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Wexford Festival Opera
19.10.2017 - 05.11.2017


Margherita

Melodramma semiserio in zwei Akten
Libretto von Giorgio Giachetti
Musik von Jacopo Foroni

In italienischer Sprache mit englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 h 55' (eine Pause)

Koproduktion mit dem Oldenburgischen Staatstheater

Premiere im O'Reilly Theatre im National Opera House in Wexford am 20.10.2017
(rezensierte Aufführung: 26.10.2017)



 

 

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Das verhängnisvolle Band

Von Thomas Molke / Fotos: © Clive Barda

Jacopo Foroni gehört zu der Reihe italienischer Komponisten, deren Werke heutzutage nahezu unbekannt sind. Dass er musikalisch in Italien nicht ein ernsthafter Rivale für Verdi geworden ist, mag mehrere Gründe haben. Zum einen musste er kurz nach der vielversprechenden Uraufführung seines Erstlingswerks 1848 im Rahmen der politischen Unruhen Mailand verlassen und überließ das Feld in Italien Verdi, während er selbst in Stockholm durch die erfolgreiche Uraufführung seiner Oper Cristina, regina di Svezia, die 2013 in Wexford zu erleben war (siehe auch unsere Rezension), zum musikalischen Leiter der Royal Swedish Opera aufstieg und fortan in Schweden große Erfolge feierte. Zum anderen nahm seine Karriere in Schweden ein ziemlich abruptes Ende, da er im Alter von nur 33 Jahren an der Cholera starb. Die Uraufführung seiner letzten Oper Advokaten Pathelin konnte er 1858 nicht mehr erleben. Während sich seine letzte Oper in Schweden immerhin bis 1920 auf dem Spielplan hielt, geriet sein Erstlingswerk Margherita sehr schnell in Vergessenheit. Die einzigen weiteren belegten Aufführungen fanden 1852 am Teatro Santa Radegonda in Mailand und 1880 am San Carlo in Neapel, in Reggio Emilia und am Teatro Nuova in Verona statt. In Wexford versucht man nun, in einer Koproduktion mit dem Staatstheater Oldenburg diese Belcanto-Perle, dem Vergessen zu entreißen. Bemerkenswert ist, dass Cristina di Svezia nach der Wiederentdeckung in Wexford ebenfalls in Oldenburg Premiere feierte, allerdings in einer anderen Inszenierung. Der Regisseur der Oldernburger Inszenierung, Michael Sturm, beschäftigt sich nun auch mit der zweiten Wiederentdeckung Foronis.

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Das Volk (Chor) feiert ausgelassen Ser Matteo (Matteo D'Apolito, vorne in der Mitte) als neuen Bürgermeister.

Die Geschichte basiert auf dem französischen Libretto Marguerite, das Eugène Scribe für eine Opéra-comique verfasst hatte, die François-Adrien Boieldieu komponieren sollte. Das Werk wurde jedoch nie vollendet, da Boieldieu vorher starb. Giorgio Giachetti übertrug den Text ins Italienische. Die junge und schöne Waise Margherita lebt in einem Schweizer Dorf in den Bergen. Roberto, der nichtsnutzige Neffe des neuen Bürgermeisters Ser Matteo hat sich in die junge Frau nicht zuletzt wegen ihres Vermögens verliebt und möchte sie heiraten. Doch Margherita weist ihn zurück, weil ihr Herz dem jungen Soldaten Ernesto gehört, den sie aus dem Krieg zurückerwartet. Kurz darauf erscheint auch Ernesto und plant mit Margherita die Hochzeit. Doch Ernestos Vorgesetzter Rodolfo bittet ihn zunächst um Unterstützung, da er sich mit dem General um seine Geliebte Matilda duellieren will. Margherita schenkt Ernesto ein Band als Zeichen ihrer Treue, das Ernesto jedoch mit seinem Hut verliert. Rodolfo wird im Wald von Unbekannten überfallen. Am Tatort findet man den Hut mit Margheritas Band und vermutet, dass Ernesto der Übeltäter ist. Der Bürgermeister will daraufhin Ernesto hinrichten lassen. Margherita fleht Roberto um Gnade an und willigt sogar ein, ihn zu heiraten, wenn Ernesto dafür freigelassen wird. Roberto lässt sie den Kontrakt unterschreiben und will Ernesto aus dem Gefängnis befreien. Inzwischen kehrt jedoch Rodolfo unversehrt zurück und bestätigt, dass er nicht von Ernesto überfallen worden sei. Ernesto ist erleichtert und will nun endlich Margherita heiraten, doch Roberto zeigt ihm das von Margherita unterzeichnete Eheversprechen. Ernesto ist außer sich und stößt Margherita von sich. Doch Rodolfo erkennt in Roberto den Verbrecher, der ihn überfallen hat, und lässt ihn ins Gefängnis werfen. Der unterzeichnete Vertrag wird aufgehoben, und Margherita und Ernesto steht einer glücklichen Heirat nichts mehr im Weg.

