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Zerfall einer Familievon Thomas Molke / Fotos: © Ben van Duin (Ruhrtriennale)
Auch im letzten Jahr seiner künstlerischen Leitung der Ruhrtriennale bleibt Johan Simons im Bereich der Oper seiner Vorliebe für durchkomponierte Werke treu. Nach der Eröffnung mit Richard Wagners Das Rheingold vor zwei Jahren und Glucks italienischer Fassung der Alceste im vergangenen Jahr, in der zwar die vorgegebene Unterteilung in Rezitative und Arien noch erkennbar, jedoch bereits in der Auflösung begriffen ist, fällt nun die Wahl auf die erste große Oper der Neuzeit, die eines der frühen Beispiele der im 20. Jahrhundert bestimmenden "Literaturoper" darstellt: Debussys Pelléas et Mélisande. Debussy ließ sich zu seiner einzig vollendeten Oper von Maurice Maeterlincks 1892 uraufgeführtem gleichnamigen Drama inspirieren, das er im Mai 1893 im Théâtre des Bouffes-Parisiens erlebte, und schuf ein Werk, das mit seiner symbolistischen Musik sowohl die in Frankreich noch populäre Grand opéra negierte, als auch ein Gegengewicht zum Verismo bildete. Dabei entwickelte er zum einen Wagners Leitmotivtechnik weiter - so sind die Einflüsse von Parsifal und Tristan und Isolde in der Gestaltung der musikalischen Bilder unverkennbar - und ließ andererseits Modest Mussorgskijs minuziöse Sprachbehandlung in Boris Godunow auf sich wirken, um eine musikalische Sprache zu finden, in der so viel geheimnisvoll, unausgesprochen und nur angedeutet bleibt. Dabei versucht die Musik, die Bedeutung zu finden, die zwischen und hinter dem gesungenen Text liegt. Mélisande (Barbara Hannigan) bleibt ein Fremdkörper im Schloss (im Hintergrund: von links: Yniold (Gabriel Böer), Golaud (Leigh Melrose) und der Arzt (Caio Monteiro) mit den Bochumer Symphonikern und Sylvain Cambreling). Die Geschichte spielt in einer mythologischen Zeit in dem Königreich Allemonde, was weniger eine Anspielung auf Deutschland ist, sondern vielmehr ein Wortspiel aus dem deutschen Wort "alle" und dem französischen Wort "monde" darstellt und damit überall angesiedelt werden kann. Bedeutend ist nur, dass dieses Reich von einem dunklen, unheimlichen Wald umgeben ist und die Außenwelt eine Bedrohung darstellt. Golaud, der Enkel des Königs versucht nach dem Tod seiner Frau, aus diesem Reich zu fliehen, kommt aber nicht weit und trifft im Wald auf Mélisande, die sich ebenfalls auf der Flucht befindet. So überredet er sie, ihn zu heiraten und mit ihm auf das Schloss zu kommen. Dort trifft sie auf seinen Halbbruder Pelléas, der ebenfalls aus dieser Welt ausbrechen möchte, aus Pflichtgefühl seinem sterbenskranken Vater gegenüber allerdings im Schloss bleibt. Mélisande und Pelléas fühlen sich zueinander hingezogen und erkennen, dass sie füreinander bestimmt sind. Golaud sieht zwar einerseits über die Vertraulichkeiten der beiden hinweg und betrachtet sie als Kindereien, andererseits nähren sie in ihm ein stetig wachsendes Misstrauen, da er über seine Frau außer ihrem Namen eigentlich gar nichts weiß. So wird das Verhältnis immer angespannter. Golaud lässt die beiden überwachen. Als Pelléas' Vater auf dem Weg der Besserung ist, beschließt Pelléas, nun endlich das Schloss zu verlassen. Bei einem letzten Treffen mit Mélisande gestehen die beiden einander ihre Liebe. Golaud hat das Gespräch belauscht, tötet seinen Halbbruder und verletzt Mélisande, die kurz nach der Geburt ihrer gemeinsamen Tochter ebenfalls stirbt. Arkel (Franz-Josef Selig) sucht die Nähe zu Mélisande (Barbara Hannigan) (im Hintergrund: von links: Golaud (Leigh Melrose), Pelléas (Phillip Addis), Geneviève (Sara Mingardo) und der Arzt (Caio Monteiro) mit den Bochumer Symphonikern und Sylvain Cambreling). Das Regie-Team um Krzysztof Warlikowski verlegt die Handlung aus einer mythologischen Zeit in die