Fragwürdiges Spiel mit Puppen
Von Thomas Molke /
Fotos: © Xiomara Bender (TFE Presse)
Auch wenn Rossini seine Oper Ermione als seinen "kleinen
Guillaume Tell auf Italienisch" bezeichnet haben soll, gehört dieses Werk
zu den unbekanntesten Stücken des Schwans von Pesaro und ist auch heute noch
eine absolute Rarität, die so gut wie nie auf dem Spielplan steht. Die
Uraufführung am 27. März 1819 im Teatro San Carlo in Neapel war einer der
größten Misserfolge in Rossinis Schaffen, obwohl dies keineswegs an der Qualität
der Komposition lag. Rossini verabschiedete sich in diesem Werk auf weiten
Strecken von der gängigen Struktur der Belcanto-Oper, fügte zahlreiche
deklamierende Passagen ein, mit denen beispielsweise auch die Arien unterbrochen
wurden, und zeigte sich mit den zahlreichen düsteren Passagen als Vorbote eines
tragischen Stils, für den das damalige Publikum einfach noch nicht bereit
war. Musikalisch klingt hier bereits an, was er später im Guillaume Tell
perfektionieren sollte, und er behielt Recht mit der von ihm geäußerten
Vermutung, dass das Werk bis zu seinem Tod nicht noch einmal aufgeführt werde.
168 Jahre sollte es dauern, bis die Oper erstmals nach der Uraufführung beim
Rossini Opera Festival in Pesaro wieder gespielt wurde. Am Dirigentenpult
stand damals Gustav Kuhn. So verwundert es nicht, dass Kuhn als künstlerischer
Leiter der Tiroler Festspiele Erl nach mehreren Beschäftigungen mit
Rossinis Opernschaffen dieses Werk nun auch in Erl präsentiert.
Pirro (Ferdinand von Bothmer) weist Ermione
(Maria Radoeva) zurück.
Das Libretto basiert auf Jean Racines Tragödie Andromaque
und behandelt eine mythologische Episode aus dem Sagenkreis um den Trojanischen
Krieg. In der Oper ist Troja bereits gefallen, und Pirro (Pyrrhus), der Sohn des
griechischen Helden Achill, hat Hektors Ehefrau Andromaca (Andromache) mit ihrem
Sohn Astianatte (Astyanax) als Kriegsbeute mit nach Buthrote in Epirus gebracht.
Dabei hat er sich in Andromaca verliebt und möchte sie heiraten, obwohl er
bereits Ermione, der Tochter des Menelaos und der schönen Helena, die Ehe
versprochen hat. Diese ist wild entschlossen, Pirros Liebe zurückzugewinnen.
Dafür instrumentalisiert sie unter anderem Oreste (Orest), den Sohn des
Agamemnon, der einerseits unsterblich in sie verliebt ist und andererseits überwachen soll, das Hektors Sohn in Buthrote geopfert wird. Als sich Andromaca zum Schein bereit erklärt, Pirros Frau zu werden, um dadurch ihren
Sohn vor dem Opfertod zu bewahren, stachelt Ermione Oreste an, Pirro zu
erdolchen. Nachdem Oreste aufgebrochen ist, um ihren Auftrag umzusetzen, bereut
sie allerdings ihren Plan, kann die Ausführung allerdings nicht mehr verhindern.
Folglich beschimpft sie Oreste als Mörder, als dieser ihr von
Pirros Tod berichtet. Oreste erkennt, dass Ermione ihn nie geliebt und lediglich
benutzt hat. Ermione
ihrerseits will mit ihren Schuldgefühlen nicht weiterleben. So bleibt für beide
nur der Tod als Ausweg.
Andromaca (Svetlana Kotina) mit Astianatte als
Puppe, die übrigen Puppen auf dem Boden bleiben ein Rätsel.
Für die Inszenierung zeichnet wie im Vorjahr bei Rossinis
Semiramide die Künstlergruppe "Furore di Montegral" verantwortlich, hinter
der sich in diesem Jahr Peter Hans Felzmann (Bühnenbild) und Karin Waltenberger
(Kostüme) verbergen. Was die Gruppe mit ihrem Regie-Ansatz aber bezweckt, wird
nur bedingt verständlich. Zu Beginn der Oper betritt Andromaca mit mehreren
relativ abstrakt gehaltenen weißen Stoffpuppen die Bühne, die mit einigen antik
anmutenden Säulenköpfen einen Bezug zur mythologischen Handlung andeutet.