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Noch ist ihre Welt in Ordnung: Margherita (Alessandra Volpe) und Ernesto (Andrew Stenson).

Das Regie-Team um Michael Sturm siedelt die Geschichte irgendwann kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs an und orientiert sich im Bühnenbild an den Filmen des italienischen Neorealismus im Stil von Vittorio De Sica. Bühnenbildner Stefan Rieckhoff hat hier hohe Ruinen aufgestellt, die in ihrer Gestaltung an die Antike erinnern. Quer über die Bühne ist eine Leine gespannt, an der bisweilen Wäsche aufgehängt ist. Als Vorhang dient ein Prospekt, der ein Gebäude vor dem Krieg zeigt und in eine längst vergangene Zeit eintauchen lässt. Für die Szenenwechsel werden einzelne Bühnenelemente wie eine Wand mit einer Tapete im Stil der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts oder ein riesiger Baum aus dem Schnürboden herabgelassen oder einzelne Requisiten wie ein Bett oder Tische und Stühle auf die Bühne geschoben und ermöglichen so schnelle Szenenwechsel. Die Kostüme, für die ebenfalls Rieckhoff verantwortlich zeichnet, erinnern bei den Damen an Petticoats, so dass man optisch beim Wiener Walzer der Schlussmusik schon fast beim Rock 'n' Roll angekommen ist. Das verhängnisvolle Band, das beinahe eine Katastrophe heraufbeschwört, ist ein Strumpfband, das Ernesto um seinen Hut legt. Sturm erzählt die Geschichte stringent und vertraut auf die Kraft der Musik, die einerseits mit dem geläufigen Parlando-Ton starke Anklänge an Rossini und Donizetti hat, es andererseits aber auch mit der Dramatik eines jungen Verdi aufnehmen kann und gleichzeitig Akzente setzt, die von Johann Strauß später zur Vollendung gebracht werden sollten. Um den Parlando-Ton nicht zu übertreiben und, nach eigenem Bekunden, die Sänger zu schützen, hat Sturm gravierende Kürzungen in der Partitur vorgenommen.

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Giustina (Giuliana Gianfaldoni, in der Mitte auf dem Tisch) hat beunruhigende Neuigkeiten (vorne links: Margherita (Alessandra Volpe) mit dem Chor).

