Konversationsstück im Leben der Schönen und Reichen
Von Thomas Molke
/ Fotos: © Studio Amati Bacciardi (Rossini Opera Festival)
Rossinis Melodramma giocoso La pietra del paragone kann als Meilenstein
in der noch jungen Karriere des Schwans von Pesaro betrachtet werden. Mit diesem
Werk gab er 1812 im Alter von gerade mal 20 Jahren sein umjubeltes Debüt an der
Mailänder Scala und reduzierte Pavesis ebenfalls für diese Spielzeit angesetzte
komische Oper Ser Marcantonio auf ganze sechs Aufführungen, während La
pietra del paragone allein in der ersten Saison 53 Mal gespielt wurde und
auch in den Folgejahren große Erfolge in ganz Europa feiern konnte. Der
Rossini-Biograph Stendhal geht sogar so weit, diese Oper als Rossinis
Meisterwerk im komischen Genre zu bezeichnen. Dass das Werk auch im Rahmen der
Rossini-Renaissance nur sehr selten auf den Spielplan steht, mag mehrere Gründe
haben. Zum einen ist das Stück schwer zu besetzen, da Rossini es zwei
außergewöhnlichen Sängern seiner Zeit, Maria Marcolini und Filippo Galli, in die
Kehle geschrieben hat, die beide über einen außergewöhnlichen Stimmumfang
verfügten. Marcolini war als Contralto in der Lage, stimmlich auch in den
Bereich eines Soprans vorzudringen, und Galli
verband die dunkle Tiefe eines Basses mit beweglichen Höhen eines Baritons. Zum
anderen passiert in der Oper nicht wirklich etwas Bedeutendes, was einen
Regisseur bei einer reinen Spieldauer von fast drei Stunden vor große Probleme
stellen dürfte. Pier Luigi Pizzi hat sich 2002 in Pesaro dieser Aufgabe dennoch
mit großem Erfolg gestellt, so dass die Produktion nun 15 Jahre später wieder
aufgenommen wird.
Wer wird das Rennen um die Gunst des Conte
machen? (von links: Clarice (Aya Wakizono), Fulvia (Marina Monzó) und Aspasia
(Aurora Faggioli), auf der rechten Seite von links: Pacuvio (Paolo Bordogna) und
Macrobio (Davide Luciano))
Die Oper spielt in der Villa des Conte Asdrubale. Hier haben sich drei Witwen
eingefunden, die alle an einer Verbindung mit dem Conte interessiert sind.
Während es die Baronessa Aspasia und Donna Fulvia aber augenscheinlich nur auf
Asdrubales Vermögen abgesehen haben, hegt die Marchesa Clarice echte Gefühle für
den Conte. Zu allem Überfluss hat jede der Damen aber noch einen weiteren
Verehrer. Der Cavalier Giocondo ist ein guter Freund des Conte und unsterblich
in Clarice verliebt. Der Dichter Pacuvio möchte einerseits seine poetischen
Ergüsse an den Mann bzw. an die Frau bringen und umgarnt Donna Fulvia. Macrobio
ist ein schmieriger Journalist, der versucht, die Baronessa zu beeindrucken.
Asdrubale will die Zuneigung der drei Frauen prüfen, und verkleidet sich als
türkischer Händler, der einen Wechsel präsentiert, wonach der Conte ihm sechs
Millionen schulde. Wenn der Wechsel nicht eingelöst werden könne, verliere
Asdrubale seinen ganzen Besitz. Asdrubale bittet seine "Freunde" um Hilfe, doch
nur Giocondo und Clarice stehen ihm bei. Giocondo bietet ihm an, ihn bei sich
aufzunehmen, und Clarice will ihn auch ohne Vermögen heiraten. Dennoch kann sich
Asdrubale noch nicht durchringen, Clarice zur Frau zu nehmen. Also plant Clarice
eine weitere List. Nun tritt sie als ihr verschollener Zwillingsbruder Lucindo
auf und verkündet, dass Clarice das Land verlassen müsse, weil sie nicht dem
Willen des Bruders Folge leisten und Giocondo heiraten wolle. Daraufhin will
Asdrubale sich verzweifelt das Leben nehmen. Von Asdrubales Gefühlen
überwältigt, gibt sich Clarice zu erkennen, und einer Hochzeit der beiden steht
nichts mehr im Weg.
