Liebesdrama im Märchenwald
Von Thomas Molke
/ Fotos: © Studio Amati Bacciardi (Rossini Opera Festival)
Rossinis Dramma semiserio Torvaldo e Dorliska war die erste Oper, die der
Schwan von Pesaro für Rom komponierte, und stellte die erste Zusammenarbeit mit
dem Librettisten Cesare Sterbini dar, der kurz darauf das Libretto zu der
komischen Oper Il barbiere di Siviglia verfasste, die bei der
Uraufführung noch aufgrund des prominenten Sängers des Almaviva, Manuel García,
den Titel Almaviva o sia L'inutile precauzione trug. Obwohl Torvaldo e
Dorliska bei der Uraufführung nur ein mäßiger Erfolg beschieden war, folgten
bis 1838 zahlreiche weitere Aufführungen in Italien, wobei die Oper dabei häufig
in einer auf einen Akt gekürzten Fassung und dann zusammen mit Rossinis Farsa
L'inganno felice gespielt wurde. Im Rahmen der Rossini-Renaissance ist dem
Werk seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts relativ wenig Aufmerksamkeit
geschenkt worden. Bei Rossini in Wildbad stand das Werk 2003 erstmals
wieder auf dem Programm, und das Rossini Opera Festival in Pesaro widmete
sich sogar erst 2006 diesem Stück, das der Rossini-Biograph Stendhal als
"ziemlich mittelmäßige Opera semiseria" bezeichnete. Nun steht die damalige
Inszenierung von Mario Martone erneut im Teatro Rossini auf dem Spielplan.
Der Herzog Ordow (Nicola Alaimo) will Dorliskas
(Salome Jicia) Liebe erzwingen.
Die Handlung beruht auf dem Roman Vie et amours du chevalier de
Faublas von Jean-Baptiste de Coudray, der bereits als Vorlage für die beiden
Lodoïska-Opern von Luigi Cherubini und Johann Simon Mayr diente, und
spielt auf dem Schloss des Herzogs Ordow in Polen in einer nicht näher
festgelegten Vergangenheit. Der tyrannische Herzog hat sich in die schöne Dorliska verliebt, die jedoch gerade mit Torvaldo vermählt ist. Noch an ihrem
Hochzeitstag hat der Herzog mit seinen Truppen die Hochzeitsgesellschaft
überfallen, um Dorliska zu entführen. Dabei konnte Dorliska fliehen, während Torvaldo für tot gehalten wurde. Zu Beginn der Oper durchforstet der Herzog mit
seinen Soldaten auf der Suche nach Dorliska den Wald. Diese landet Hilfe suchend
vor dem Tor des Schlosses und findet in dem Schlossverwalter Giorgio und seiner
Schwester Carlotta, denen die Grausamkeit des Herzogs schon lange missfällt,
zwei Vertraute, die ihr Hilfe zusichern. Allerdings werden sie vom
zurückkehrenden Herzog überrascht, der Dorliska einsperren lässt. Torvaldo, der
Unterschlupf bei einem Hirten gefunden hatte, gelangt ebenfalls zum Schloss und
plant, gemeinsam mit Giorgio, Dorliska zu befreien. Doch der Versuch schlägt
fehl und Torvaldo landet im Kerker des Schlosses. Mittlerweile organisiert
Giorgio mit den Bauern des Dorfes den Aufstand gegen den tyrannischen Herzog.
Carlotta führt unterdessen Dorliska heimlich in Torvaldos Kerker. Als das
doppelte Spiel des Schlossverwalters und seiner Schwester auffliegt, droht der
Herzog, alle zu töten, doch die rechtzeitige Ankunft der Aufständischen kann die
drohende Katastrophe vermeiden. Der Herzog wird abgeführt, und Torvaldo und
Dorliska preisen ihr wiedergewonnenes Glück.
Glückliches Ende vor traumhafter Kulisse: vorne:
Torvaldo (Dmitry Korchak) und Dorliska (Salome Jicia), dahinter in der Mitte:
Carlotta (Raffaella Lupinaci) und Giorgio (Carlo Lepore) mit dem Chor und der
Statisterie
Das Regie-Team um Mario Martone verzichtet auf eine Aktualisierung
des Stückes und wählt einen sehr traditionellen Ansatz mit einem märchenhaften
Bühnenbild und aufwändig gestalteten Kostümen. Sergio Tramonti hat einen
dunklen, Wald auf die Bühne gestellt, der mit seinen hochgewachsenen und weit
verwurzelten Bäumen direkt aus Grimms Märchen stammen könnte. Davor führt ein
Tor in das Schloss des Herzogs. Der Zuschauersaal wird ebenfalls mitbespielt. So
zündet Carlotta zu Beginn der Oper im Saal mehrere Fackeln an, und Giorgio führt
im zweiten Akt die aufständischen Bauern mit ihren Hacken ebenfalls durch das
Publikum auf die Bühne. Aus der ersten Loge auf der rechten und linken Seite
kann jeweils eine Treppe auf den Steg vor dem Orchestergraben herabgelassen
werden, die in das Verlies führt, in das Torvaldo gebracht wird. Die Zuschauer
dieser Logen sind kurzerhand auf der rechten und linken Seite der Bühne
platziert. Das Verlies kann hochgefahren werden und stellt einen riesigen Käfig
dar. Dienstbare Geister verwandeln die Bühne mit zwei Tischen und einigen
Requisiten schnell in einen Saal des Schlosses, in dem der Herzog vergeblich
versucht, Dorliskas Herz zu gewinnen.