Da man das Stück nicht kennt, bemerkt man es als Zuhörer natürlich nicht und genießt einfach die wunderbare Musik, die das Orchester des Wexford Festival Opera unter der Leitung von Timothy Myers mit frischem Klang und großem Esprit aus dem Orchestergraben präsentiert. Eine große Aufgabe kommt in dieser Oper auch dem Chor zu, der hier zahlreiche Ensembleszenen in schnellem Tempo zu bestreiten hat. Errol Girdlestone hat den Chor des Wexford Festival Opera auf diese anspruchsvolle Aufgabe gut vorbereitet, so dass der Chor auch bei den schnellen Passagen homogen bleibt und sich gleichzeitig absolut spielfreudig präsentiert. Schon die Auftaktnummer ist ein musikalischer Höhepunkt. Das Volk feiert den neuen Bürgermeister, der eigentlich nur seine Ruhe haben will. Matteo D'Apolito gestaltet den Ser Matteo mit großem Spielwitz und markantem Bariton in beweglichen Läufen. Die Buffo-Partie ist ihm regelrecht auf den Leib geschrieben. Filippo Fontana ist ihm als sein Neffe Roberto in jeder Hinsicht ebenbürtig. Zum einen punktet er in den komischen Szenen mit flexiblem Bariton. Zum anderen bringt er aber auch die diabolischen Seiten der Figur glaubhaft zum Ausdruck. Wenn er Margherita zwingt, das Eheversprechen zu unterzeichnen, macht er mehr als deutlich, dass er ein richtiger Schurke und kein harmloser Tunichtgut wie sein Onkel ist. Andrew Stenson stellt als Ernesto stimmlich und darstellerisch einen absoluten Gegenpol dar. Stenson stattet die Partie mit lyrischem Tenor aus, der nur in den extremen Höhen ein bisschen forcieren muss. Bewegend gelingt die Szene kurz vor seiner Hinrichtung, wenn er hinter dem leicht durchsichtigen Prospekt auf dem Schafott steht und absolut verloren wirkt. Hier hat Foroni zum Ausdruck dieses Gefühls wunderbare Musik komponiert.

Die musikalisch schönsten Momente des Abends haben die beiden Frauen. Da ist zunächst einmal Ernestos Schwester Giustina, die nicht unwesentlich zur Auflösung am Ende beiträgt. Giuliana Gianfaldoni gestaltet die Partie, die mit halsbrecherischen Koloraturen gespickt ist, mit strahlendem Sopran. Ihre Stimme klingt stets klar und leicht und gleitet gewissermaßen durch die Läufe. Alessandra Volpe verfügt in der Titelpartie über einen kräftigen und warm strömenden Mezzosopran, der in der Mittellage die Leiden der jungen Frau wunderbar herausarbeitet und in den Höhen über große Dramatik verfügt. Einen musikalischen Höhepunkt stellt das Duett der beiden Frauen im zweiten Akt dar, wenn Margherita Giustina erklärt, dass sie Ernesto zwar gerettet habe, dafür aber für immer auf ihn verzichten müsse. Hier finden Volpes Mezzo und Gianfaldonis Sopran zu einer bewegenden Innigkeit. Auch im Zusammenspiel mit Stenson begeistert Volpe auf ganzer Linie. Das Duett im ersten Akt, wenn Ernesto und Margherita sich gegenseitig ihre Liebe gestehen und Margherita ihrem Geliebten das verhängnisvolle Strumpfband gibt, wird von Volpe und Stenson emotionsgeladen umgesetzt, so dass man den beiden die besungenen Gefühle zu jedem Zeitpunkt abnimmt. So gibt es am Ende frenetischen und verdienten Beifall für alle Beteiligten.

FAZIT

Wexford unternimmt den zweiten Versuch, Jacopo Foronis Werk dem Vergessen zu entreißen. Zum zweiten Mal folgt Oldenburg, dieses Mal sogar mit einer Koproduktion. Es bleibt zu hoffen, dass auch weitere Bühnen diesen Komponisten für sich entdecken.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Timothy Myers

Regie
Michael Sturm

Bühne und Kostüme
Stefan Rieckhoff

Licht
D. M. Wood

Chorleitung
Errol Girdlestone



Orchester des
Wexford Festival Opera

Chor des
Wexford Festival Opera


Solisten

Conte Rodolfo
Yuriy Yurchuk

Ser Matteo
Matteo D'Apolito

Margherita
Alessandra Volpe

Ernesto
Andrew Stenson

Giustina
Giuliana Gianfaldoni

Roberto
Filippo Fontana

Gasparo
Ji Hyun Kim


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