Missverständnis: Betrügt Clarice (Aya Wakizono,
unten rechts), Asdrubale (Gianluca Margheri, unten links) mit Giocondo (Maxim
Mironov, unten rechts)? Aspasia (Aurora Faggioli, oben) und Macrobio (Davide
Luciano, oben) schauen amüsiert zu.
Pier Luigi Pizzi lässt die Oper in einer mondänen zweistöckigen
Villa spielen, die von hohen Bäumen und Büschen flankiert wird. Eine
umfangreiche Putzkolonne sorgt ständig dafür, dass hier alles glänzt. Vor dem
Haus befindet sich ein riesiger Swimming-Pool, in dem die Sänger auch das eine
oder andere Bad nehmen. Eine Wendeltreppe führt in die obere Etage, in der
Clarice, Donna Fulvia und Asdrubale jeweils ein luxuriöses Zimmer bezogen haben.
Fitness-Geräte, Sonnenschirme, Terrassen und eine opulente Ausstattung sorgen
dafür, dass man den Eindruck bekommt, dass sich hier die Reichen und Schönen mit
absoluten Belanglosigkeiten die Zeit vertreiben. Hier geht es nur um den äußeren
Schein. So treten die drei Damen ständig in neuen Kostümen auf, die stets dem
letzten modischen Schrei Rechnung zu tragen scheinen. Was die Herren anbelangt,
ist Körper-Kult angesagt. So geizt Gianluca Margheri als Conte Asdrubale
keineswegs mit Blicken auf seinen gut durchtrainierten Körper, was das Herz
mancher Dame im Publikum höher schlagen lassen dürfte.
Pacuvio (Paolo Bordogna) präsentiert Fulvia
(Marino Monzó) sein neuestes Gedicht.
Aber Pizzi gelingt es nicht nur, die nicht vorhandene Handlung
wunderbar zu bebildern, sondern findet auch für die szenische Umsetzung der
Musik einen überzeugenden Zugang. Unterstützt wird er dabei von einem
darstellerisch hervorragenden Sänger-Ensemble, das kurzweilig durch die über
drei Stunden trägt. Da ist zunächst einmal der großartige Paolo Bordogna zu
nennen, der als Dichter Pacuvio schräge und komische Akzente setzt. Schon in der
Introduzione begeistert er mit überbordendem Spielwitz, wenn er gegen den Willen
der Angestellten seine Gedichte zum Besten geben will und dafür mit seinem
weiten Gewand, in dem er an eine Karikatur eines antiken Poeten erinnert, im Pool
landet. Großartig gelingt ihm anschließend seine Arie "Ombretta sdegnosa" mit
dem herrlichen Wortspiel "Misipipì", an deren Ende er mit Donna Fulvia Baden
geht. Auch im zweiten Akt begeistert er als Angsthase, der für die Jagd völlig
ungeeignet ist, und darüber verzweifelt, dass Fulvia sein Geheimnis über das
vermeintliche Duell mit Giocondo zunächst an die Baronessa weitergegeben hat,
die es dann wiederum dem Journalisten Macrobio erzählt hat, so dass er nun davon
ausgehen kann, dass am nächsten Tag die ganze Stadt wissen wird, dass er das
Duell nur erfunden hat. Marina Monzó begeistert als Fulvia mit leuchtendem
Sopran und versucht Pacuvio im zweiten Akt in ihrer Arie "Pubblico fu
l'oltraggio" mit beweglichen Koloraturen davon zu überzeugen, diese Offenbarung
nicht so schwer zu nehmen.
