Contest der Theatergattungen
Von Thomas Molke
/ Fotos: © Simone Donati
Manuel García gehört nicht nur zu der Riege der Opernkomponisten des 19.
Jahrhunderts, deren Ruhm durch die Übermacht Rossinis verblasste und schnell in
Vergessenheit geriet, sondern er war auch ein berühmter Tenor, der unter anderem
auch als Norfolk in Rossinis Elisabetta regina d'Ingihilterra einen
großen Erfolg verbuchen konnte. Bekannt ist er vor allem auch als erster
Graf Almaviva in Rossinis Il barbiere di Siviglia. Dabei war sein
Einfluss sogar so groß, dass er durchsetzen konnte, dass die Uraufführung unter
dem Titel Almaviva o sia L'inutile precauzione stattfand. Am Ende seiner
Karriere betätigte er sich überwiegend als Gesangspädagoge, und in diesem Rahmen
entstand wohl auch die Salonoper Le cinesi, die vor allem als Übung für
seine Gesangsschüler gedacht war. Als Festspiel-Intendant Jochen Schönleber
dieses Stück im April 2015 unter der musikalischen Leitung von Raúl Giménez am
Teatre de Sarrià in Barcelona als Produktion der "Amics de l'̉pera de Sarrià"
mit jungen Sängerinnen und Sängern in Szene setzte, kam ihm die Idee, diese
Produktion als Gastspiel nach Bad Wildbad zu holen, um die Anzahl der
aufgeführten Opern zu erhöhen. Nachdem dieses Vorhaben 2016 mit Giuseppe
Balduccis Il conte di Marsico fortgesetzt worden ist (siehe auch
unsere Rezension),
steht in diesem Jahr erneut Garcías Le cinesi auf dem Programm. Dieses
Mal hat Schönleber das Stück in Florenz in Zusammenarbeit mit dem Maggio
Musicale Fiorentino im Teatro Goldoni neu erarbeitet.
Die drei Chinesinnen Lisinga (Francesca Longari,
links), Sivene (Giada Frasconi, Mitte) und Tangìa (Ana Victória Pitts, rechts)
langweilen sich.
Die
Handlung basiert auf einem unter anderem auch von Christoph Willibald Gluck
vertonten Libretto von Pietro Metastasio und spielt in einem
fiktiven China.
Die drei Chinesinnen Lisinga,
Sivene und Tangìa sitzen beim Tee zusammen und langweilen sich, als plötzlich
Lisingas Bruder Silango auftaucht, der gerade aus Europa zurückgekehrt ist. Die Damen sind entsetzt, da es für
Männer in China unter Todesstrafe verboten ist, in die Frauengemächer
einzudringen. Dennoch fordern sie ihn auf, bis zum Einbruch der Dunkelheit zu
bleiben, da es dann einfacher ist, unbemerkt aus dem Haus zu kommen. Um sich die Zeit zu vertreiben,
schlägt Lisinga vor, Theater zu spielen. Jede der drei Damen wählt ein Thema
aus, das sie in einer opulenten Arie präsentiert, Lisinga eine Tragödie, Sivene
eine Pastorale und Tangìa eine Komödie. Als sie sich im Anschluss nicht
einigen können, welche Gattung am meisten überzeugt hat, schlägt Silango
ein Ballett als Kompromiss vor. Die Frauen sind begeistert von dieser Lösung und
feiern sie singend und tanzend.
Lisinga (Francesca Longari, Mitte) präsentiert
als Andromache die Tragödie. Silango (Patrick Kabongo Mubenga) mimt ihren Sohn
Astyanax und Sivene (Giada Frasconi, rechts) den griechischen König Pyrrhus.
An der alten Inszenierung hat Schönleber bei der Neuerarbeitung nicht viel
geändert. So lässt er beim musikalischen Vorspiel Lisinga immer noch in einem Kimono auftreten und ihren Freundinnen bunte Lampionschirme überreichen,
macht dann aber sehr schnell deutlich, dass hier kein pseudo-asiatisches Kolorit gezeigt
werden soll. Die Damen präsentieren sich nämlich anschließend beim Sonnenbad auf großen Holzliegen
in figurbetonten Badekombinationen äußerst europäisch. Natürlich ist es ihnen
unangenehm, wenn Silango in diese Privatsphäre eindringt. Mit seiner
blonden Perücke wirkt er allerdings weniger wie ein Dandy, sondern erinnert
vielmehr an das Portrait, das tags zuvor in L'occasione fa il ladro
Alberto als Bildnis seiner Schwester mit sich trägt. Wieder sind es die
Einkaufstüten namhafter Modedesigner, die die Damen schnell zu der Erkenntnis
kommen lassen, dass es doch gar nicht so schlecht ist, den jungen Mann bis zum Einbruch
der Dunkelheit bei sich zu behalten. Die Präsentation der drei Gattungen erfolgt
dann recht traditionell. Schönlebers Regie-Gag am Ende bleibt ebenfalls
erhalten, wobei nicht ganz klar ist, ob es Absicht ist, dass Silango dieses Mal
nur Lisinga und Tangìa eine Einkaufstüte mit Besen und Kehrblech überreicht und
der Staubwedel für Sivene aus persönlicher Zuneigung gestrichen worden ist, oder
ob die Tüte mit dem Staubwedel bei der Premiere versehentlich gefehlt hat.
