Über allem steht der Tanz
Von Thomas
Molke / Fotos von Rupert Larl
Jean-Philippe Rameau zählt zu den bedeutendsten französischen Komponisten der
Aufklärung, der einen großen Beitrag zur Entwicklung der Bühnenwerke weg von der
höfischen Tragédie-lyrique eines Jean-Baptiste Lully hin zu einer neuen
Gewichtung des Tanzes geleistet hat, der nicht mehr nur die Funktion eines
Divertissements übernimmt, sondern direkt in die Handlung eingreift. Nachdem er
zunächst mit großen Ballets heroïques wie beispielsweise Les Indes
galantes Triumphe feierte, widmete er sich nach 1745 dem Acte de
ballet zu, einer Miniaturoper, die aus wenigen Szenen besteht und von einem
Divertissement gekrönt wird, in dem sich Ballette, virtuose Arien und Chöre
vermischen. Ein Glanzpunkt dieses Genres stellt sein Pygmalion dar,
eine Vertonung der bei Ovid überlieferten Metamorphose über den begnadeten
Bildhauer, der sich in seine selbst geschaffene Statue verliebt und von den
Göttern erwirkt, dass diese zum Leben erweckt wird. Diese Menschwerdung lässt
sich natürlich besonders gut im Tanz ausdrücken. Dass dieses Werk heutzutage
relativ selten auf der Bühne zu erleben ist, mag unter anderem an der
Kürze des Stückes liegen. So kann man mit dieser Kurzoper allein keinen Abend
bestreiten, sondern muss sie mit etwas anderem kombinieren. Natalie van Parys
hat sich entschieden, dem Acte de ballet zwei Stücke von weiteren französischen
Komponisten voranzustellen, die wie Rameau in der ersten Hälfte des 18.
Jahrhunderts eine wichtige Rolle für die Weiterentwicklung der französischen
Musik gespielt haben: Louis-Nicolas Clérambault und Jean-Féry Rebel.
Die Muse der Oper (Chantal Santon-Jeffery)
entfacht auf der Bühne einen Sturm (dargestellt von der Tanz-Compagnie Les
Cavatines)
Den Anfang macht Clérambaults Kantate La Muse de l'Opéra ou Les Caractères
lyriques. Die französische Kantate gehörte mit der
Instrumentalsonate zum bevorzugten Mode-Genre der Pariser Salons in den letzten
Jahren der Herrschaft Ludwigs XIV. und der "Régence". Clérambault gilt dabei als
bedeutendster Repräsentant dieser Gattung und behandelte darin nicht nur
mythologische und pastorale Themen sondern auch philosophische. In La Muse de
l'Opéra kommt die Muse der Oper höchstpersönlich zu Wort und stellt
nacheinander die Kunstgriffe vor, mit denen das Theater die Bewunderung der
Zuschauer hervorruft. Antoine Fontaine hat dafür einen glänzenden Thron
entworfen, auf dem Chantal Santon-Jeffery als Muse in einem opulenten Kostüm von
Alain Blanchot ihre Majestät erstrahlen lässt. Die Tänzerinnen und Tänzer der
Compagnie Les Cavatines scheinen in diesen Thron eingearbeitet zu sein, weil
ihre Köpfe als eine Art Bilder Teil des Thrones werden. Wenn die Muse nun im
folgenden "le puissant effort de l'Art" (die kraftvolle Energie der Kunst) in
kurzen Szenen zum Leben erweckt, treten die Tänzerinnen und Tänzer in
pittoresken Kostümen aus dem Thron heraus und bebildern die einzelnen
Szenen mit bewegendem Ausdruck. Zuerst entsteht eine pastorale Szene mit
Schäfern, die von einem bedrohlichen Sturm unterbrochen wird. Doch der Sturm
weicht dem friedlichen Zwitschern von Vögeln, bevor sich nach einer geruhsamen
Nacht die Unterwelt auftut und die Furien der Unterwelt in
einem "Prélude infernal" ans Tageslicht gelangen. Doch die Muse beruhigt den
Zuschauer im Anschluss, dass ja auf der Bühne alles nur Spiel sei. Chantal
Santon-Jeffery gestaltet die Muse mit variablem Sopran, der die
unterschiedlichen Szenen charakterlich genauso klar gestaltet wie das virtuos
aufspielende Orchester Les Talens Lyriques unter der Leitung von Christophe
Rousset.