Glückliches Ende: von links: Fabrizio (William
Corrò), Pacuvio (Paolo Bordogna), Fulvia (Marina Monzó), Clarice (Aya Wakizono),
Asdrubale (Gianluca Margheri), Aspasia (Aurora Faggioli), Macrobio (Davide
Luciano) und Giocondo (Maxim Mironov) mit dem Chor im Hintergrund
Aurora Faggioli punktet als Baronessa Aspasia mit sattem
Mezzosopran und großartiger Mimik. Gemeinsam mit Monzó würde sie darstellerisch
und stimmlich ein ideales Stiefschwesternpaar in La Cenerentola abgeben.
Davide Luciano gestaltet den Macrobio mit dunklem Bass und großem Spielwitz.
Einen musikalischen Höhepunkt stellt sein Duett mit Maxim Mironov als Giocondo
zu Beginn des ersten Aktes dar, in dem die beiden Männer bei einem Tennis-Match
darüber diskutieren, welche der Damen es denn wohl schaffen werde, Asdrubales
Herz zu erobern. Auch seine Auseinandersetzungen mit Bordogna, in denen sie über
die wahre Literatur streiten, haben musikalisch und szenisch großen
Unterhaltungswert. Besondere Komik entfaltet er auch im Terzett mit Mironov und
Gianluca Margheri als Conte Asdrubale, in dem ihn beide zum Duell herausfordern
und darüber streiten, wer sich zuerst mit dem Journalisten duellieren darf. Wie
scheinheilig er da fordert, gegen den Sieger der beiden zu kämpfen und dann aber
sehr schnell kalte Füße bekommt, wird von Luciano mit großem Spielwitz umgesetzt.
Mironov legt den liebenden Cavalier Giocondo mit höhensicherem
Tenor sehr schmachtend an. Man wundert sich, wieso sich Clarice bei
Asdrubales Unentschlossenheit eigentlich nicht für den Cavalier entscheidet. Einen
musikalischen Glanzpunkt setzt Mironov in seiner Bravour-Arie "Quell' alme
pupille" im zweiten Akt, in der er Giocondos unerfüllte Liebe zu Clarice beklagt
und dabei die Spitzentöne nicht nur sauber aussingt, sondern auch noch extrem
lange mit tenoralem Glanz zu halten vermag. Damit reißt er das Publikum in der
Adriatic Arena regelrecht von den Sitzen. Margheri meistert die Partie des
Asdrubale mit beweglichem Bassbariton. Hervorzuheben sind seine Kavatine im
ersten Akt "Se di certo io non sapessi", in der er mit seinen Gefühlen für
Clarice hadert, und seine große Arie am Ende, in der er endlich seine Liebe zu Clarice offen bekennt. Als verkleideter türkischer Händler entfacht er ebenfalls
große Komik. Aya Wakizono stattet die Partie der Clarice mit einer warmen
Mittellage und sauberen Höhen aus. Einen weiteren musikalischen Höhepunkt stellt
ihre Arie "Se per voi le care io torno" dar, in der sie als verkleideter
Zwillingsbruder Lucindo auftritt und die Rossini aus seiner zuvor komponierten
Oper L'equivoco stravagante übernommen hat. In den Duetten mit Margheri
findet sie zu einer bewegenden Innigkeit.
Die Liste der musikalischen Glanznummern ließe sich noch beliebig
fortsetzen, so dass es - ähnlich wie bei Rossinis letzter Oper in italienischer
Sprache, Il viaggio a Reims - eigentlich gar nicht stört, dass es
eigentlich keine richtige Handlung gibt und, so es eine gibt, sie durch lange
Konversationen auf der Stelle tritt. Der von Giovanni Farina einstudierte
Herrenchor des Teatro Ventidio Basso und das unter Daniele Rustioni frisch
aufspielende Orchestra Sinfonica Nazionale della Rai runden den Abend
musikalisch hervorragend ab, so dass es für alle Beteiligten lang anhaltenden
Applaus gibt.
FAZIT
Eine Oper kann auch Spaß machen, wenn sie keine richtige Handlung hat,
vorausgesetzt, die Musik ist gut und der Regisseur findet einen passenden
Zugang. Beides ist bei dieser Produktion im vollem Umfang erfüllt.
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