libretto von Felice Romani
Musik von Giuseppe Verdi

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 h 20' (eine Pause)

Premiere im Festspielhaus Congress Centrum in Heidenheim am 27. Juli 2017
(rezensierte Aufführung: 29.07.2017)

 


 

 

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Verwechslungskomödie im Mafia-Milieu

Von Thomas Molke / Fotos: © Oliver Vogel

Als Giuseppe Verdis erste Oper Oberto conte di San Bonifacio 1839 in Mailand uraufgeführt wurde, war musikalisch schon einiges von dem dramatischen Stil zu erkennen, den Verdi in seinen späteren Opern perfektionieren sollte. Bei seiner zweiten Oper, Un giorno di regno, schlug er jedoch einen ganz anderen Weg ein. Der Direktor der Mailänder Scala, Bartolomeo Merelli, hatte für 1840 eine komische Oper in Auftrag gegeben. Schließlich hatten berühmte Komponisten wie Rossini und Donizetti ebenfalls sowohl das ernste als auch das heitere Metier mit gleicher Fertigkeit bedient. Im Falle von Verdi wurde das Resultat aber ein absoluter Misserfolg und direkt nach der Uraufführung abgesetzt. Vielleicht war Verdi aufgrund seiner extrem schwierigen familiären Situation - er hatte gerade seine beiden Kinder und seine Ehefrau Margherita verloren - bei der Auswahl des Librettos nicht kritisch genug. Felice Romani galt zwar als einer der erfolgreichsten Librettisten der damaligen Zeit, aber die Geschichte an sich war verworren und voller Logiklöcher, über die das Publikum trotz eingängiger Melodien nicht hinwegsehen wollte. Verdi plante danach zunächst, sich ganz von der Opernbühne zurückzuziehen, bevor mit Nabucco zwei Jahre später doch noch sein Siegeszug über die Opernbühnen der ganzen Welt begann. An einer komischen Oper versuchte er sich in den folgenden Jahren allerdings nur noch ein einziges Mal und zwar ganz am Ende seiner Karriere mit seinem Alterswerk Falstaff. Da man sich bei den Opernfestspielen Heidenheim vorgenommen hat, in den kommenden Jahren die frühen Werke Verdis in chronologischer Reihenfolge aufzuführen, versucht man nach Oberto im letzten Jahr nun, das Publikum von den musikalischen Qualitäten von Verdis Un giorno di regno zu überzeugen.

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Baron Kelbar (Davide Fersini, links vorne) ist nicht gewillt, seiner Tochter Giulietta (Michaela Maria Meyer, Mitte rechts) und ihrem Geliebten Edoardo (Giuseppe Talamo) seinen Segen zu geben. Marchesa del Poggio (Elisabeth Jansson, Mitte links) versucht zu vermitteln (im Hintergrund: Chor)

Die Oper spielt 1733 in der Bretagne, im französischen Exil des abgesetzten polnischen Königs Stanisław I. Leszczyński. Dieser hat sich heimlich nach Warschau begeben, um seine Thronansprüche erneut geltend zu machen. Damit seine Rückkehr nach Polen nicht publik wird, hat er kurzerhand seinem französischen Freund, dem Cavaliere di Belfiore, den Auftrag erteilt, während seiner Abwesenheit die Rolle des Königs zu spielen. Dieser nutzt die neue Machtposition, um beim Baron Kelbar einige Verwirrung zu stiften. Dieser will nämlich seine Tochter Giulietta mit dem wohlhabenden aber recht betagten Baron La Rocca verheiraten, obwohl sie dessen mittellosen Neffen Edoardo di Sanval liebt. Als falscher König verspricht Belfiore verspricht La Rocca den sozialen Aufstieg durch einen Ministerposten und stellt ihm in diesem Zusammenhang auch eine lukrativere Partie als Giulietta in Aussicht. Um Giuliettas Vater zu besänftigen, solle er seinem Neffen Edoardo eines seiner Schlösser hinterlassen, damit Kelbar Edoardo als Gatten für seine Tochter akzeptiere. Giuliettas Kusine, die verwitwete Marchesa del Poggio, die mit Belfiore liiert ist, durchschaut die Maskerade ihres Geliebten und hält ihn für untreu. Aus Wut über sein Verhalten will sie den Conte Ivrea heiraten, wenn sich Belfiore nicht zu erkennen gibt. Im letzten Moment kommt ein Schreiben des echten Königs, in dem er verkündet, dass er seinen Thron wiedererlangt habe und Belfiore nun seine wahre Identität preisgeben könne. So finden auch Belfiore und die Marchesa wieder zueinander, und einer glücklichen Doppelhochzeit steht nichts mehr im Weg.