Entstehungszeit der Oper und nutzt dabei die natürlichen Gegebenheiten der Jahrhunderthalle in Bochum. Ma łgorzata Szczęśniak teilt die Bühne in zwei gegensätzliche Welten, wobei sich auf der rechten Seite das Schloss mit einem riesigen Musiksaal und einem Esszimmer befindet. Hier ist alles in braunem Holz vornehm getäfelt, und riesige Türen führen auf der rechten Seite aus den Räumen, die hintereinander angelegt sind. Die Bochumer Symphoniker sind als Teil des Bühnenbildes in das Musikzimmer im Hintergrund integriert und werden von einer riesigen schwungvoll geformten Treppe umgeben. Die Familie nimmt dann auch in zahlreichen Szenen wie bei einem Konzert mit dem Rücken zum Publikum vor dem Orchester Platz, beklatscht den auftretenden Dirigenten und lauscht andächtig den Klängen der Musik. Dienstbare Geister platzieren je nach Szene den großen Holztisch im Vordergrund mal als Esstisch für das gemeinsame Mal, dann am Ende als Sterbebett für Mélisande. Auf der linken Seite wird die Außenwelt durch eine Bar und eine Reihe von Waschbecken dargestellt. Die Bedrohung geht dabei wohl von einem Flachbildschirm aus, der über der Theke angebracht ist und auf dem an mehreren Stellen bedrohliche Bilder aus Hitchcocks Grusel-Klassiker Die Vögel flimmern. Sehr unappetitlich sind die Aufnahmen, in denen zahlreiche Schafe zur Schlachtbank geführt werden, wobei diese Szene im Gegensatz zu Hitchcocks Vögeln einen direkten Bezug zum Stück hat. In der dritten Szene im vierten Akt bemerkt Golauds Sohn Yniold nämlich, dass die Schafe bei ihrer Rückkehr von der Weide in eine andere Richtung als in den Stall getrieben werden, und er ahnt, dass dieser Weg ins Schlachthaus führt.Golaud (Leich Melrose) beschuldigt seine Ehefrau Mélisande (Barbara Hannigan) des Ehebruchs mit seinem Halbbruder Pelléas (Phillip Addis) (rechts: Arkel (Franz-Josef Selig)). Als völlig überflüssig erweist sich der von Warlikowski der Inszenierung vorangestellte Prolog, der sich an Christoffer Boes Film Reconstruction orientiert und die zyklische Anlage der Geschichte unterstreichen soll. Golaud, der mit seinem Vollbart ein bisschen an den jungen Sigmund Freud erinnert, erzählt, dass die Geschichte zwischen Mann und Frau immer auf dieselbe Weise ende. Ein Mann treffe eine Frau, zum Beispiel in einer Bar, und man frage sich bei dem sich entspinnenden Gespräch, ob die beiden einander bereits kennen würden. Dabei sei nicht klar, ob es sich um den Anfang oder das Ende handele. Mélisande sitzt in dieser Szene bereits am Tresen in der Bar. Verletzt wirkt sie allerdings nicht, sondern eher stark alkoholisiert oder auf Droge. Weitere Erkenntnisse bringt die Szene für die Geschichte nicht und dehnt den Abend durch eine weitere Länge unnötig aus. Auch Warlikowskis Vorstellung von Mélisande ist sehr speziell. Zwar bleibt sie auch im Libretto ein absoluter Fremdkörper in der dunklen Welt des Schlosses, aber ob man sie deshalb derart lasziv anlegen muss, ist sicherlich diskutabel. Bei diesem Verhalten wird Golauds Misstrauen durchaus berechtigt. Ein absolutes Ärgernis ist das ständige Rauchen auf der Bühne, was nicht nur die Gesundheit sondern auch die Stimmen der Sängerinnen und Sänger gefährdet. Vor allem Barbara Hannigan wird hier als Mélisande unzumutbar viel abverlangt, und sogar der Solist des Knabenchores der Chorakademie Dortmund muss sich eine Zigarette anstecken. Das geht bei aller künstlerischen Freiheit dann doch zu weit. Pelléas (Phillip Addis) und Mélisande (Barbara Hannigan) gestehen einander ihre Liebe. Die Szenen werden in Warlikowskis Personenregie genauso abstrakt und verschwommen angelegt, wie sie musikalisch von Debussy gestaltet sind. So gibt das Spiel der Solisten keine klaren Antworten auf die Frage, was denn nun eigentlich wirklich zwischen Pelléas und Mélisande passiert ist. Wenn