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Reise nach NirgendwoVon Thomas Molke / Fotos: © Studio Amati Bacciardi (Rossini Opera Festival)
Die Inszenierung der Oper über eine illustre Reisegruppe, die im Kurhotel "Goldene Lilie" in Plombières abgestiegen ist, um von dort aus zu den Krönungsfeierlichkeiten Karls X. nach Reims zu reisen, dort aber nie ankommt, da aufgrund der großen Nachfrage kein Transportmittel zur Verfügung steht, deshalb im Hotel bleibt und dort ihr eigenes Fest veranstaltet, bleibt dabei in jedem Jahr gleich und wird nur mit neuen Interpreten umgesetzt. Emilio Sagi siedelt die Szene auf einem Schiff an, das, wie der blaue Hintergrund andeutet, nirgendwo ankommt. Während das Personal des Kurhotels in der weißen Kleidung mit den Namensschildern eher an Krankenpfleger erinnert und die Gäste einheitlich in weißen Bademänteln und Handtüchern auftreten, wechseln alle Figuren, wenn klar ist, dass die Reise nach Reims nicht stattfinden kann und folglich im Hotel gefeiert werden soll, die Kleidung und legen schwarze Abendgarderobe an, in der sie nach der Pause mit einer großen weißen Girlande über dem Schiff ihre eigene Party feiern. Dass am Ende der Aufführung zum feierlichen Schlussgesang Corinnas der König Karl X. als Kind mit Krone höchstpersönlich auftritt und mit drei Luftballons als Szepter Hände schüttelnd durch den Zuschauerraum schreitet, wird von der Gesellschaft kaum wahrgenommen, so dass sich der junge König schließlich an der Bühnenrampe niederlässt und, während die anderen mit Champagner feiern, sein Butterbrot verspeist und Cola trinkt. Die Contessa di Folleville (Sofia Mchedlishvili, vorne) beklagt den Verlust ihrer Garderobe (im Hintergrund von links: Maddalena (Martiniana Antonie), Don Luigino (Oscar Oré), Don Prudenzio (Elcin Huseynov), Antonio (Aleksandr Utkin), Modestina (Giorgia Paci) und Barone di Trombonok (Michael Borth)). Das junge Ensemble, dem bei der Gestaltung der Bühnenfiguren im Rahmen des Regiekonzeptes großer Freiraum gelassen wird, besteht auch in diesem Jahr wieder aus 17 Sängerinnen und Sängern, die auch die Chorpartien übernehmen. Martiniana Antonie startet als Maddalena darstellerisch mit überzeugender Hektik, wenn sie mit strengem Regiment das übrige Personal auffordert, das Schiffsdeck für die Gäste herzurichten und gestaltet die Einleitung "Presto, presto" mit dunkel gefärbtem Mezzosopran. Vom übrigen Personal lässt Aleksandr Utkin als Antonio mit vielversprechendem Tenor aufhorchen. Marigona Qerkezi verfügt als Madama Cortese über kräftige Höhen, die bisweilen ein bisschen scharf klingen, und eine sehr bewegliche Stimme in den Läufen. Immer wieder schön anzusehen ist, wie das Personal mit Seifenblasen zu "Di vagghi raggi adorno" mit Seifenblasen eine verträumt kitschige Atmosphäre schafft, während die Hausherrin dafür Sorge tragen will, dass an diesem wunderschönen Tag alles zur Zufriedenheit der Gäste abläuft. Sofia Mchedlishvili ist die Partie der Contessa di Folleville regelrecht auf den Leib geschrieben, wovon man sich bereits vor drei Jahren in Bad Wildbad überzeugen konnte (diese Aufführung mit ihr ist mittlerweile auch als CD erhältlich). Mit glasklaren Koloraturen, beweglicher Stimmführung und exaltiertem Spiel bringt bei ihrer großen Arie "Partir, oh ciel! desio", in der sie ihrer Verzweiflung über den Verlust ihrer wertvollen Kleider durch ein Kutschenunglück freien Lauf lässt, das Publikum zum Toben. Dabei gelingt es ihr auch noch, kokett mit dem Dirigenten zu flirten. Mit kräftigem Bariton und großem Spielwitz begeistert auch Michael Borth, der sich als Barone di Trombonok über Elcin Huseynovs mangelnde medizinische Kenntnisse als Don Prudenzio lustig macht. Huseynovs Bariton klingt in dieser Szene ein wenig angestrengt und muss noch reifen.