Nachdem Andromaca die Puppen abgelegt hat, wählt sie eine davon aus, die sie im
folgenden permanent in einer Tasche bei sich trägt. Man kann vermuten, dass es
sich dabei um ihren Sohn Astianatte handelt, um den ihre sämtlichen
Entscheidungen kreisen. Wieso alle anderen Darsteller jedoch ebenfalls mit einer
Puppe und einer Umhängetasche auftreten, in der sie die Puppe aufbewahren, wenn
sie sie nicht gerade ansingen oder zur Kommunikation mit den anderen Figuren des
Stückes verwenden, erschließt sich nicht. Sollen die Puppen ein Alter Ego der
jeweiligen Figur darstellen, weil sie sich farblich den Kostümen des sie
tragenden Charakters annähern? Soll damit zum Ausdruck
gebracht werden, dass die Figuren heftigen Stimmungswechseln unterliegen und
nicht ihrer eigenen Ratio folgen? Das würde nur auf Ermione und Pirro
zutreffen, die ständig ihre getroffenen Entscheidungen revidieren. Stellt es das
Spiel um Astianatte dar, der ja in gewisser Weise nicht nur Andromacas Aktionen
motiviert, sondern auch die anderen Figuren beeinflusst? Wirklich schlüssig ist
das alles nicht.
Der von Olga Yanum einstudierte Chor tritt wie in einer antiken
Tragödie kommentierend in Erscheinung. Während der Ouvertüre kommen die Herren
des Chors aus dem Orchestergraben und beklagen Trojas Fall. Auch die Damen des
Chors treten in der zweiten Szene des ersten Aktes als Ermiones Amazonengefolge
aus dem Orchestergraben auf. Dabei führen sie alle ein abstraktes weißes Geweih
mit sich, was sie wohl als Dienerin der Göttin Diana (Artemis) auszeichnen soll.
Die Kostüme von Karin Waltenberger sind aufwendig gestaltet, dabei aber recht
abstrakt gehalten. Erwähnenswert ist Ermiones feuerroter Rock, in den sie sich
im zweiten Akt in einer Art Blutrausch einhüllt, wenn sie Oreste mit der
Ermordung Pirros beauftragt hat, und den sie wie eine lange Schleppe hinter sich
herzieht. Andromaca hebt sich hingegen durch unschuldiges Weiß von der
rachsüchtigen Titelfigur ab.
Ermione (Maria Radoeva) rast vor Wut und will
sich an Pirro rächen.
Musikalisch weist die Oper einige durchaus charakteristische
Merkmale für Rossinis Stil aus, wirkt aber wesentlich düsterer als Rossinis
restliche Seria-Opern dieser Zeit, was vielleicht erklärt, wieso das Werk bei
der Uraufführung floppte. Aus heutiger Sicht kann man es durchaus als ein
Meisterwerk bezeichnen, das wesentlich mehr Aufmerksamkeit verdient, als dem
Stück zuteil wird. Für die Figuren hält es anspruchsvolle Arien bereit, die
deutlich von dem dreiteiligen Schema der damaligen Zeit abweichen und damit
Rossini von einer ganz anderen Seite zeigen, als man ihn aus seinem Barbiere
oder seiner Cenerentola kennt. Wie im Vorjahr bei Semiramide
begeistert auch in diesem Jahr Maria Radoeva mit stimmlichen Höchstleistungen in
der Titelpartie. Hervorzuheben ist vor allem ihre große Szene im zweiten Akt,
wenn Ermione mit dem Mordauftrag immer mehr die Kontrolle über ihre eigenen
Gefühle verliert. Zunächst ist sie so verletzt über Pirros Verhalten, dass sie
relativ kaltblütig seine Ermordung anordnet, dabei Oreste gegenüber absolut
herzlos auftritt. Mit gestochen scharfen Koloraturen und großartiger Dramatik
arbeitet Radoeva diese Wut glaubhaft heraus. Wenn sie dann das Ausmaß ihres
Befehls erkennt, schlägt sie sehr verzweifelte und gebrochene Töne an. Diese
ganze Bandbreite der Gefühle wird von Radoeva mit intensivem Spiel und
glänzendem Sopran herausgearbeitet. Svetlana Kotina stellt mit ihrem samtigen
Mezzo als Andromaca einen großartigen Gegenpart dar. Mit warmer Mittellage
bringt sie ihre Muttergefühle wunderbar zum Ausdruck, findet für die
verzweifelten Momente sehr leise Töne, kann aber auch mit
dramatischen Höhen auftrumpfen.