Golaud mit Pelléas im dritten Akt in die dunklen Gewölbe unterhalb des Schlosses hinabsteigt und ihm unter Androhung des Todes deutlich macht, sich von Mélisande fernzuhalten, steigt er in der Inszenierung die Stufen hinter dem Orchester empor und vertauscht damit oben und unten. Die letzte Szene im vierten Akt, in der sich Pelléas und Melisande einander ihre Liebe gestehen, wird in der Personenführung absolut emotionslos umgesetzt. Die beiden sitzen am Tresen der Bar - natürlich rauchend -, und Mélisande wirkt in dieser Szene absolut abwesend und vielmehr auf den Inhalt ihrer Tasche konzentriert. Auch die in der Musik anwachsende Leidenschaft und Dramatik wird in der Personenführung nicht ausgespielt. Warlikowski gönnt den Liebenden an dieser Stelle keinen Moment der Nähe. Erst im Tod lässt er die beiden zueinander finden. Der tote Pelléas wird im fünften Akt Kopf an Kopf mit der sterbenden Mélisande auf dem großen Tisch aufgebahrt, und mittels Kamera werden die beiden auf eine große Leinwand im Hintergrund der Bühne projiziert. Warlikowski geht davon aus, dass Mélisande eine Totgeburt hatte. So lässt er das Kind am Ende ihren Armen entgleiten und auf den Boden fallen. Um die intimen Momente in dem großen Raum der Jahrhunderthalle einzufangen, werden die Sänger mit Mikroports verstärkt. So können die Solisten auch mit dem Rücken zum Publikum singen und sind selbst dann überall zu hören, wenn sie einzelne Phrasen lediglich hauchen. Barbara Hannigan begeistert als Mélisande mit intensivem Spiel, auch wenn man der Personenregie nicht immer folgen mag, und großartig variabler Stimmführung. So legt sie die rätselhafte Frau mit zartem Sopran sehr zerbrechlich an und entwickelt in anderen Momenten mit dramatischer Kraft eine sich aufbäumende Lebenslust, die von den Umständen jedoch sofort wieder im Keim erstickt wird. Phillip Addis stattet den Pelléas mit höhensicherem Bariton aus und überzeugt darstellerisch als ewig Suchender. Leigh Melrose gelingt es hervorragend, die beiden Seiten des Golaud darstellerisch zum Ausdruck zu bringen. Mit dunkel gefärbtem Bariton changiert er zwischen zärtlich liebendem und aggressivem Gatten, der in seiner Unbeherrschtheit auch schon einmal die Hand gegen seine Frau erhebt. Eine besondere Bedeutung kommt auch der Wunde auf seiner Stirn zu, die er sich mehrmals in der Inszenierung zufügt. Nach dem Monolog verletzt er sich selbst mit einem Glas. Franz-Josef Selig stattet den Großvater Arkel mit profundem Bass aus, der dem alten Mann eine enorme Autorität verleiht. Ein musikalischer Höhepunkt ist seine große Szene mit Hannigan im vierten Akt, in der er nach der Genesung von Pelléas' Vater ihre Nähe sucht, um Hoffnung für den Fortbestand seiner Familie zu schöpfen. Sara Mingardo stattet Pelléas' Mutter Geneviève mit warmem Alt aus und fügt sich mit bewegend dargestellter Resignation in das Schicksal der Frauen in dieser patriarchalischen Gesellschaft. Gabriel Böer begeistert als Yniold mit heller Stimme. Sylvain Cambreling lotet mit den Bochumer Symphonikern die schwülstig flirrende Musik Debussys in ihren zahlreichen Schattierungen detailliert aus und rundet die Vorstellung musikalisch hervorragend ab, so dass es lang anhaltenden Applaus für alle Beteiligten gibt.
Auch wenn einiges unklar bleibt, findet Warlikowski in seiner Inszenierung bewegende Bilder für dieses vom Symbolismus geprägte Stück. Musikalisch bleiben an diesem Abend keine Wünsche offen. Weitere Rezensionen zur Ruhrtriennale 2017 Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
ProduktionsteamMusikalische Leitung Regie Bühne und Kostüme Licht Choreographie Video Dramaturgie
ChorWerk Ruhr
Solisten*Premierenbesetzung
Mélisande
Pelléas
Golaud Arkel
Geneviève
Ein Arzt
Yniold
Statisten
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