Jedenfalls jagen die drei Frauen den jungen Mann am Ende erneut von der Bühne.
Silango (Patrick Kabongo Mubenga) übernimmt bei
Sivenes (Giada Frasconi) Schäferspiel nur zu gerne die Rolle des Schäfers
Thyrsis, der in die schöne Nymphe Lycoris verliebt ist.
Bei den vier Solisten handelt es sich allesamt um Teilnehmer der beiden Meisterklassen
von Lorenzo Regazzo und Raúl Giménez, die das Gastspiel in Bad Wildbad direkt
mit diesem Kurs verbunden haben. Francesca Longari stellt als Lisinga in ihrer großen Arie die
Tragödie vor. Dafür hat sie eine Szene der Andromache ausgewählt, die nach dem
Trojanischen Krieg in die Hände des Pyrrhus gefallen ist und nun vor der Wahl
steht, den griechischen König zu heiraten und damit ihrem verstorbenen Mann
Hektor untreu zu werden oder ihren geliebten Sohn Astyanax zu opfern. Longari
überzeugt in dieser Arie mit sauberen Koloraturen und
eindrucksvollem Spiel. Für komische Momente sorgen in dieser Szene Patrick
Kabongo Mubenga, der in die Rolle des kleinen Astyanax schlüpft, und Giada
Frasconi, die den Pyrrhus mimt. Es folgt eine Pastorale, in der Giada Frasconi
als Sivene die Partie der schönen Nymphe Lycoris übernimmt. Hier bietet
sich Patrick Kabongo Mubenga als Silango direkt an, in die Rolle des Hirten Thyrsis zu
schlüpfen,
der unnachgiebig um die schöne Nymphe wirbt. Damit haben die beiden nämlich auch, sehr zum Missfallen von Tangìa,
die Möglichkeit, ihre Gefühle füreinander zu
bekunden. Mubenga lässt mit lyrisch angesetzten Höhen tenoralen Glanz
verströmen, während Frasconis Mezzo ein bisschen heiser klingt.
Vielleicht hat sie in den letzten Tagen ihrem Mezzo ein bisschen zu viel
abverlangt, da sie ja auch noch in L'occasione fa il ladro als
Ernestina auf der Bühne steht. Darstellerisch macht Frasconi mit
großer Komik
deutlich, dass sie alles andere als eine schüchterne Chinesin ist.
Tangìa (Ana Victória Pitts) rächt sich bei ihrer
Präsentation der Komödie an Silango (Patrick Kabongo Mubenga) für die
Zurückweisung.
Ana Victória Pitts hat die Partie der Tangìa, die die Komödie vertritt, bereits
vor zwei Jahren interpretiert, und es lässt sich feststellen, dass ihr damals
schon kräftiger Mezzo noch weiter gereift ist. So begeistert sie stimmlich
erneut mit einer voluminösen Mittellage. Auch ihr großes komisches Talent hat
sie weiter ausbauen können. Während sie zunächst den Anfang machen will, dann aber
wieder abbricht, weil ihr kein Thema einfällt, liefert ihr Mubenga mit seiner
Arroganz am Schluss das geeignete Sujet. Nun macht sie sich über den
selbstverliebten Jüngling lustig, indem sie einen narzisstischen jungen Mann
mimt, der von einer Europareise zurückgekehrt ist und nun den ganzen Tag vor dem
Spiegel verbringt und sich für etwas Besseres hält. Silango findet das wiederum
überhaupt nicht komisch, erst recht nicht, als Tangìa dann auch noch seine
blonde Perücke mit weißem Haarschaum bedeckt. Michele D'Elia, der bereits die
Produktion vor zwei Jahren am Klavier betreut hat, erweist sich erneut als kongenialer Begleiter, so dass es am Ende
großen Applaus für alle Beteiligten gibt.
FAZIT
Die Produktion begeistert auch nach zwei Jahren mit einem
größtenteils neuen Ensemble.
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Wildbad 2017
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Produktionsteam
Musikalische Leitung und Klavier
Michele D'Elia
Regie, Bühnenbild, Kostüme und Licht
Jochen Schönleber
Solisten
Lisinga, Adelige junge Chinesin
Francesca Longari
Sivene, Lisingas Freundin
Giada Frasconi
Tangìa, Lisingas Freundin
Ana Victória Pitts
Silango, Lisingas Bruder und Sivenes
Geliebter
Patrick Kabongo Mubenga
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