Andromaca (Svetlana Kotina, links) willigt zum
Schein ein, Pirro (Ferdinand von Bothmer, vorne Mitte) zu heiraten, um ihren
Sohn Astianatte (Puppe) zu retten (auf der linken Seite: Pilade (Hui Jin) und
Oreste (Iurie Ciobanu), auf der rechten Seite von links: Fenicio (Giovanni
Battista Parodi), Ermione (Maria Radoeva) und Attalo (Giorgio Valenta), im
Hintergrund der Chor).
Mit gleich drei anspruchsvollen Tenorrollen dürfte klar sein, dass das Werk für
kleinere Häuser nicht leicht zu besetzen ist. Jurie Ciobanu verfügt als Oreste
über große Strahlkraft in den Höhen und zeigt sich in den halsbrecherischen
Läufen sehr beweglich. Den Mord an Pirro vollzieht er anders als im Libretto auf
der Bühne und ersticht sich dort nach Ermiones Selbstmord ebenfalls. Hui Jin
glänzt als Orestes Freund Pilade nicht nur mit leuchtendem Tenor, sondern lässt
vermuten, dass er eine gleichrangige Alternativbesetzung für die Partie des
Oreste ist. Ferdinand von Bothmer hat als Pirro in den extremen Höhen leichte
Probleme und zeigt sich auch in den schnellen Läufen nicht ganz so beweglich.
Dennoch überzeugt er in der anspruchsvollen Partie mit intensivem Spiel und
kräftigem Tenor. Auch die kleineren Partien sind mit Giovanni Battista Parodi
als Pirros Erzieher und Vertrauter Fenicio, Giorgio Valenta als Pirros Diener
Attalo, Maria Novella Malfatti als Ermiones Vertraute Cleone und Alena Sautier
als Andromacas Dienerin Cefisa gut besetzt. Die Chorakademie der Tiroler
Festspiele Erl präsentiert sich stimmgewaltig, und Gustav Kuhn arbeitet mit dem
Orchester der Tiroler Festspiele Erl die zahlreichen Schattierungen der Partitur
differenziert heraus, so dass es für alle Beteiligten am Ende großen Applaus
gibt. Nur beim Regie-Team wird der Applaus ein wenig verhaltener, da hier nicht
jeder Ansatz überzeugen kann.
FAZIT
Rossinis Ermione wird auch heute noch zu Unrecht vernachlässigt. Es
bleibt zu hoffen, dass diese Aufführung dazu beiträgt, dem Werk etwas mehr
Aufmerksamkeit zu schenken.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Gustav KuhnRegie und Licht
Furore di Montegral
Bühnenbild
Peter Hans Felzmann
Kostüme
Karin Waltenberger
Chor
Olga Yanum
Orchester und Chorakademie der
Tiroler Festspiele Erl
Solisten
*Premierenbesetzung Ermione
*Maria Radoeva /
Filomena Fittibaldi /
Sabine Revault d'Allonnes
Andromaca
*Svetlana Kotina /
Alena Sautier Pirro
*Ferdinand von Bothmer /
György Hanczar
Oreste
*Jurie Ciobanu /
Hui Jin Pilade
*Hui Jin /
Biao Li
Fenicio
*Giovanni Battista Parodi /
Nicola Ziccardi
Cleone
*Maria Novella Malfatti /
Filomena Fittibaldi
Cefisa
*Alena Sautier /
Sabine Revault d'Alonnes Attalo
Giorgio Valenta
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