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Vom französischen Exil in eine "typische Pizzeria" des letzten Jahrhunderts: links an der Gitarre: Ivrea (León de la Guardia), rechts mit der Pistole: Delmonte (Daniel Dropulja)

Das Regie-Team um Barbora Horáková Joly verlegt die Handlung aus dem französischen Exil des 18. Jahrhunderts in das Mafia-Milieu der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts. Baron Kelbar ist Besitzer einer Pizzeria "Dal Barone", die neben Pizza und Pasta vor allem als Drogenumschlagsplatz benutzt wird. Der "König von Polen" dient dabei als Titel eines Mafia-Bosses, der in die kriminellen Geschäfte der Familie verwickelt ist. Belfiore hat diesen Titel angenommen, um als verdeckter Ermittler den Drogenhandel auffliegen zu lassen und den ganzen Clan zu verhaften. Dabei wartet er auf ein Schreiben seines Auftraggebers für den Zugriff in der Pizzeria, falls die erforderliche Aussage des Kronzeugen vorliegt. Das ist zwar genauso konstruiert wie das eigentliche Libretto, bietet aber die Grundlage für eine herrlich schräge Komödie. Wenn das Publikum den Zuschauersaal betritt, herrscht in der Pizzeria auf der Bühne bereits ausgelassene italienische Stimmung, während Ivrea als Chefkoch mit Mitgliedern des Chors zu "O sole mio" und anderen italienischen Schlagern Pasta bereitet und Delmonte sich die eine oder andere Droge in die Nase zieht. Letzterer reagiert dabei auch schon einmal leicht aggressiv, wenn ein Orchestermusiker den Kassettenrekorder ausstellt, damit die Musiker ihre Instrumente stimmen können, und einen Arbeiter, der ein Schild gerade hängen will, knallt er kurzerhand ab. Die Drogen werden dann während der Ouvertüre in ausgehöhlten Melonen zwischengelagert.

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Belfiore (Gocha Abuladze, auf dem Tisch) verteilt als "König von Polen" Eier (links: La Rocca (David Steffens), rechts: Baron Kelbar (Davide Fersini) mit dem Chor)

Der "alte" La Rocca ist eigentlich noch in den besten Jahren, so dass nicht ganz klar wird, welchen Vorzug sein Neffe Edoardo haben soll, da Horáková Joly ihn ziemlich heruntergekommen mit einem merkwürdigen großen Schirm auftreten lässt. Aber vielleicht steht Giulietta ja eher auf eine alternative Lebensweise und macht deshalb mit den Putzfrauen und Kellnerinnen auf grünen Matten Yoga-Übungen im Lokal. Belfiore, der optisch an den großen Al Capone erinnert, versteht es jedenfalls, Edoardos Aussehen zu verbessern und aus ihm einen vielversprechenden kleinen Mafioso zu machen. Welche Rolle die Marchesa dabei spielt, wird nicht ganz klar. Gehört sie ebenfalls zum Mafia-Clan? Dafür spricht, dass Belfiore sie am Ende wie alle anderen verhaften lässt. Aber würde sie dann wirklich Belfiore heiraten wollen, wenn sie doch weiß, dass er nicht der "König von Polen" ist und unter diesem Deckmantel nur auftritt, um den Clan auffliegen zu lassen? Wäre dann nicht Ivrea als Teil der Familie von Anfang an die anzustrebende Partie? In der Verwirrung des Finales entkommt sie am Ende mit Ivrea genauso wie Edoardo und Giulietta der auf der Bühne wütenden Verhaftungswelle und lässt Belfiore inmitten des Chaos zurück.