Glättung der emotionalen Wogen beim großen Sextett (in den Stühlen von links: Barone di Trombonok (Michael Borth), Don Profondo (Roberto Lorenzi), Don Alvaro (Gurgen Baveyan), Marchesa Melibea (Valeria Girardello) und Conte di Libenskof (Ruzil Gatin), dahinter von links: Maddalena (Martiniana Antonie), Noluvuyiso Mpofu und Giorgia Paci als Angestellte des Hotels, Antonio (Aleksandr Utkin) und Madama Cortese (Marigona Qerkezi)). Einen überzeugenden Auftritt haben im Anschluss auch Valeria Girardello als Marchesa Melibea und Ruzil Gatin als Conte di Libenskof. Girardello legt die Marchesa mit sattem Mezzo und verführerischem Spiel an und bringt Gatin mit ihrem ständigen Flirt mit Gurgen Baveyan als Don Alvaro zur Weißglut. Gatin lässt mit höhensicherem Tenor und großer Strahlkraft seiner Eifersucht freien Lauf, während Baveyan mit markantem Bariton und machohaftem Spiel dagegenhält und nachvollziehbar macht, wieso sich die Marchesa zu diesem spanischen Edelmann hingezogen fühlt. Da haben Borth und Roberto Lorenzi als Don Profondo schon allerhand zu tun, um die beiden Streithähne von einem Kampf abzuhalten. Das anschließende Sextett mit Madama Cortese, die ebenfalls bemüht ist, die Situation nicht eskalieren zu lassen, avanciert zu einem weiteren musikalischen Höhepunkt der Aufführung, der dann in die friedvolle Kavatine "Arpa gentil, che fida" der Corinna übergeht, die dieses Mal mit einiger Verzögerung aus der Loge im Publikum startet. Was der Grund dafür ist, lässt sich nicht erkennen. Francesca Tassinari steht nämlich als Corinna zum richtigen Zeitpunkt bereit. Zum Klang der Harfe begeistert sie mit weichem Sopran und glasklaren Höhen. Da wundert es nicht, dass Tassinari mit diesem Gesang den Frieden wieder einkehren lässt. Im Anschluss daran überzeugt Daniele Antonangeli als Lord Sidney, der in seiner Arie "Invan strappar dal core" seine unerfüllte Liebe zu Corinna zum Ausdruck bringt, mit kräftigem Bass. Flankiert wird er dabei von Giorgia Paci, Noluvuyiso Mpofu, Martiniana Antonie und Marigona Qerkezi, die mit roten ausgeschnittenen Papierherzen im Takt der Musik die Szene karikieren. Aufhorchen lässt auch Alasdair Kent als selbstverliebter Cavalier Belfiore, der zwar eigentlich mit der Contessa liiert ist, im Moment aber größeres Interesse an Corinna hat. Darstellerisch umgarnt Xabier Tassinari mit machohaftem Gehabe und punktet mit strahlendem Tenor, der in den Höhen enormen Glanz versprüht, so dass man durchaus nachvollziehen kann, dass sich Corinna eher zu dem heftig flirtenden Cavalier als zu dem stets in sich gekehrten, melancholischen Lord hingezogen fühlt. Das große Duett zwischen Tassinari und Kent entwickelt sich zu einem weiteren musikalischen Höhepunkt der Vorstellung. Auch Lorenzis Interpretation der Arie "Io! Medaglie incomparabili", in der er die Wertgegenstände für die Reise auflistet und dabei die einzelnen Gäste karikiert, markiert einen weiteren Glanzpunkt der Aufführung. Lorenzis Bass besitzt enorme Durchschlagskraft und ist dem hohen Tempo des Parlando-Tons wunderbar gewachsen. Auch darstellerisch gelingt es ihm, die einzelnen Gäste erkennbar zu parodieren. Zu Recht erntet Lorenzi für diese Interpretation frenetischen Applaus. Es folgt das große Finale zu 14 Stimmen, in dem das komplette