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DekontaminiertVon Christoph Wurzel, Fotos: © Bayreuther Festspiele / Enrico NawrathDie Meistersinger von Nürnberg machen es selbst eingefleischten Wagnerianern nicht leicht. Auf dem Werk und seiner Aufführungsgeschichte lasten einige Hypotheken, die überzeugende Inszenierungen immer wieder erheblich erschwert haben. Da ist es zuerst der von Wagner selbst ursprünglich intendierte Charakter als komische Oper, welcher aber den Meistersingern nur schwer zu entlocken ist. In seiner auch heute noch lesenswerten Kritik des Werks anlässlich der Wiener Erstaufführung 1870 hat detailreich schon Eduard Hanslick ihm Mangel an Humor attestiert - wenn auch vielleicht zum Teil als Retourkutsche, hatte doch Wagner unzweifelhaft den peniblen Stadtschreiber Beckmesser als böse Karikatur auf die Kritikerzunft und nicht zuletzt auf Hanslick persönlich gemünzt. Und dann der Schluss: Wenn Hans Sachs gegen "welschen Tand" herzieht und von der "heil'gen deutschen Kunst" monologisiert - da liegt doch Chauvinismus-Verdacht auf der Hand. Und der fiel auf fruchtbaren Boden, als der braune Geist in Deutschland Kulturhoheit gewann und in den Meistersingern die "Inkarnation unseres Volkstums schlechthin" zu erkennen meinte. Beckmesser wurde zum jüdischen Kritikaster gemacht und auf dem Parteitag der Rassegesetze von 1935 wurde die Oper bei einer Aufführung "in Anwesenheit des Führers" und unter Furtwänglers Leitung im Nürnberger Opernhaus zum "Festspiel der Reichsparteitage für alle Zeiten" erhoben. So kam sie auch (Winifred Wagner sei Dank) geschmückt mit Hakenkreuz- und SS-Bannern in Bayreuth auf die Bühne des Festspielhauses zwecks moralischer Aufrüstung der herbei gekarrten Soldaten und Arbeiter. Bis diese Zeiten zehn Jahre später endlich zu Ende waren und in derselben Stadt Nürnberg über die Nazi-Barbarei Gericht gehalten wurde. Entnazifiziert: 2018 fröhliches Treiben auf der Festwiese in der Kulisse des Gerichtssaals der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse (Chor und Statisten der Bayreuther Festspiele) Bevor Katharina Wagner 2007 einen ersten, noch sehr vorsichtig kritischen Blick auf das Werk warf, blieb all dieser ideologische Ballast in den Bayreuther Inszenierungen hinter Butzenscheiben versteckt. Es musste erst ein australischer Regisseur kommen, Jude zudem, der das Werk in einer Neuproduktion 2017 historisch dekontaminierte. Barry Kosky gelang dabei nicht nur eine streckenweise komische, vor allem aber eine kluge und aufrichtige Auseinandersetzung mit dem vielleicht schwierigsten aller Werke des Bayreuther Wagner-Kanons (siehe unsere Premierenkritik von 2017). Kosky nutzt sein Händchen für das leichte und komische Metier vor allem im szenischen Arrangement des Vorspiels, wenn, wie der Meister es liebte, im Hause Wahnfried eines seiner Stücke zelebriert wird. Man schreibt das Jahr 1875 und die Meistersinger stehen offenbar auf dem Plan einer häuslichen Privataufführung. Anwesende Gäste werden zu Mitwirkenden umkostümiert und neue Akteure kriechen aus dem Klavierkasten, viele von ihnen gedoubelte Richards, denn in einigen Rollen sieht Wagner eigenes Wesen verwirklicht - in Stolzing den genialischen Neuerer, in David den Anwalt traditioneller Regeln, vor allem natürlich in Hans Sachs die Inkarnation seiner selbst. So ist und bleibt Michael Volle auch als Sachs den Abend über immer zum großen Teil auch der Komponist. Nur der ebenfalls anwesende Hermann Levi (als Jude nur unwillig von Wagner mit der Parsifal-Uraufführung betraut) wird in diesem Spiel wegen Verweigerung christlicher Konventionen zum Außenseiter und so in die Rolle Beckmessers gezwängt, widerwillig zwar, aber letztlich doch ergeben. Cosima (mit einem Migräneanfall herrlich parodiert) wird zu Eva, welche Richard nach eigenem Bekunden eh immer in seiner Frau gesehen haben will. Noch viele weitere geistreiche Anspielungen schärfen den intelligenten Witz dieser Szene. So federnd leicht das oben inszeniert ist, so unpathetisch erklingt die Musik aus dem Graben. Keine Spur von einem "Stahlbad in C" (Ernst Bloch), zu dem es Furtwängler einst vor Rüstungsarbeitern gemacht hatte. Philippe Jordan nimmt die Musik transparent und klar, dabei wunderbar leicht und in der Lautstärke dosiert, dass auch später die Solisten gut durchkommen. Nie wird die Musik bombastisch oder pompös, nur wo es sein