Trotz der kleineren dramaturgischen Unstimmigkeiten bietet der Abend gute Unterhaltung auf hohem musikalischen Niveau. Gocha Abuladze stattet den Belfiore mit kräftigem und beweglichem Bariton aus, und auch optisch nimmt man ihm als "König von Polen" den Mafia-Boss zu jedem Zeitpunkt ab. Vom Tschechischen Philharmonischen Chor Brünn sind ihm auch einige schwarz gekleidete Herren zur Seite gestellt, die als Mafiosi großen Spielwitz entfalten, auch wenn nicht klar wird, wieso Abuladze ihnen im ersten Finale über den gefüllten Tellern mit Spaghetti eine Kugel in den Kopf jagt. Aber es ist wohl wie sein Titel alles nur Spiel, und so erheben sie sich vor der Pause wieder lachend von den Toten. León de la Guardia wertet die recht kleine Rolle des Grafen Ivrea als Koch mit überbordender Bühnenpräsenz auf und begeistert im Duett mit der Marchesa als südländischer Lover. Elisabeth Jansson stattet die Marchesa mit sattem Mezzosopran aus und begeistert ebenfalls durch große Spielfreude.

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Giulietta (Michaela Maria Meyer) zeigt ihrem Bräutigam Edoardo (Giuseppe Talamo), wo es langgeht.

Michaela Maria Meyer und Giuseppe Talamo begeistern als jugendliches Liebespaar Giulietta und Edoardo. Meyer punktet mit mädchenhaftem Sopran und einem beeindruckenden Kopfstand bei der Yoga-Übung. Darstellerisch macht sie deutlich, dass diese junge Frau sehr genau weiß, was sie will. Talamo überzeugt als Edoardo mit sauberen Höhen. Szenisch legt er die Figur wunderbar naiv an. Davide Fersini und David Steffens statten die beiden Buffo-Partien Kelbar und La Rocca mit beweglichem Bass aus. Zu einem musikalischen Höhepunkt avanciert ihr großes Duett im zweiten Akt, in dem sie sich darüber streiten, mit welchen Waffen sie ihr bevorstehendes Duell austragen wollen. Hier zeigt Verdi, dass er den lockeren Parlando-Stil von Rossini und Donizetti ebenfalls perfekt beherrscht. Der von Jan Ocetek einstudierte Tschechische Philharmonische Chor Brünn überzeugt stimmlich und kann sich darstellerisch als Putzkolonne, Köche, Metzger und Mafiosi mit großem Spielwitz austoben. Marcus Bosch rundet mit der Cappella Aquileia den Abend, der musikalisch an zahlreichen Stellen an Donizetti oder Rossini erinnert und nur in einzelnen Arien Verdis späteren Stil ansatzweise erkennen lässt, präzise und differenziert ab, so dass es am Ende großen Applaus für alle Beteiligten gibt.

FAZIT

Dramaturgisch lassen sich die Schwächen des Librettos nicht leugnen, auch wenn Barbora Horáková Joly mit der Verlegung ins Mafia-Milieu einen im Großen und Ganzen überzeugenden und durchweg unterhaltsamen Ansatz wählt. Als Anhänger großer Verdi-Dramen kommt man bei diesem Werk vielleicht nicht ganz auf seine Kosten. Für Liebhaber des Belcanto à la Rossini und Donizetti hat die Musik aber durchaus herausragende Momente.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Marcus Bosch

Inszenierung
Barbora Horáková Joly

Kostüme
Eva-Maria van Acker

Chor
Jan Ocetek

Dramaturgie
Natalia Fuhry

 

Cappella Aquileia

Tschechischer Philharmonischer Chor Brünn


Solisten

Cavaliere Belfiore
Gocha Abuladze

Baron Kelbar
Davide Fersini

Giulietta di Kelbar
Michaela Maria Meyer

Marchesa del Poggio
Elisabeth Jansson

Edoardo di Sanval
Giuseppe Talamo

La Rocca
David Steffens

Graf Ivrea
León de la Guardia

Delmonte
Daniel Dropulja

 
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