Ensemble erneut mit wuchtigem Klang begeistert. Dass dabei auf den Koloraturen-Schlagabtausch zwischen Tassinari und Mchedlishvili verzichtet wird, ist schon beinahe schade. Mchedlishvili stellt sich zwar in Position für die Szene, kommt aber nicht zum Zuge. Stattdessen werfen sich die beiden Diven nur einen giftigen Blick zu. Barone di Trombonok (Michael Borth, auf dem Stuhl) lädt zum Ständchen beim Fest ein (von links: Don Prudenzio (hier: Daniele Antonangeli), Maddalena (hier: Valeria Girardello), Don Alvaro (Francesco Auriemma), Don Luigino (hier: Alasdair Kent), Madama Cortese (hier: Noluvuyiso Mpofu), Don Profondo (Roberto Lorenzi), Antonio (Aleksandr Utkin), Delia (hier: Francesca Tassinari), Cavalier Belfiore (hier: Oscar Oré), Contessa di Folleville (hier: Giorgia Paci), Conte di Libenskof (hier: Emanuel Faraldo), Marchesa Melibea (hier: Martiniana Antonie), Lord Sidney (hier: Elcin Huseynov), Delia (hier: Beatriz de Sousa), Zefirino (hier: Ruzil Gatin) und Modestina (hier: Marigona Qerkezi)). Nach der Pause punkten noch einmal Girardello und Gatin als Marchesa und Conte in ihrem großen Versöhnungs-Duett, in dem sie sich erneut ihre Liebe gestehen, auch wenn die Marchesa bei den anschließenden Feierlichkeiten erneut dem Charme des Spaniers zu erliegen droht und die Gäste mehrmals eine kämpferische Auseinandersetzung der beiden Rivalen verhindern müssen. Auch Mchedlishvili setzt als Contessa, die ständig auf ihren Cavalier acht geben muss, noch einmal darstellerische Akzente. Interessant ist für deutsche Ohren immer wieder, dass Rossini im Rahmen der traditionellen Melodien, die die einzelnen Gäste bei der Feier am Ende des Stückes auf ihre Heimat anstimmen, mit der Verwendung der Kaiserhymne, die Haydn Ende des 18. Jahrhunderts komponierte, bereits die Melodie der deutschen Nationalhymne vorweggenommen hat. Borth stattet als Trombonok auch diese kurze "Hymne" mit kräftigem Bariton aus. Für Komik sorgen auch Lorenzi und Qerkezi mit der "Tirolese", die von Don Profondo und Madama Cortese angestimmt wird. Tassinari bewegt dann noch einmal mit ihrer Hymne auf Karl X., König von Frankreich, mit glockenklarem Sopran. Abgerundet wird die Veranstaltung durch das akkurat aufspielende Orchester Filarmonica Gioachino Rossini unter der Leitung von Michele Spotti, der die Musiker mit sicherer Hand durch die vielschichtige Partitur führt, so dass es am Ende großen Beifall für alle Beteiligten gibt.
FAZIT Bei einer so herausragenden Besetzung kann sich diese Veranstaltung musikalisch durchaus mit den "großen" Produktionen des Festivals messen, und auch wenn die Inszenierung jedes Jahr gleich ist, machen die ständig wechselnden Nachwuchskünstler diese Veranstaltung immer wieder sehens- und vor allem hörenswert.
Weitere Rezensionen zu dem
Rossini Opera Festival 2017 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungMichele Spotti Regie und Bühne Szenische Leitung Kostüme
Solisten*rezensierte Aufführung Corinna
Marchesa Melibea
Contessa di Folleville
Madama Cortese
Cavalier Belfiore
Conte di Libenskof
Lord Sidney Don Profondo Barone di Trombonok Don Alvaro Don Prudenzio
Don Luigino
Delia Maddalena
Modestina Marigona Qerkezi
Zefirino / Gelsomino Ruzil Gatin
Antonio
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