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Klangvokal Musikfestival Dortmund 11.05.2018 - 10.06.2018
Adam und Eva Johannes Brahms: Schicksalslied op. 54 für Chor und Orchester, Text von Friedrich Hölderlin Jules Massenet: Ève, Mystère en trois partie auf ein Libretto von Louis Gallet in deutscher (Brahms) und französischer (Massenet) Sprache Aufführungsdauer: ca. 2 h (eine Pause) Aufführung in der St. Reinoldikirche Dortmund am 18. Mai 2018 |
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Klangvoller Sündenfall Von Thomas Molke / Fotos: © Bülent Kirschbaum Jules Massenets Opernschaffen ist geprägt von den Schicksalen emotionsgeleiteter Frauen, die meist an ihrer Liebe zerbrechen. Kaum ein anderer Komponist vermochte mit seiner Musiksprache so tief in die Psychen dieser Figuren einzutauchen wie der französische Spätromantiker. Dabei hat er aber nicht nur unsterbliche Opern-Heroinen wie Manon, Sapho, Esclarmonde oder Thaïs geschaffen. Auch im Bereich des Oratoriums beschäftigte er sich mit den Frauen und schuf von 1873 bis 1880 ein monumentales Triptychon von Maria Magdalena über Eva bis hin zur Gottesmutter. Beim Klangvokal Musikfestival in Dortmund hat man nun für ein Konzert in der St. Reinoldikirche Massenets zweites Oratorium Ève ausgewählt, das am 18. März 1875 uraufgeführt wurde und in der dramatischen Struktur zwischen Oratorium und Oper changiert. Da das Werk nur eine knappe Stunde dauert, hat man es unter der Überschrift Adam und Eva mit zwei kurzen Kompositionen von Franz Liszt und Johannes Brahms kombiniert. Was allerdings Liszts Orpheus und Brahms' Hölderlin-Vertonung mit dem Sündenfall zu tun haben sollen, erschließt sich nicht. Der Abend beginnt mit Liszts Symphonischer Dichtung Nr. 4. Liszt hatte diese als zeitgenössischen Kommentar zu einer Aufführung von Christoph Willibald Glucks Orphée et Euridice komponiert, die er 1854 im Großherzoglichen Hoftheater in Weimar dirigierte. Dabei habe er sich von einer etruskischen Vase im Louvre inspirieren lassen, auf der der mythische Sänger mit königlichem Reif um die Schläfe und von einem sternbesäten Mantel umwallt geradezu göttlich dargestellt wird. Ätherisch klingt auch die Musik, die von zwei Harfen untermalt wird, die wohl für die Stimme des thrakischen Sängers stehen. Liszt sieht in Orpheus' Gesang die Macht der Kunst, mit weichen und runden Bögen einen Gegenpol zu den blutigen Kämpfen der Menschheit zu bilden. Daher lässt Liszt in dem Stück zwei Themen miteinander konkurrieren. Ein energisch-dynamisches Motiv steht für den Wettstreit der Elemente, dem sich ein verhalten-statisches mit Harfenbegleitung entgegensetzt. Dabei wechselt das ruhige Thema zwischen Dur und Moll und lässt unterschiedliche Instrumente solistisch hervortreten, um auch die Gefühlsschwankungen des Sängers aufzuzeigen. Nachdem das Werk sich zunächst stufenweise zu einem Crescendo aufbaut, schließt es mit einem ruhigen Ende, als ob Orpheus wie bei dem französischen Philosophen Pierre-Simon Balanche in den Wolken entschwindet. Granville Walker mit den Dortmunder Philharmonikern und dem Philharmonischen Chor des Musikvereins Dortmund Im Anschluss folgt Johannes Brahms' Schicksalslied, das auf Friedrich Hölderlins Briefroman Hyperion basiert. Darin kehrt der griechische Held nach seiner Teilnahme am griechischen Befreiungskampf in die Heimat zurück und schreibt in seiner Verzweiflung über die zwischenzeitlich vorgefundenen Verhältnisse seinem Freund Bellarmin, dass er seine Gefühle in einem Schicksalslied zum Ausdruck gebracht habe, das er zur Laute gesungen habe. Brahms soll bei einem Freund in Bremerhaven 1868 zufällig auf diesen Text gestoßen sein, der ihn sofort zu einer Komposition dieses Schicksalsliedes inspiriert habe, das er allerdings erst drei Jahre später vollendete. Nach einem Orchestervorspiel, das ähnlich ätherisch wie Liszts Orpheus klingt, stellt der Chor den Kontrast zwischen dem Göttlichen und dem Irdischen heraus und beklagt, dass den Menschen keine Ruhe gegönnt wird und sie stattdessen "ins Ungewisse" hinabfallen. Gerade dieser Schluss soll Brahms lange