Giorgio (Carlo Lepore, rechts) leidet unter dem
tyrannischen Verhalten des Herzogs Ordow (Nicola Alaimo, links).
In diesem schönen Ambiente macht den Sängern das Spiel sichtlich
Spaß. Carlo Lepore sorgt als cleverer Schlossverwalter Giorgio mit großem
Spielwitz für die komischen Momente in der ansonsten doch eher ernsten
Geschichte. Bereits in der Introduzione begeistert er mit absolut
textverständlichem, dunklem Bass, wenn er in beweglichem Parlando-Ton die Launen
seines Herrn beschreibt und mit seiner Imitation den Bediensteten ebenfalls
Angst einjagt. In seinem Spiel lässt sich Lepore auch von dem geschienten linken
Arm nicht beeinträchtigen. Dem Herzog, der von Nicola Alaimo mit profunden
Tiefen absolut autoritär präsentiert wird, tritt er dabei auf Augenhöhe
entgegen. Großartig werfen sich die beiden im Terzett mit Dmitry Korchak als
Torvaldo in halsbrecherischem Parlando-Ton die Bälle zu, während der Herzog
durch den vermeintlichen Tod des Rivalen hofft, Dorliskas Herz mit Hilfe des
Boten zu gewinnen und Giorgio hingegen plant, den Herzog zu überlisten und die
beiden Liebenden wieder zusammenzuführen. Auch im Duett im zweiten Akt, wenn der
Herzog von Giorgio den Schlüssel einfordert, den dieser allerdings an seine
Schwester Carlotta gegeben hat, glänzen Alaimo und Lepore stimmlich und
darstellerisch.
Liebe auch im Kerker: Torvaldo (Dmitry Korchak)
und Dorliska (Salome Jicia)
Das Liebespaar ist mit Salome Jicia als Dorliska und Dmitry
Korchak als Torvaldo ebenfalls hochkarätig besetzt. Jicia begeistert bei ihrer
Auftrittskavatine "Tutto è vano; niun m'ascolta", wenn sie völlig verzweifelt am
Schloss ankommt, durch dramatische Höhen und großartige Koloraturen. Auch bei
ihren kämpferischen Auseinandersetzungen in den beiden Duetten mit Alaimo
präsentiert sich Jicia mit großer Beweglichkeit in den Läufen und weist die
Avancen des Herzogs mit stupenden Spitzentönen von sich. Korchak punktet als
Torvaldo mit großer Strahlkraft in den Höhen und lässt die leidenschaftliche und
bedingungslose Liebe des jungen Mannes zu seiner Dorliska spürbar werden. Ein
Glanzpunkt stellt seine Auftrittskavatine "Fra un istante a te vicino" dar, in
der er hofft, seine Frau in dem Schloss wiederzufinden. Mit großer Intensität
trägt er auch seine große Arie im zweiten Akt, "Dille, che solo a lei", vor, in
der er Giorgio im Kerker mitteilt, was dieser der geliebten Dorliska von ihm
alles ausrichten soll. Auch hier begeistert Korchak mit sauber ausgesungenen
Höhen. Im Duett mit Jicia findet er zu einer betörenden Innigkeit.
In den kleineren Partien überzeugen Raffaella Lupinacci als
Carlotta und Filippo Fontana als Ormondo. Lupinacci punktet mit warmem
Mezzosopran. So verwundert es nicht, dass sie in ihrer Arie "Una voce
lusinghiera" Giorgio gegen dessen Überzeugung dazu bringen kann, ihr den
Schlüssel für den Kerker zu geben, um Dorliska zu ihrem geliebten Torvaldo zu
bringen, was letztendlich fast zur Katastrophe führt. Fontana darf neben seinen
tenoralen Fähigkeiten auch noch seine Kletterkünste unter Beweis stellen, da er
während seiner Arie im ersten Akt, in der auch er seine Bedenken über das
Verhalten des Herzogs äußert, auf einen Baum im Bühnenbild klettert und sich
dann mit großem Vertrauen auf die Herren des Chores in deren Arme hinabfallen
lässt. Sein im Libretto vorgesehener Wandel zum Guten wird ihm in der
Inszenierung allerdings verwehrt. Während Ormondo eigentlich am Schluss vom
Herzog den Schlüssel bringt, um Torvaldo aus dem Kerker zu befreien, ist diese
Szene in der Inszenierung gestrichen. Stattdessen fällt er mit den anderen
Soldaten im Kampf gegen die aufständischen Bauern.
Die Herren des
Chors des Teatro della Fortuna M. Agostini unter der Leitung von
Mirca Rosciani schlüpfen stimmgewaltig und mit großem spielerischen Einsatz in
die Rollen der Soldaten und Bauern. Francesco Lanzillotta rundet mit dem
Orchestra Sinfonica G. Rossini den Abend musikalisch wunderbar ab, so dass es
für alle Beteiligten lang anhaltenden Applaus gibt.
FAZIT
Diese Oper mag zwar dramaturgisch nicht zu den Meisterwerken Rossinis zählen. In
dieser Inszenierung und mit diesem Ensemble verdient sie aber trotzdem das
Prädikat "absolut sehenswert".
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