soll klingt sie groß und hat das gehörige Volumen. Dass in den Meistersingern auch viel Lyrisches steckt, hebt Jordan mit dem wie stets exzellent spielenden Orchester eindrucksvoll hervor. In herzlicher Feindschaft verbunden: der innovativ denkende Schusterpoet (Michael Volle als Sachs) und der penible Kritiker (Johannes Martin Kränzle als Beckmesser) Komik stellt Kosky auch in vielen kleinen Gesten seiner Darsteller heraus, was von den Protagonisten dankbar und ungemein spielfreudig ausgekostet wird. Michael Volle als Sachs und Johannes Martin Kränzle als Beckmesser werden zu Antagonisten mit doppelbödigen Witz von spöttelnder Stichelei bis hin zur bitteren Fehde. Zum Kabinettstück subtilen Musiktheaters gelingt den beiden die Schusterstubenszene im 2. Akt, wenn Sachs selbst zum kritischen Beobachter des mit seinem verliebten Ständchen dilettierenden Merkers wird. Dabei singen beide Bassbaritone exzellent und überaus textverständlich. Dann aber kippt die Stimmung in der Prügelszene, denn hier zeigt Kosky auf, was als Konsequenz auf antisemitische Ausgrenzung, Verspottung und Hass folgt: das Pogrom. Plötzlich steigt in der Kulisse der riesige Kopf eines "Stürmer"-Juden auf und weitere kleine antisemistische Fratzen nehmen Beckmesser drohend ins Visier. Der böse Geist steht im Raum: Schluss der "Prügelfuge" Im 3. Akt kommt die Inszenierung schließlich dort an, wo das geschichtliche Urteil gefällt werden soll, im Nürnberger Verhandlungssaal der Kriegsverbrecherprozesse. Zuerst noch der Monolog Sachsens, außer sich über den Wahn, der eben geschah. Danach gilt's der Kunst: als Walther von Stolzing übt sich Klaus Florian Vogt mit dem Preislied souverän im Meistergesang. Lyrisch ausschwingend mit vokalem Glanz präsentiert sich Vogt wieder einmal als der Sänger dieser Rolle mit Referenzcharakter. Ausgelassen fröhlich lässt es Kosky auf der Festwiese zugehen, ein Volksfest zum Schunkeln wird das, kein weihevoller Moment. Und dann der Clou am Schluss: Für das nationale Preislied auf die "heil'ge deutsche Kunst" erlaubt Kosky nur das Konzert, zu dem der Chor und ein imaginäres Orchester auf die Bühne gefahren werden. Pathos wird nur vorgeführt, nicht behauptet. Sachs, nun wieder ganz Wagner mit Samtkappe, dirigiert diese Musik als eine Art Oratorium, eine Ausstellung des Werks vor Publikum, ganz losgelöst von der Handlung der Oper. Er dirigiert es vom Zeugenpult aus, von dem aus im Nürnberger Prozess die Wahrheit ermittelt werden sollte. Ob nun Wagners Meistersinger schuldig sind oder nicht, bleibt aber offen. Neu im Ensemble: Emily Magee als Eva im Kostüm Cosima Wagners Das bewährte Ensemble des Premierenjahres agierte auch in der diesjährigen Aufführungsserie fast unverändert. Die von der Regie als schlichte Geister wunderbar geführten Meistersinger, unter denen einzig Veit Pogner einigen Schliff besitzt (großartig: Günther Groissböck), waren allesamt wieder in den zitierten Kostümen der Traditionsaufführungen früherer Zeiten mit von der Partie, ebenso Daniel Behle als spielfreudiger und vokal gar nicht leichtgewichtiger David und Wiebke Lehmkuhl als solide Magdalene. Neu waren nur in der kleinen, aber nicht unwichtigen Rolle des Nachtwächters Tobias Kehrer und Emely Magee als Eva alias Cosima. Die amerikanische Sopranistin ist in Bayreuth keine Unbekannte. Bereits vor 19 Jahren sang sie schon einmal die Eva. In diesem Jahr aber blieb sie blass. Im Kostüm der ältlichen Cosima konnte sie stimmlich die jugendliche Eva kaum glaubhaft machen. Schade - der einzige Wermutstropfen in dieser sonst alles in allem überaus geglückten Produktion.
Auch wer mit den Meistersingern fremdelt, wird dieser Produktion viel abgewinnen. Weitere Rezensionen von den Bayreuther Festspielen
2018
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ProduktionsteamMusikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Choreinstudierung
Dramaturgie
Solisten
Hans Sachs, Schuster
Veit Pogner, Goldschmied
Kunz Vogelsang, Kürschner
Konrad Nachtigall, Spengler
Sixtus Beckmesser, Stadtschreiber
Fritz Kothner, Bäcker
Balthasar Zorn, Zinngießer
Ulrich Eisslinger, Würzkrämer
Augustin Moser, Schneider
Hermann Ortel, Seifensieder
Hans Schwarz, Strumpfwickler
Hans Foltz, Kupferschmied
Walther von Stolzing
David, Sachsens Lehrbube
Eva, Pogners Tochter
Magdalene, Evas Amme
Ein Nachtwächter |
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