Die Tanz-Compagnie Les Cavatines in Rebels Les
Caractères de la Danse
Nach diesem gut 20-minütigen Stück folgt Jean-Féry Rebels Les
Caractères de la Danse. Seine choreographischen Symphonien gelten als
Vorläufer des Handlungsballetts. Während dem Tanz in der Oper und dem
Sprechtheater nämlich bis dahin nur eine untergeordnete Funktion eingeräumt
worden war, konzentrierte sich Rebel allein auf diese choreographische Kunst. Am
deutlichsten wird dies in dem knapp 15-minütigen Stück Les Caractères de la
Danse, das einen kurzen Streifzug durch die Vielfalt des französischen
barocken Tanzes macht und die einzelnen Tänze nahtlos ineinander übergehen
lässt. Die sechs Tänzerinnen und Tänzer der Compagnie Les Cavatines setzt diesen
Reigen in langen roten Gewändern mit fließenden Bewegungen um. Dabei wird die
Entwicklung des französischen Tanzes verdeutlicht. Während der Beginn mit
"Courante" und "Menuet" im strukturellen Zwang des barocken Tanzes behaftet ist,
löst sich ab der "Sarabande" die Symmetrie der Figuren, und es entsteht Raum für
ein freieres Bewegungsvokabular. Auch in diesem kurzen Stück glänzt das
Orchester Les Talens Lyriques unter der Leitung von Christophe Rousset mit
großer Flexibilität in der sich ständig verändernden Rhythmik.
Pygmalion (Anders J. Dahlin) hat sich in seine
Statue (Samantha Louis-Jean) verliebt.
Nach der Pause geht es dann mit Rameaus Pygmalion weiter.
Neben der Titelfigur und der Statue treten hier noch der Liebesgott Amor als die
personifizierte Liebe und Céphise auf, bei der nicht ganz klar ist, ob sie
Pygmalions Geliebte oder Frau ist oder nur anhimmelt. Jedenfalls
leidet sie darunter, dass er ihr zu wenig Aufmerksamkeit schenkt. Doch Pygmalion
hat nur Augen für sein geschaffenes Werk. Die Statue sitzt zu Beginn mit dem
Rücken zum Publikum in einem mythologisch anmutenden langen weißen Gewand in
einem Pavillon, der mit seinen Säulen und Verzierungen ebenfalls an den Prunk
des Grand Siècle
erinnert. Der Pavillon steht in einem auf Leinwände gemalten Garten, der an
französische Parkanlagen dieser Zeit erinnert. Pygmalion scheint in seinem
Kostüm jedoch einer späteren Epoche zu entspringen und wirkt als "Street-Art"-Künstler
neben Céphise als "It-Girl" und dem Chor eher modern. Amor erinnert in seinem
Kostüm an die Entstehungszeit des Stückes. Nachdem die Statue zum
Leben erwacht ist und mit Pygmalion die Bühne verlassen hat, parodieren die
Tänzerinnen und Tänzer die ganze Episode in einem Divertissement, bevor die
Statue am Ende in einem modernen kurzen Kleid auftritt und sich Pygmalion erneut
in dieses Mädchen verliebt. Am Ende verleiht das komplette Ensemble in recht modernen
Bewegungen seiner Freude über die neue Liebe Ausdruck.
Ausgelassener Tanz im Schlussbild (in der Mitte
von links: Statue (Samantha Louis-Jean), Céphise (Chantal Santon-Jeffery),
dahinter Amor (Jodie Devos) und Pygmalion (Anders J. Dahlin), rechts und links:
Tanz-Compagnie Les Cavatines und Chor NovoCanto)
Anders J. Dahlin verfügt als Pygmalion über einen weichen
Haute-contres, der die Leidenschaft des jungen Mannes glaubhaft zum Ausdruck
bringt. Leider geht sein Gesang stellenweise in dem forsch aufspielenden Klang
des Orchesters unter. Hier hätte Rousset das Orchester ein wenig drosseln
sollen. Tänzerisch macht Dahlin am Ende eine gute Figur. Samantha Louis-Jean
kombiniert als zum Leben erwachende Statue zarten Gesang mit fließenden
Bewegungen im Tanz. So kann sie mit den Tänzerinnen und Tänzern der Compagnie
Les Cavatines durchaus mithalten. Chantal Santon-Jeffery legt die Partie der
Céphise als betont schrille Figur an, die sich eher für Mode und Kleidung
interessiert und somit Pygmalions Begeisterung für die antike Statue überhaupt
nicht nachvollziehen kann. Am Ende wirkt sie allerdings doch sehr geknickt
darüber, dass Pygmalion sich einer anderen Frau zugewandt hat. Vielleicht kann
sie sich mit Amor trösten, der von Jodie Devos mit leuchtendem Sopran
interpretiert wird. Die Tanz-Compagnie Les Cavatines setzt bei der Parodie der
Geschichte komische Akzente. So gibt es auch am Ende dieses Teils großen Applaus
für alle Beteiligten.
FAZIT
Natalie van Parys gelingt mit ihren Choreographien ein bewegender Streifzug
durch den französischen Tanz der
ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, so dass das Interesse geweckt wird, mehr aus dieser Epoche kennen
zu lernen.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Christophe RoussetRegie und Choreographie
Natalie van Parys Bühnenbild
Antoine Fontaine Kostüme
Alain Blanchot Licht
Hervé Gary
Choreinstudierung
Wolfgang Kostner
Orchester
Les Talens Lyriques
Tanz-Compagnie Les Cavatines Chor NovoCanto
Solisten
La Muse de l'Opéra / Céphise
Chantal Santon-Jeffery
Pygmalion
Anders J. Dahlin La Statue
Samantha Louis-Jean
L'Amour
Jodie Devos
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