beschäftigt haben, da er dem Ganzen am Ende doch noch eine hoffnungsvolle Wendung geben wollte. Folglich greift er das Orchestervorspiel erneut auf und setzt es dieses Mal in C-Dur, was als Botschaft der Erlösung verstanden werden kann. Granville Walker führt die Dortmunder Philharmoniker differenziert durch die beiden Werke. Der Philharmonische Chor des Musikvereins Dortmund bleibt vielleicht aufgrund des Halls in der St. Reinoldikirche textlich leider etwas unverständlich. Adam (Thomas Laske) und Eva (Eleonore Marguerre) beim Sündenfall Nach der Pause folgt dann Massenets "Mystère en trois partie", das in drei Teilen die Erschaffung des Weibes bis hin zum Sündenfall und zur anschließenden Vertreibung aus dem Paradies nachzeichnet. Hier ist es aber nicht die Schlange, die Eva zum Genuss der verbotenen Frucht verführt, sondern Eva selbst, die sich ihrer erotischen Ausstrahlung bewusst wird und Adam von der "verbotenen Frucht" kosten lässt. Zwar wird Eva auch noch von einer vom Chor verkörperten Stimme angetrieben, die als "Voix de l'abîme" bezeichnet wird, wobei "l'abîme" sowohl mit "Abgrund" als auch mit "Höchstmaß" übersetzt werden kann und damit auch für Sex und Erotik stehen kann. Erotisch aufgeladen ist auch Massenets Musiksprache, die den Zuhörer in einen beinahe schon ekstatischen Genuss versetzt. Da lässt sich gut nachvollziehen, wieso Adam schwach wird. Bei soviel sinnlichem Gefühl verliert der göttliche Fluch am Ende eigentlich seine Abschreckung. Was stört es Adam und Eva, wenn sie von den Stimmen der Nacht aus dem Paradies vertrieben werden und nun ganz für ihre Lust leben können? Da verwundert es nicht, dass es bei der Uraufführung dieses Werkes im Cirque d'Eté, einem Pariser Multifunktionssaal mit 6000 Plätzen auch offenen Protest und heftige Kritik an diesem "verharmlosten Sittenverfall" gegeben hat. Schlussapplaus: von links: Granville Walker, Thomas Laske (Adam), Thomas Blondelle (Erzähler), Eleonore Marguerre (Eva), dahinter die Dortmunder Philharmoniker und der Philharmonische Chor des Musikvereins Dortmund Mit Eleonore Marguerre hat man für die Partie der Ève eine Sängerin gewinnen können, die mit ihrem leuchtenden, runden Sopran die knisternde Erotik der ersten Frau mit jedem Ton spürbar macht. Ihre große Arie im zweiten Teil, "O nuit! Douce nuit, pleine de murmures", in der sie zum ersten Mal den Reiz erkennt, der in ihrer Weiblichkeit liegt, wird von Marguerre mit strahlenden Höhen und einer noch unschuldigen Naivität umgesetzt. Thomas Laske legt die Partie des Adam mit kräftigem Bariton an. Man glaubt ihm gerne, dass er der Faszination dieser Frau erliegt und der Versuchung nicht widerstehen kann. In den Duetten finden Marguerre und Laske zu einer betörenden Innigkeit, die zunächst noch unschuldig ist aber bald schon die Freuden der Sexualität erkennen lässt. Thomas Blondelle ist kurzfristig für den erkrankten Uwe Stickert als Erzähler eingesprungen und überzeugt mit sauber geführtem Tenor, auch wenn er in den Höhen an einigen Stellen etwas forcieren muss. Der Philharmonische Chor des Musikvereins Dortmund versieht die unterschiedlichen Stimmen mit differenzierten Klangfarben und punktet vor allem als Geister der Hölle und verfluchende Stimmen der Nacht mit großem Klangvolumen. Granville Walker lotet mit den Dortmunder Philharmonikern die eruptive Musik wunderbar aus, so dass es nicht nur großen Applaus am Ende, sondern auch zwischen den einzelnen Teilen des Werkes gibt. FAZIT Massenets Ève ist ein großartiges Werk, das leider viel zu selten zu erleben ist. Wieso man es allerdings unter dem Titel Adam und Eva mit Liszts Orpheus und Brahms' Schicksalslied kombiniert, bleibt unverständlich. Weitere Rezensionen zum Klangvokal Festival Dortmund 2018
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AusführendeEleonore Marguerre, Ève (Eva) Thomas Laske, Adam Thomas Blondelle, Le Récitant (Der Erzähler) Philharmonischer Chor des Musikvereins Dortmund Dortmunder Philharmoniker Granville Walker, Dirigent
WerkeFranz Liszt Johannes Brahms
Jules Massenet
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